Orale Therapie in der Onkologie – Therapietreue zahlt sich aus

Foto Prof. Dr. Stefan FrühaufKrebsmagazin – Ausgabe Februar 2012
Prof. Dr. Stefan Frühauf, Zentrum für  Tumordiagnostik und -therapie, Paracelsus-Klinik Osnabrück

Die aktuelle Medikamentenentwicklung in der Onkologie geht weg von belastenden Infusionstherapien hin zur einfachen Anwendung in Tablettenform. Mehr als ein Viertel der Krebsmedikamente, die derzeit entwickelt werden sollen für die orale Einnahme verfügbar sein. Prominente Beispiele, die heute schon zur Verfügung stehen sind Imatinib für die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML), Erlotinib und Gefitinib für die Behandlung von Lungenkrebs, Sunitinib, Sorafenib und Everolimus für die Behandlung von Nierenkrebs, Lapatinib für Brustkrebs und eine ganze Reihe weiterer Substanzen (Tabelle) Das Ergebnis der Therapie, wird maßgeblich durch die Einnahmetreue bestimmt. Eine gute „Adhärenz“ entspricht dem konsequentem Befolgen des mit dem Therapeuten vereinbarten Behandlungsplanes. Tabelle MedikamenteDas Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es Faktoren, die die Einnahmetreue oder Adhärenz bestimmen aufzuzeigen und Patienten Hilfestellungen zur Sicherung des bestmöglichen Therapieergebnisses zu geben. Teilweise parallel zu dem Begriff Adhärenz wird auch der englische Begriff Compliance (engl. für Einhalten) verwendet. Eng definiert bedeutet Compliance „Das Ausmaß in welchem ein Patient medizinische Instruktionen befolgt“ (WHO Bericht 2003). Der aktuelle Stand der Wissenschaft fordert allerdings die Einbeziehung des Patienten – insbesondere unter Förderung des individuellen Selbstmanagements – in die Gestaltung der Therapie. Daher gewinnt der Begriff der Adhärenz an Bedeutung und wird hier verwendet. Bei chronischen Erkrankungen beträgt nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Adhärenz nur 50%. Die Nicht-Adhärenz ist dabei bei chronischen Erkrankungen häufiger als bei akuten. Die Folge sind oft schlechte Behandlungsergebnisse und höhere Kosten durch resultierende Komplikationen. Mitunter können durch Nicht-Adhärenz lebensbedrohliche Situationen entstehen. Die WHO schlussfolgert, dass eine Verbesserung der Adhärenz eine höhere Bedeutung z.B. für das Überleben von Krebspatienten hat als eine Therapieumstellung. Als gut untersuchtes Beispiel für die Bedeutung der Adhärenz greife ich die CML auf. Die Bedeutung der regelmäßigen täglichen Einnahme von Imatinib für ein optimales Ergebnis wurde für die CML in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen. Die Vernachlässigung der Therapie kann zu einem Verlust der molekularen und zytogenetischen Rückbildung des Tumors führen. Das Risiko für ein Wiederauftreten oder des Fortschreitens der Erkrankung zu einer Blastenkrise sind erhöht. Die Therapieresistenz kann schliesslich zu zusätzlichen Kosten durch das schlechtere Behandlungsergebnis führen.

Welches sind die Gründe für die Nicht-Einnahme?
Ein Teil der Patienten nimmt absichtlich die Medikamente nicht ein, stoppt die Einnahme vorzeitig oder ändert das Behandlungsintervall, z.B. durch Einnahme nur unter der Woche und Pause am Wochenende, sogenannte „Drug Holidays“. Bei einem anderen Teil schleichen sich unbewußt Fehler ein. Die Tabletteneinnahme kann wegen der Berufshektik vergessen werden. Nach einigen Untersuchungen vergessen über 50% der Patienten ab und an die Einnahme. Es ist wichtig zu verstehen welche Art der Nicht-Einnahme bei dem jeweiligen Patienten vorliegt, um die richtige Strategie für den Umgang mit der „Lücke“ zu entwickeln.

Welche Methoden gibt es die vereinbarte Medikamenteneinnahme zu messen?
Patienten geben bei jedem Arztbesuch an wie die Einnahme erfolgte. Diese subjektive Einschätzung der Adhärenz ist häufig höher als die Zählung des tatsächlichen Tablettenverbrauchs. Um eine realistischere Selbsteinschätzung zu erreichen werden Patientenfragebögen wie der in den USA für Hochdruckpatienten entwickelte und weltweit verbreitete Morisky-Fragebogen verwendet. In den Fragebogen-Auswertungen zeigt ein hoher Zahlenwert (Score) eine hohe Adhärenz an. In diese Gruppe fallen 16% der Hochdruckpatienten, während 52% in die mittlere und 32% in die niedrige Adhärenzgruppe fallen. Die Kontrolle des Hochdrucks hängt wie erwartet von der Güte der Adhärenz ab. Ein mögliche Anwendung solcher Fragebögen ist es bei Patienten mit schlechter Krankheitskontrolle solche mit niedriger Adhärenz herauszufinden, mit denen mögliche Therapienebenwirkungen näher zu besprechen sind, die familiäre Hilfe für die Medikamenteneinnahme benötigen oder die Erinnerungshilfen brauchen. Andererseits sind Patienten mit schlechter Krankheitskontrolle und hoher Adhärenz Kandidaten für eine Therapieintensivierung oder Medikationsumstellung. Eine objektivere Methode die Adhärenz zu messen ist es, die Rest-tabletten in der Packung zu zählen. Dies ist aufwändig und geht von der Annahme aus, dass die fehlenden Tabletten tatsächlich eingenommen wurden. Eine einfachere Art ist das regelmäßige Einlösen der Rezepte zu verfolgen. In Studien werden noch aufwändigere Verfahren wie eine elektronische Kodierung der Blister-Packungen mit Messung jeder Tablettenentnahme eingesetzt. Diese sind im Alltag nicht umsetzbar.

Welche Erfahrungen mit der Einnahmetreue
gibt es bei anderen chronischen Erkrankungen?

Beim Brustkrebs nehmen 22% der Patientinnen die antihormonelle Therapie gelegentlich nicht ein. Bei der HIVErkrankung nehmen 38%-40% der Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig ein, wobei die Fehlerquote bei einer zweimal täglichen Einnahme höher ist als bei der einmal täglichen. Bei Diabetes mellitus zeigen die Daten einen klaren Schulungseffekt, da die Therapie-Untreue je nach Bericht zwischen 7% und 64% liegt. Bei der chronischen myeloischen Leukämie nehmen sogar 51% der Patienten im ersten Behandlungsjahr weniger als 85% der verschriebenen Imatinib-Dosis. Dies ist alarmierend und Ursache der aktuellen Anstrengungen für eine höhere Adhärenz. An unserer Klinik haben wir im Rahmen eines drittmittelgeförderten Projektes deshalb ein Patientenberatungsbüro für orale Chemotherapien mit einer speziell geschulten Krankenschwester eingerichtet. Bei Patienten, die ab und an eine ihrer Tabletten „vergessen“ erarbeitet diese Krankenschwester gemeinsam mit dem Patienten eine individuelle Strategie (Einnahmezeitpunkt auf dem Kalender mit Signalfarben unterlegen, Aufbewahrungsort des Medikaments ändern, SMS Erinnerung über die Deutsche Leukämie Hilfe vorschlagen). Wichtig erscheint uns die Eigenverantwortlichkeit der Patienten zu unterstreichen und ihnen zu helfen Verantwortung für den Erfolg ihrer Therapie zu übernehmen. Sehr behutsam werden im Rahmen einer solchen Beratung Themen wie Psychoonkologie, Sport und Ernährung angesprochen. Aus unserer Erfahrung sind Patienten, die aktiv mitarbeiten und eine gute Adhärenz aufweisen, häufig in einer Selbsthilfegruppe aktiv, treiben Sport und achten auf ihre Ernährung. Die Adhärenz-Beraterin ist auch über die Rezeptausstellungs- Frequenz für die Patienten informiert und kann Verzögerungen in der Rezepteinlösung in Folgegesprächen ansprechen.

Wie hoch ist das Sicherheitsrisiko bei mangelnder Einnahmetreue?
Über verschiedene Erkrankungen hinweg ist das Risiko zu versterben bei einer schlechten doppelt so hoch als bei einer guten Therapietreue. Im Vergleich zu therapietreuen Patienten ist die Wahrscheinlichkeit der nicht-adhärenten Diabetespatienten im Verlauf zu versterben um 22% höher. Die Nebenwirkungen und damit die Komplikations- und Sterblichkeitsrate können auch in Folge von Medikamenteninteraktionen, z.B. durch selbständige Dosisänderungen erhöht sein.

Wie wirkte sich die Nicht-Adhärenz auf die
Krankheitskontrolle bei der HIV Erkrankung aus?

Eine niedrige Therapietreue korreliert mit einem Therapieversagen. So verbrachte in einer amerikanischen Untersuchung die adhärenten HIVPatienten nur 2,6 Tage im Jahr im Krankenhaus während die nicht-adhärenten im Schnitt fast zwei Wochen dort zubrachten.

 Welche Faktoren beeinflussen die Adhärenz?
Die Komplexizität der Einnahmevorschrift, z.B. Verzicht auf bestimmte Speisen, mehrere Einnahmen pro Tag, Begleitmedikationen, die Nebenwirkungen und das nicht ausreichende Krankheitsverständnis der Patienten tragen entscheidend zur Therapietreue bei.

Welche kurz- und langfristigen Ziele sollten erreicht werden –
welcher Patient, z.B. mit einer CML ist gut darüber informiert?

In einer Untersuchung an HIV Patienten zeigte sich, dass die Behandlungs- Komplexizität und die Nebenwirkungen die Hauptgründe für eine mangelnde Einnahme waren, während die Tablettengröße oder die Einnahmezeit weniger entscheidend waren. Es erstaunt nicht, dass Patienten, die an mehreren chronischen Erkrankungen leiden und die deshalb eine Vielzahl an Tabletten einnehmen sollten für eine signifikant schlechtere Therapietreue bekannt sind.

Wie sieht es bei der chronischen myeloischen Leukämie aus?
Sogar bei einem einmal täglich zu nehmenden Präparat wie Imatinib (Glivec) schaffen es nur 49% der Patienten mehr als 85% der verschriebenen Dosis im ersten Behandlungsjahr einzunehmen. Bis zu 71% der Patienten nehmen weniger als die verschriebene Imatinib-Dosis ein. Mit der vereinbarten Imatinib-Einnahme schaffen es 90% der CML-Patienten 9999 von 10.000 CML Zellen in ihrem Körper abzutöten (BCR-ABL <0,1 IS) während dies nur weniger als 20% der nicht-adhärenten Patienten gelingt. Durch die Entwicklung einer Therapieresistenz in der letzten Gruppe waren hier die Kosten, z.B. durch Umstellung auf teurere Zweitlinientherapien wesentlich höher. An dieser Stelle ist der Vergleich mit einer Antibiotikatherapie hilfreich, den viele Patienten aus eigene Erfahrung kennen: Wenn bei bakteriell verursachtem Fieber das Antibiotikum zu kurz eingenommen wird tritt häufig ein Rückfall auf bei dem das erste Antibiotikum nicht mehr wirksam ist. So verhält es sich auch bei der CML.

Welche Faktoren beeinflussen die Therapietreue bei der CML?
Zusätzlich zum bereits Genannten fiel bei den CML-Untersuchungen auf, dass –entgegen der Erwartung- jüngere Patienten eher einmal ein Tablette vergessen als ältere. Es verwundert nicht, dass Einnahmelücken eher bei allein Lebenden und bei langjährig an CML Erkrankten auffielen, sowie bei solchen Patienten, die mit hohen Dosierungen Imatinib behandelt werden. Auch die Behandlungskomplexizität hat einen Einfluss. Für die CML sind Imatinib, Nilotinib und Dasatinib zugelassen, die alle in bestimmten Zeitintervallen und teilweise unter Beachtung einer Nahrungskarenz eingenommen werden müssen, damit es nicht zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt. CML-Patienten sind oft älter und wiesen im Median sechs (!) Begleiterkrankungen auf und erhielten im Median vier verschiedene Medikamente dafür wie aus Krankenkassendaten hervorgeht. Eine gute Therapietreue stellt für diese Patienten eine Herausforderung dar.

Wie lässt sich die Therapietreue verbessern?
Als Maßnahme um die Medikamenteneinnahme zu verbessern kommen bessere Information, Verhaltenstraining, wie sich die Einnahme am besten in die tägliche Routine einpassen lässt und eine Kombination beider Interventionen in Betracht. Besser informierte Patienten erzielen bessere Ergebnisse. Doch auch Patienten, die durch entsprechend geschulte und pro-aktive Ärzte betreut werden fahren besser. Verbesserte Kommunikation, mehr Einbeziehung des Patienten, sich in dessen Perspektive hineinversetzen, gezielte Auswahl von Informationsmaterial, eine gute Arzt-Patient-Beziehung und die Zusammenarbeit mit Patientenselbsthilfegruppen helfen das Ziel zu erreichen. Direkte Hilfen für die Einnahmetreue können Medikamenten-Sortierer für den Tag und die ganze Woche sein. Die Einnahme unter Aufsicht, z.B. durch Familienmitglieder hilft manchen Patienten. D

ie amerikanische Gesellschaft für klinische Onkologie hat Minimalanforderungen für eine orale Chemotherapie definiert. Darunter fallen die Ausgabe von Informationsbroschüren an den Patienten vor Beginn oder zum Zeitpunkt der Verschreibung. Der Arzt soll sich über den Informationsstand des Patienten bezüglich der Einnahme und auch der Entsorgung übrig gebliebender Tabletten rückversichern. Die Unterweisung in die Medikamenteneinnahme soll die Familie oder Pflegende einbeziehen. Es wird empfohlen ein elektronisches Verschreibungssystem zu verwenden, um z.B. Fehler bei der Gewichtsadaptation der Dosierung oder bei Komedikationen zu vermeiden. Es sollte ein Dosierungskalender ausgegeben werden. Die Einbeziehung eines klinischen Pharmakologen in der Ambulanz wird angeraten.

Falls die Einnahme an den Nebenwirkungen scheitert sollte der Nutzen der Therapie dem gegenübergestellt werden. Es müssen Wege aufgezeigt werden um den Nebenwirkungen zu begegnen und es muß eventuell eine Dosisanpassung oder sogar eine Therapieumstellung erfolgen. Da die Therapietreue durch viele Faktoren beeinträchtigt wird ist eine multifaktorielle Herangehensweise am Wirkungsvollsten.

Es bleibt als Fazit:
Eine hohe Therapietreue ist die beste Investition in die Zukunft Maßnahmen um Hemmfaktoren zu beseitigen können den Gesundheitszustand großer Patientengruppen verbessern.Es gibt klare Hinweise, dass die Therapietreue den Gesundheitzustand verbessert und die Folgekosten von Krebserkrankungen vermindert.

 

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