Immuntherapie in der Onkologie – neue Standards und zukünftige Strategien

Das Immunsystem stärken, um den Krebs zu bekämpfen. Das ist seit langem der Wunsch vieler Patientinnen und Patienten sowie Krebstherapeuten. Genährt wird diese Hoffnung aus Einzelfallbeobachtungen eines spontanen Tumorrückgangs, sowie durch therapeutische Erfolge mit immunstimulierenden Medikamenten insbesondere beim malignen Melanom, dem schwarzen Hautkrebs, sowie dem Nierenzellkarzinom. Frühe immunaktivierende Therapien mit Interferon und Interleukin-2 in den 1980er Jahren waren sehr nebenwirkungsreich. Die Behandlung mußte meist stationär auf einer Überwachungseinheit durchgeführt werden. Ein Langzeit-Therapieerfolg war nur bei einzelnen Patienten zu verzeichnen.

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Die Frage war, wie Tumoren es schaffen sich vor dem Immunsystem zu verstecken oder es ruhigzustellen. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat einige dieser Mechanismen aufgedeckt und daraus neue Immuntherapien für Tumoren abgeleitet.

T-Zellen sind die „Polizisten“ des Immunsystems. Sie werden durch eine Vielzahl an Signalen ruhiggestellt oder auch aktiviert. Dies geschieht an sogenannten Immun-Kontrollpunkten (Checkpoints). Hier können Tumorzellen regulierend eingreifen, um sich vor dem Zugriff des Immunsystems zu schützen. Der CTLA-4 (anti–cytotoxic T-lymphocyte– associated antigen 4) und der PD-1 (programmed cell death protein 1)-Signalweg sind dafür von zentraler Bedeutung. Gegen beide Stoffwechselwege wurden blockierende Antikörper entwickelt. Dadurch werden die schlafenden T-Zell-„Polizisten“ wieder aufgeweckt und gegen den Tumor in Marsch gesetzt.

In einem Symposium des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg  wurden im Februar 2015 die seit kurzem zugelassenen und die noch in klinischen Studien befindlichen Therapieansätze der Modulation von Immun-Kontrollpunkten für verschiedene häufige Tumorarten beleuchtet.

Malignes Melanom

Antikörper-basierte immunaktivierende Therapien mit CTLA-4 und PD-1 als Zielstrukturen haben in kurzer Zeit aufgrund der beeindruckenden Erfolge eine breite Anwendung gefunden. Inzwischen liegen beim Malignen Melanom für den CTLA-4 Antikörper Ipilimumab Erfahrungen mit mehr als 5000 Patienten aus den klinischen Studien und dem Markteinführungsprogramm vor.

Erstmals wurde mit Ipilimumab beim metastasierten Melanom in 20% der Patienten ein stabiles Langzeitüberleben nach 3 Jahren beobachtet. So gute Zahlen lassen sich auch nicht mit den neuen für BRAF-mutierte Melanome zugelassene Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) erzielen. Als neue Zielstruktur ist nun PD-1 hinzugekommen. Nivolumab ist ein PD-1 Antikörper mit dem die meisten Erfahrungen vorliegen. Er wird allein und in Kombination eingesetzt.

Im Jahr 2013 berichtete die Studiengruppe um Wolchok ihre Erfahrungen einer Kombination der anti-CTLA-4 und anti-PD-1 Antikörper. Sie konnten beim metastasierten Melanom ein Überleben von 88% der Patienten nach zwei Jahren berichten.

Beim metastasierten malignen Melanom kann –wie von Alexander Enk (Heidelberg) dargestellt- mit dem PD-1 Antikörper Nivolumab allein eine mittlere 2-Jahres-Überlebensrate von 42% erzielt werden.

Dies ist mehr als durch die bisher verfügbaren Ansätze mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Vemurafenib, mit dem CTLA-4 Antikörper Ipilimumab oder einer Chemotherapie erreicht werden kann. Das war noch vor kurzem ein nicht erreichbar scheinendes Ziel. Die Therapie erfolgte dabei ambulant und ist unaufwendig. Die Nebenwirkungen können allerdings gravierend sein und es braucht einen erfahrenen Onkologen, um damit sicher umgehen zu können. Häufig kommt es durch die Immunaktivierung und den Kampf der Immunzellen gegen den Tumor in der Bildgebung zunächst zu einer Größenzunahme, einer Pseudoprogression, bevor eine Regression eintritt. Deshalb sollte das objektive Therapieansprechen erst nach 6-8 Wochen beurteilt werden.  Interessant ist auch, dass bei einer Tumorzunahme eine nochmalige Gabe einer solchen immunstimulierenden Therapie wieder wirksam sein kann.

Tumoren, die besonders gut ansprechen sind solche mit einer hohen Zahl an Erbgutveränderungen im Tumor, das heißt hohen Mutationsraten. Die Tumorzellen unterscheiden sich dadurch stärker von den normalen Körperzellen und sind deshalb für das Immunsystem leichter erkennbar.

Im April 2015 gab die Europäische Arzneimittelbehörde EMA deshalb ein positives Votum für die Zulassung von Nivolumab für die Behandlung des fortgeschrittenen Malignen Melanoms.

Lungenkrebs / Bronchialkarzinom

Die Rolle der neuen Immunaktivatoren beim Lungenkarzinom wurde ausführlich von Helge Bischoff (Heidelberg) beleuchtet. Die Wirksamkeit des CTLA-4 Antikörpers  Ipilimumab beim Bronchialkarzinom wurde bereits 2012 von einer internationalen Studiengruppe gezeigt und inzwischen an einer größeren deutschen Patientengruppe 2013 bestätigt.

Der PD1 Antikörper Nivolumab wurde von der Gruppe um Brahmer eingesetzt und zeigte beim Plattenepithelkarzinom in der Check-Mate 017 Studie ein 1-Jahres Überleben von 42% in der ersten Studien und in der CA209-003 Studie eine mediane Response-Dauer von 75 Wochen. Die Überlebenszeit liegt damit fast doppelt so hoch wie es mit einer konventionellen Chemotherapie mit Docetaxel bisher erreichbar war. Diese Daten veranlassten die Europäische Arzneimittelbehörde zu einem positiven Votum für Nivolumab. Eine Zulassung für die Therapie fortgeschrittener oder metastasierter Plattenepithel-Bronchialkarzinome nach Chemotherapie-Vorbehandlung ist im Juli 2015 erfolgt.

Auch mit dem PD1-Ligand Antikörper Pembrolizumab wurde von Garon und Mitarbeitern auf der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Onkologie für das Adeno-Bronchialkarzinom ein Gesamtüberleben von 40%-80% berichtet. Dies war abhängig von der PD1 Expression im Tumor.

Mit dem PD1-Ligand Antikörper MPDL3280A, wurde -unabhängig ob es sich um ein nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom mit Plattenepithel- oder Adenokarzinom-Histologie handelte- eine Ansprechrate von 85% beobachtet. Nach 6 Monaten betrug das progressionsfreie Überleben 45%. Die besten Ansprechraten fanden sich auch hier bei der höchsten PD1-Ligand-Expression.

Nierenzellkarzinom

Interessante Daten zu urologischen Tumoren wurden von Carsten Grüllich (Heidelberg) vorgestellt. Der PD1-Antikörper Nivolumab erzielte in der CA209-010 Studie beim metastasierten Nierenzellkarzinom ein 2-Jahres-Überleben von 50%, sowie ein Langzeitansprechen bei 20%. Dies unterschied sich von einer Ansprechrate von 22% bei Patienten mit hoher PD1-Expression im Tumor zu 8% bei solchen mit niedriger Expression. Mit einem Gesamtüberleben von im Mittel 25 Monaten sind die Ergebnisse mit dem immunstimulierenden Antikörper besser als die in den AXIS, RECORD-1 und weiteren Untersuchungen veröffentlichten Ergebnisse mit Tyrosinkinaseinhibitoren beim Nierenzellkarzinom. Die Kombination von Nivolumab und Ipilimumab in der Ca209-016 Studie zeigte ein Ansprechen mit  anhaltender Wirksamkeit in 80% der Patienten und ein Überleben von 65% nach zwei Jahren. Immerhin setzen aufgrund der Nebenwirkungen 30% der Patienten die Therapie ab. Selbst bei diesen fand sich in 45% noch ein anhaltendes Tumoransprechen. Dies legt nahe, dass bereits eine einmalige Aktivierung des Immunsystems ausreichen könnte, um wieder die Kontrolle über den Tumor zu gewinnen. Phase-III Studien in der ersten Therapielinie sind beim metastasierten Nierenzellkarzinom geplant. Auf der Basis vorliegender Daten wird zunächst voraussichtlich eine Zulassung immunstimulierender Antikörper nach Versagen von Tyrosinkinaseinhibitoren beantragt.

Die simultane Kombination von Nivolumab mit den für das Nierenzellkarzinom zugelassenenen TKI Sunitinib oder Pazopanib war in der CA209-016 Studie zwar sehr gut wirksam. In 70% bis 80% der Patienten traten jedoch höhergradige Nebenwirkungen auf. Dabei handelte es sich vorwiegend um TKI-typische Nebenwirkungen. Als Weiterentwicklung werden innovative Ansätze wie z.B. sequentielle Therapien geprüft.

Beim Prostatakarzinom ist die Wirksamkeit immunstimulierender Antikörper bisher nicht belegt. Eine Studie mit Ipilimumab nach Chemotherapie-Versagen zeigte keinen Benefit für die Patienten. Eine Re-Analyse legte einen möglichen Nutzen für Patienten mit einer niedrig-aggressiven Erkrankung nahe. Weitere Studienbemühungen gehen in diese Richtung.

Morbus Hodgkin

Vielversprechende Ergebnisse bei hämatologischen Neoplasien berichtete Mathias Witzens-Harig (Heidelberg).  Der PD1-Blocker Nivolumab zeigte eine gute Wirksamkeit beim rezidivierten Morbus Hodgkin.

Nebenwirkungen

Den Nebenwirkungen der neuen Immuntherapien war ein eigener Vortrag von Guy Ungerechts (Heidelberg) gewidmet. Wie bei klassischen Chemotherapien kommen in 10-20% der Behandlungen höhergradige, Grad 3 oder Grad 4, Nebenwirkungen vor. Diese unterscheiden sich allerdings vom Bekannten. Es werden Hautentzündungen/ Dermatitis, Dickdarmentzündungen mit Durchfällen /Colitis, Leberentzündungen mit entsprechenden Laborveränderungen /Hepatitis, eine Entzündung der Hirnanhangsdrüse /Hypophysitis mit Schilddrüsenunterfunktion beobachtet. Die Dermatitis tritt oft nach 3 Wochen auf und die anderen Nebenwirkungen mit einem Maximum bis Woche 7 nach Therapiebeginn.

Aufgrund von Nebenwirkungen an der Lunge im Sinne einer Pneumonitis ist es erforderlich die Atemfunktion (Diffusionskapazität) bei betroffenen Patienten im Verlauf zu bestimmen.

Hier gilt es aufmerksam zu sein. Es kann eine Suppression des übermäßig aktivierten Immunsystems mit Cortison und je nach Schweregrad zusätzlich Mycophenolat-Mofetil, Infliximab, FK-507 oder Cyclophosphamid erforderlich sein. Hormonmangelerscheinungen durch die Hypophysitis bzw. Hormonüberfunktionen sind zu behandeln.

Immunstimulierende Therapieansätze sind besonders für bisher medikamentös nur schwer angehbare Tumoren wie das Maligne Melanom, das Bronchialkarzinom oder das Nierenzellkarzinom vielsprechend. Bei bestimmten Subgruppen des Mammakarzinoms konnte ebenfalls eine Wirksamkeit nachgewiesen werden, die in Studien weiter charakterisiert wird. Im Gegensatz zu allen anderen medikamentösen Therapien für die genannten Tumoren, erlauben immuntherapeutische Ansätze bei ansprechenden Patienten, eine längerfristige und stabile Krankheitskontrolle.

Das Wichtigste in Kürze

-Neuzulassung eines PD1-Antikörpers für das Maligne Melanom und für das Bronchialkarzinom mit dem Subtyp eines Plattenepithelkarzinoms. Weitere Tumorarten sind in klinischer Prüfung.

-Nebenwirkungen des neuen PD1-gerichteten Immunaktivators sind insgesamt geringer als die Nebenwirkungen einer Standardchemotherapie

Quelle: Prof. Dr. Stefan Frühauf, Herausgeber Krebsmagazin

Klinik Dr. Hancken, Harsefelder Straße 8, 21680 Stade

 

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