Schwerpunkt: Darmkrebs   
 Einführung neuer Antikörper
Neue Hoffnung für Patienten mit Dickdarmkrebs

Der Dickdarmkrebs ist eine der häufigsten bösartigen Erkrankungen in der westlichen Welt. In frühen Stadien kann ein Dickdarm- oder Enddarmkrebs durch alleinige Operation geheilt werden. In weiter fortgeschrittenen Stadien hat sich eine zusätzliche Chemotherapie durchgesetzt, die bislang unsichtbare Krebszellen vernichten kann und so die Heilungschancen der Patienten nach Operation weiter verbessert. Die hierfür eingesetzten Chemotherapieregime sind insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung, die bereits Metastasen, d. h. Tumorabsiedlungen in anderen Organen hatten, entwickelt worden. Bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Darmkrebs erleben wir derzeit eine stürmische Entwicklung der Verbesserung der Therapiekonzepte und Einführung neuer wirksamer Chemotherapieregime. In den 80iger Jahren haben wir gelernt, dass das seit Ende der 50iger Jahre bekannte Zytostatikum 5-Fluorouracil (5-FU) nicht als kurze Infusion, sondern über 24 bzw. 48 Stunden zu verabreichen ist und dies mit einem weiteren Medikament, der Folinsäure, zu kombinieren, um damit die Wirksamkeit zu steigern bei gleichzeitig geringerer Rate an Nebenwirkungen. In den 90iger Jahren erlebten wir die Zulassung von zwei neuen Krebsmedikamenten, die zusammen mit der Gabe von 5-Fluorouracil zu einer weiteren Verbesserung der Wirksamkeit führten. Zum einen war dies das Medikament Irinotecan, welches bei 5-FU vorbehandelten Patienten zu einer Überlebensverlängerung führte und schnell einen Einzug in die Erstlinientherapie bei bislang unvorbehandelten Patienten mit Fernmetastasen fand. Das weitere Medikament Oxaliplatin führt ebenfalls wie die Kombination mit Irinotecan zu einer deutlichen Tumorverkleinerung, Verlängerung des rückfallfreien und des Gesamtüberlebens. Als Synonym für Chemotherapieregime, die Irinotecan enthalten und auf 5-FU Dauerinfusionsbasis appliziert werden, gilt das sogenannte FOLFIRI-Regime bzw. das FOLFOX-Regime, welches eine Kombination aus Oxaliplatin bezeichnet. Beide Chemotherapieregime führen zu Veränderungen des Blutbildes und können bei einigen Patienten erhebliche Durchfälle auslösen. Durch entsprechende Dosisreduktion kann diese Nebenwirkung beherrscht werden und die Therapiefortsetzung mit guter Verträglichkeit ist ermöglicht. Oxaliplatin-haltige Schemata können in Abhängigkeit von der Dosis zu Kribbeln in den Händen und Füßen führen, welches temperaturabhängig ausgelöst wird und insbesondere bei Kälte auftritt. Diese Nebenwirkung tritt typischerweise für 3 – 4 Tage nach der Infusion von Oxaliplatin auf und sollte dann wieder abgeklungen sein. Bei länger anhaltender Nebenwirkung oder stärkerem Schweregrad muss eventuell auf die weitere Gabe von Oxaliplatin verzichtet werden. Irinotecan-haltige Schemata können zu verstärktem Haarausfall führen, der je nach Regime bei 10 – 40 % der Patienten auftreten kann. Sowohl das FOLFIRI als auch das FOLFOX-Regime werden als Erstlinientherapie eingesetzt. Falls die erste Chemotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt, wird dann häufig das alternative Regime in der Zweitlinientherapie eingesetzt.

Zwei neue Medikemantenwirkstoffe, die zur Therapie des Dickdarmkrebses erst kürzlich zugelassen wurden sind: Bevacizumab und Cetuximab. Diese wurden insbesondere in Kombination mit Irinotecan getestet und zugelassen. Nachfolgend wird in diesem Artikel auf Cetuximab eingegangen werden. Über die zweite neue Stubstanz Bevacizumab wurde auf Seite 11 in einem weiteren Artikel von Herrn Dr. Graeven detailliert berichtet.

Zellen des Dickdarmkrebses tragen auf ihrer Zelloberfläche einen Rezeptor, der auch als epidermaler Wachstumsfaktor (EGF) bezeichnet wird. Über diesen Rezeptor docken verschiedene Proteine an, die dann ein Zellwachstum bewirken können. Wenn besonders viele von diesen Rezeptoren vorhanden sind, kann dies mit einer ungünstigeren Prognose verbunden sein. In der letzten Zeit sind verschiedene Medikamente entwickelt worden, die in diesen Krebszell-Stimulationsprozess eingreifen. Der prominenteste Vertreter ist das Medikament mit dem Namen Cetuximab, welches ein Antikörper gegen den EGF-Rezeptor ist. Dockt nun dieser Antikörper an den Rezeptor an, verdrängt er die Proteine, die normalerweise an diesen Rezeptor anbinden, womit die Tumorwachstum-stimulierende Wirkung unterbrochen wird. In Zellkulturen und jetzt kürzlich auch in klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass Patienten, die auf eine Irinotecan-haltige Chemotherapie resistent waren, durch Zugabe des EGFR-Antikörpers Cetuximab erneut eine Tumorwachstumshemmung oder Tumorverkleinerung erfahren konnten. In Studien war die Kombination aus Irinotecan und Cetuximab einer alleinigen Gabe von Cetuximab bei Irinotecan-resistenten Patienten überlegen. Aus diesem Grunde hat die Europäische Zulassungsbehörde Mitte letzten Jahres die Einführung dieses Medikamentes in Kombination mit Irinotecan in den Routinegebrauch empfohlen.

Sowohl Cetuximab als auch Bevacizumab sind eine wesentliche Bereicherung der Behandlungsmöglichkeiten unserer Patienten. Das Interessante ist, dass es sich bei diesen Medikamenten nicht um klassische Chemotherapieregime handelt und daher das Nebenwirkungsspektrum sich deutlich von einer klassischen Chemotherapie unterscheidet. Deshalb ist es möglich, diese Medikamente mit der normalen Chemotherapie zu kombinieren, da die Rate an chemotherapiebedingten Nebenwirkungen nicht, oder allenfalls nur gering steigt. Beide Antikörper haben jedoch ein typisches Nebenwirkungsspektrum, welches mit den Patienten zu besprechen ist.

Die EGF-Rezeptoren sind sehr häufig auf Hautzellen vorhanden. Eine typische Nebenwirkung des Cetuximabs ist ein akneartiger Hautausschlag, welcher vor Allem am Anfang der Therapie recht heftig auftritt, jedoch später trotz Fortführung der Therapie deutlich abnimmt. Die Patienten sind hierüber besonders aufzuklären. Die Auswertung der Studienergebnisse zeigten, dass gerade die Patienten, die einen heftigen Hautausschlag bekommen haben, von einer solchen Therapie profitieren. Aus diesem Grunde wird in laufenden Studienkonzepten geprüft, ob bei Patienten, die zunächst keinen Hautausschlag bekommen, durch Dosiserhöhung des Medikamentes dieser erzeugt und somit die Wirksamkeit einer solchen Behandlung verbessert werden kann. Da ein solches Vorgehen noch nicht bewiesen ist, gilt heutzutage weiter die Empfehlung einer Standardtherapie mit einer höheren Anfangsdosis und dann wöchentlichen Einzelinfusionen in einer niedrigeren Dosierung. Längerfristig können sich dann Nagelbettveränderungen einstellen, während der Hautausschlag deutlich zurückgeht.

Aufgrund ihres unterschiedlichen Wirkmechanismus‘ und Nebenwirkungsprofils erscheint es sinnvoll, beide Antikörper in der Zukunft im Rahmen von klinischen Studien zu kombinieren, um die Wirksamkeit der Chemotherapie weiter zu verbessern. Zur Zeit gewinnt man den Eindruck, dass Cetuximab in Kombination mit Irinotecan insbesondere die Rate an Tumorverkleinerungen verbessert, während Bevacizumab dies in geringerem Ausmaß vermag, aber ein einmal erreichtes Ansprechen vielleicht verlängert.

Insgesamt gibt es jedoch eine Fülle von offenen Fragen im Einsatz beider neuer Medikamente, sodass weiterhin intensiv unseren Patienten die Teilnahme an klinischen Studien angeboten wird. Insbesondere ist unklar, welchen Stellenwert Cetuximab und Bevacizumab in der Erst- bzw. Zweitlinientherapie aufweisen, in welcher Sequenz beide Medikamente eingesetzt werden sollten, ob beide Medikamente, wenn sie einmal erfolgreich waren, auf Dauer den Patienten auch in Kombination mit unterschiedlichen Chemotherapieregimen angeboten werden sollten.

Patienten mit auf die Leber oder auf die Lunge beschränkten Tumorabsiedlungen haben nicht selten eine erneute Heilungschance, wenn diese Metastasen operiert werden können. Es besteht die Hoffnung, durch eine zuvor durchgeführte Chemotherapie die Tumorgröße so weit zu verkleinern, dass auch bei zunächst nicht operablen Metastasen zu einem späteren Zeitpunkt eine Operation ermöglicht wird. Durch den Einsatz der Chemotherapieregime FOLFIRI, FOLFOX – eventuell in Kombination mit Cetuximab und Bevacizumab – kann in Zukunft möglicherweise noch mehr Patienten eine Operation angeboten werden. Auch hierzu laufen klinische Studien, die den Einsatz dieser Medikamente in dieser Situation und Strategie überprüfen.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass Patienten von dieser stürmischen Entwicklung profitieren oder zukünftig profitieren werden. Wir stehen erst am Anfang, die uns zur Verfügung stehenden Handwerkszeuge richtig einzusetzen. Darüber hinaus ist mit diesen Medikamenten eine völlig neue Ära in der Krebsbehandlung aufgestoßen, die wir beim Brustkrebs mit dem Einsatz des Medikamentes Trastuzumab und beim Lymphknotenkrebs mit dem Antikörper Rituximab seit einigen Jahren kennen. Da in Zukunft weitere Substanzen in der klinischen Entwicklung kurz vor ihrem Durchbruch stehen, muss heutzutage unsere Strategie sein, die Tumorerkrankung möglichst lange unter Kontrolle zu halten, damit unsere Patienten von zukünftigen Entwicklungen profitieren können.