Schwerpunkt: Darmkrebs   
 Neues Darmkrebs-Medikament
ermöglicht Patienten längeres Leben


In den letzten Jahren hat sich Darmkrebs zur zweithäufigsten Tumorart weltweit entwickelt.
Allein in Deutschland werden jährlich rund 66.000 Menschen mit dieser Diagnose konfrontiert.
Etwa die Hälfte der Patienten stirbt an den Folgen der Erkrankung, weil sie erst in einem späten Stadium entdeckt wird und der Tumor bereits Tochter-
geschwülste – also Metastasen – in den Körper gestreut hat.

Ist die Erkrankung erst einmal soweit fortgeschritten, dass eine Operation nicht mehr möglich ist und/oder Metastasen in anderen Organen vorhanden sind, gilt sie als nicht mehr heilbar. Therapieziel ist in diesen Fällen eine Lebensverlängerung bei möglichst wenig Schmerzen und anderen belastenden Symptomen: also bei guter Lebensqualität.

Bislang galt eine krankheitsstabilisierende und lindernde Chemotherapie mit 5-Fluorouracil (5-FU) in Kombination mit Folinsäure (FS) und Irinotecan oder Oxaliplatin – alternativ auch nur 5-FU/FS – als Standard bei der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs. Mit diesen Kombinationen lässt sich schon heute bei der Mehrzahl der Patienten eine Verkleinerung des Tumors erreichen.

Arzt im Gespräch mit Patientin
Neue Hoffnung auf eine weitere Verbesserung der Therapieergebnisse bietet nun ein völlig neues Wirkprinzip in der Tumortherapie: Mit dem biotechnologisch hergestellten monoklonalen Antikörper Bevacizumab ist der Wissenschaft nun ein Durchbruch gelungen, von dem sie 30 Jahre lang geträumt hat. Erstmals konnte in einer Studie gezeigt werden, dass die Anti-Angiogenese – also die Hemmung der Gefäßneubildung des Tumors – ein wirksames Therapieprinzip darstellt.

An sich ist die Angiogenese ein normaler Vorgang im menschliches Körper. Sie ist vor allem ein wesentlicher Bestandteil der vorgeburtlichen Entwicklung. Während dieser Zeit werden neben Muskeln, Organen und anderen Geweben auch die Blutgefäße gebildet. Doch auch beim erwachsenen Menschen gibt es die Angiogenese. So werden etwa bei der Wundheilung neue Blutgefäße gebildet, damit Abwehrzellen und "Baumaterial" zur Reparatur des Gewebes herantransportiert werden können.

In den 70er Jahren wurde entdeckt, dass es auch bei Krebserkrankungen zu einer Angiogenese, die man dann Tumor-Angiogenese nennt, kommt. Tumorzellen benötigen, wie alle anderen Zellen im Körper, Nährstoffe und Sauerstoff. Da Krebszellen sich sehr schnell teilen, ist ihr Bedarf sogar besonders hoch. Bei einer Größe von 1 bis 2 Millimetern kann sich ein Tumor noch mit Nährstoffen und Sauerstoff aus seiner Umgebung versorgen. Für ein weiteres Wachstum und die Bildung von Metastasen reicht die Versorgung dann aber nicht mehr aus. Der Tumor setzt als eine Art Schlüsselsignal den Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) frei. Der Empfänger von VEGF sind die Blutgefäße in der Nähe des Tumors. Bestimmte Zellen der Blutgefäße, sogenannte Endothelzellen, besitzen auf der Oberfläche spezielle Antennen zum Empfang des VEGF-Signals – die sogenannten VEGF-Rezeptoren.

Wenn VEGF an die Rezeptoren gebunden hat, beginnen sich die Endothelzellen zu teilen. Die Blutgefäße bilden dann Verzweigungen, aus denen neue Blutgefäße entstehen: Und zwar in die Richtung, aus der die Signale eingetroffen sind. So wird der Tumor schon bald von einem engen Gefäßnetz versorgt. Wenn der Tumor weiter wächst, wird der Sauerstoff bald wieder knapp. Er bildet dann neues VEGF, was zur Bildung weiterer Blutgefäße führt. Die Angiogenese ist also ein ständig andauernder Prozess im Verlauf des Tumorwachstums. Auch die Metastasierung des Tumors wird durch diesen Prozess möglich, da Tumorzellen durch die neu gebildeten Blutgefäße auswandern und sich in anderen Organen ansiedeln können.

Schaubild: Wirkungsweise von Bevacizumab bei der Angiogenese des Tumors Der Tumor bildet über den Wachstumsfaktor VEGF neue Blutgefäße (Angiogenese), über die er sich mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Bevacizumab bindet sich an diese Wachstumsfaktoren, wodurch die Bildung dieser neuen Blutgefäße verhindert wird. Der Tumor wird regelrecht ausgehungert.
Das neue Medikament richtet sich gezielt gegen den Wachstumsfaktor VEGF. Er fängt VEGF ab und verhindert so die Entwicklung neuer Blutgefäße, bereits entwickelte Blutgefäße werden zurückgebildet. Das Tumorwachstum und die Bildung von Metastasen werden so gehemmt. Der Tumor verhungert regelrecht.

Da der Antikörper ein Eiweiß ist, kann er nicht als Tablette eingenommen werden, da Eiweiße im Darm zersetzt werden. Stattdessen wird er langsam als Infusion in eine Vene gegeben. Bei der ersten Infusion soll dies über 90 Minuten geschehen.
Dadurch lassen sich mögliche Unverträglichkeitsreaktionen des Patienten gegen den Antikörper, die selten vorkommen, leicht erkennen. Später können die Infusionen in kürzerer Zeit gegeben werden: zunächst über 60 Minuten, dann auch in 30 Minuten. Die Infusion wird alle 14 Tage wiederholt. Dies berücksichtigt die Lebensdauer der Antikörper im Menschen, die etwa 14 Tage beträgt. Die Wiederholungen sind notwendig, da der "hungernde" Tumor die Bildung von VEGF stetig fortsetzt, so dass auch die AntiAngiogenese-Therapie stetig fortgesetzt werden muss.

Bisher ist Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie als Erstlinienbehandlung von Patienten mit metastasiertem Darmkrebs zugelassen. Als erster und bisher einziger Vertreter des neuen Wirkprinzips verlängert der Antikörper in Kombination mit einer Chemotherapie im Vergleich zu der alleinigen Chemotherapie das Überleben dieser Patienten deutlich. Auch wurde durch die Kombinationstherapie die Zeitdauer, in der die Krankheit nicht fortgeschritten ist, wesentlich verlängert. Für die Behandlung des metastasierten Darmkrebses ist das ein gewaltiger Sprung nach vorn, der das Ziel, den Krebs eines Tages heilen zu können, ein gutes Stück näher bringt.

Auch zeichnet sich Bevacizumab durch sehr gute Verträglichkeit aus: Wichtige aber selten auftretende Nebenwirkungen sind ein Blutdruckanstieg, der leicht zu behandeln ist. In sehr seltenen Fällen kommt es auch zu einem Darmdurchbruch. Von Vorteil ist, dass es unter der Therapie nicht zu Knochenmarkschädigungen kommt. Außerdem verursacht der Angiogenese-Hemmer keine Übelkeit, kein Erbrechen und keinen Haarausfall.

Derzeit wird das Medikament in Kombination mit einer Chemotherapie auch bei Patienten mit Darmkrebs in früheren Stadien geprüft. Zudem wird untersucht, ob dieser Wirkmechanismus auch für zahlreiche andere bösartige Tumoren wie Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie Nierenzellkarzinomen von Bedeutung sein könnte.