Zufallsbefund Liposarkom: Mein langer Weg durch die Krankheit

Es war am 25. August 2009. An diesem Tag fand durch meinen Internisten die Kontrolle der Schilddrüse per Ultraschall statt. Er konnte glücklicherweise keine Veränderungen an den drei Knoten feststellen, die vor eineinhalb Jahren diagnostiziert wurden. Als er auf meine Bitte hin ein Bauchultraschall durchführte, entdeckte er Zysten an der Niere und überwies mich zum CT in die Radiologie. Ich fragte mich, warum überweist er mich wegen so einem Befund zu solch einer Untersuchung. Wenig später erfuhr ich den Grund. Noch am gleichen Tag nach dem CT holte ich mir selbst die Kopie meines Befundes ab.

Diagnose Liposarkom_BILD Foto: anoli – fotolia.com

Vorgewarnt war ich ja schon, denn der Röntgenarzt sagte mir auf meine Nachfrage hin: “Es sieht nicht gut aus – Sie müssen zu weiteren Untersuchungen in die Uniklinik”. In diesem Moment spürte ich eine schwere Last und Ungewissheit. Ich empfand das große Bedürfnis es unbedingt jemand zu erzählen. Nach der Untersuchung wieder am Arbeitsort angelangt, konnte ich mit einer lieben Kollegin darüber sprechen. Hierdurch wurde mir ein Stück meiner Bedrückung abgenommen.

Nachmittags vermochte ich immer noch nicht, den wichtigen Brief mit dem Befund zu öffnen. Die Anspannung stand mir im Gesicht geschrieben. Deshalb bat ich eine Freundin darum. Erst etwas später war es mir möglich, ihn selbst zu lesen. Einwachsung eines 27 cm großen Liposarkoms in die linke Niere. Mein Internist wollte mit dem CT seine vermutete Diagnose sicherstellen. Wie gut, dass ich ihn um die Bauchultraschalluntersuchung gebeten hatte. In den darauffolgenden Tagen benötigte ich etwas Zeit, um zwischen Wahrnehmung und Realität hin- und herzuschalten. Ich war wie gelähmt. Die erste Woche danach bin ich noch arbeiten gegangen, denn ich dachte mir, dass ich sonst nur zu Hause grübeln würde.

 

Diagnose Krebs. Erst waren es immer nur die anderen und mich betraf es nicht. Jetzt musste ich lernen, selbst damit umzugehen. Mein Glaube an Gott und das Gebet haben mir dabei geholfen. Von Anfang an konnte ich mit mir vertrauten Menschen darüber beten, was mir sehr gut tat. Auch das Wissen, dass meine Familie und viele andere dann selbst für mich beteten, war für mich eine große Erleichterung.

 

Die weitere Behandlung begann eine Woche später im Uniklinikum. Vom dortigen Krebszentrum erhielt ich dann auch die Krankschreibung. Es erfolgten nochmals ein CT der Lunge, ein MRT des Bauchraums, Blut- und Urinuntersuchungen. Im Arztgespräch wurde mir schließlich vieles erklärt und meine im Vorfeld aufgeschriebenen Fragen bereitwillig beantwortet. In weiteren zweieinhalb Wochen sollte die Operation folgen. Sicher, die Gedanken kreisten fast ständig darum, aber glücklicherweise bin ich nicht in ein tiefes Loch gefallen.

 

Einen langgehegten Wunsch lies ich vorher noch wahr werden: Eine Nacht in einem Fünf Sterne Hotel verbringen. Ich dachte mir, wenn nicht jetzt, wann dann. Im Internet fand ich ein Angebot für ein Luxushotel, welches ich gleich buchte. Auf meine Anfrage hin fuhren mein Bruder und meine Schwägerin mich mit dem Auto dorthin. Das fand ich so nett von ihnen und ich freute mich sehr darüber. Weiterhin organisierte ich einen Besuch meines Patenkindes mit ihrem Freund für den Abend, wo ich sie dort zum Essen einladen konnte. Das war alles so angenehm. Jede “Portion” Freude stärkte mich. Wenn auch die OP im Hintergrund schwebte, so konnte ich das alles zum größten Teil genießen.

 

Die Zeit bis zur Operation nutze ich auch, um mich zu informieren und vieles vorzubereiten. Eine Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht und sogar ein Testament erstellte ich. Zuvor hatte ich mich nie mit so etwas befasst. Jetzt war es ein Muss. Meine Recherchen führten mich auch zum Sarkom-Zentrum. Ich suchte nach dem mir Nächstgelegenen und rief dort an. Die Mitarbeiterin am Telefon war sehr nett, sie kümmerte sich umfassend und leitete mich an eine Oberärztin weiter, welcher ich eine CD von meiner Voruntersuchung (CT) schickte. Nachdem sie diese ausführlich ansah, fragte ich sie nach ihrer ehrlichen Meinung, ob ich mich im wohnortnahen Uniklinikum operieren lassen kann oder ob es nötiger wäre, dies im Sarkom-Zentrum vornehmen zu lassen. Sie stimmte Ersterem zu und ich war sehr froh darüber. Als mündiger Patient finde ich es sehr wichtig, eine Zweitmeinung einholen zu können. Hier muss man wirklich selbst aktiv sein, das lernte ich jedoch im Verlauf meiner Erkrankung.

Die OP… und der steinige Weg zurück ins Leben

Das Datum der Operation rückte unweigerlich näher. Die Vorbereitung und Durchführung dauerte circa acht Stunden und wurde von einem zwölfköpfigen Operationsteam geleistet. Gegen 18:30 Uhr wachte ich auf der Intensivstation auf. Ich weiß noch, dass mir sehr übel war. Das Personal reagierte schnell und spritzte zusätzlich etwas gegen die Übelkeit in die Infusionslösung. Ich war sehr erleichtert, als das anschlug. Die Nacht konnte ich sehr schlecht schlafen, aber ich war froh, es bis hierher geschafft zu haben. Am nächsten Tag musste ich mich im Bett aufsetzen und dann neben das Bett stellen. Wie anstrengend so etwas sein kann, später auch die ersten Gehversuche. Meinen 55. Geburtstag “feierte” ich nun auf der Intensivstation. Etwas später erfuhr ich den Umfang des großen

Eingriffs. Es bedeutete die Entfernung des fast 30 cm großen Liposarkoms unter Einbindung eines großen Sicherheitsabstandes, also der linken Niere und Nebenniere, der Milz, eines Teils des Zwerchfells, des Bauchspeicheldrüsenschwanzes und eines großen Teils des Dickdarms (Sigma).

Wie dankbar bin ich dafür, dass ich aus der Narkose aufwachte und diese große Operation überstanden habe. Dennoch war ich nach circa einer Woche körperlich und seelisch ganz unten. Wie sehr freute ich mich über jeden Anruf und Besuch, auch wenn mir das Sprechen eine längere Zeit schwer fiel. Mein Zungenhintergrund schien wie gelähmt. Dies war wohl eine Nebenwirkung der langen Narkose. Die nächsten Wochen fiel es mir sehr schwer länger als fünf bis zehn Minuten zu sitzen oder auch nur zwei Minuten zu stehen. Erst nach langer Zeit verspürte ich ein wenig Linderung. Laufen und Treppensteigen üben waren sehr anstrengend. Aber jeder kleine Fortschritt gab Kraft und Zuversicht preis. Chemotherapie und Bestrahlung kamen in meinem Fall nicht zur Anwendung. Diese Nachricht empfand ich als sehr entlastend.

Meine Entlassung stand nach zwei Wochen an. Ich wusste nicht, wie ich die knapp einstündige Taxifahrt im Sitzen aushalten und überstehen konnte. Doch dann kam es ganz anders. Eine letzte Ultraschalluntersuchung lies erkennen, dass sich an meiner Bauchspeicheldrüse eine Fistel gebildet hatte. Ein erneuter Eingriff wurde erforderlich. Das bedeutete die Legung einer Drainage, die die Flüssigkeit der Fistel ableitete und in einem Beutel auffing. So groß wie die Angst vorher, war auch die Erleichterung, als der Eingriff gelang. Auch dieser behandelnde Arzt rettete mir das Leben. Obwohl ich vorher unbedingt nach Hause wollte, so waren weitere drei Wochen Krankenhausaufenthalt angesagt. Die Krankenkasse erteilte auch auf Anfrage des Sozialdienstes keine Genehmigung für einen Transport nach Hause im Krankenwagen. So lies ich mich von meiner Schwester mit dem Taxi abholen. Sie brachte eine Fußbank mit und wir stellten meine Rückenlehne ziemlich weit nach hinten. Dadurch konnte ich halb im Liegen heimfahren und die Füße waren

etwas erhöht. Zu Hause angekommen, konnte ich mich gleich hinlegen. Welch eine Wohltat. In den ersten drei Wochen war ich körperlich nicht in der Lage meinen Haushalt zu führen. Ich konnte weder vor dem Herd stehen und kochen noch einkaufen. Meine liebe hochbetagte Mutter bot sich mir an und nahm mich für diese drei Wochen bei sich auf. Für dieses große Geschenk bin ich ihr immer noch sehr dankbar. Diese Zeit tat uns beiden gut. Es waren die Gespräche, die Nähe, ihre Fürsorge und Hilfe für mich und meine freudvolle Annahme für sie. Sie verstand es mit viel Geborgenheit mich regelrecht wieder aufzupeppeln. Ende November begann dann die vierwöchige Anschlussheilbehandlung in einer circa 100 km entfernten Klinik in einer landschaftlich schönen Gegend. Man bot mir an, das Essen ins Zimmer zu bringen.

Noch konnte ich nicht die langen Gänge entlang laufen oder am Fahrstuhl anstehen. Aber natürlich wollte ich lieber im Speisesaal mit anderen Patienten sein. Die Lösung brachte ein Rollator. Ein Rollator mit 55 Jahren? Aber mit diesem guten Hilfsmittel konnte ich nun dorthin und zu den Therapien gehen. Nach circa zwei bis drei Wochen versuchte ich immer etwas mehr ohne den Rollator auszukommen. Vor der Entlassung hatte ich es geschafft. Zu Hause angekommen war ich so weit, dass ich mich wieder langsam selbst versorgen konnte. Welch schönes Gefühl, endlich nach einem viertel Jahr wieder in meiner Wohnung zu sein. Die engmaschige Nachsorge in der Uniklinik bedeutete die erste Zeit vierteljährlich abwechselnd CT oder MRT jeweils mit einer Röntgenuntersuchung der Lunge. Danach erfolgten die Untersuchungen im halbjährlichen Turnus. Da ich in der ganzen Zeit durch vieles Röntgen und CTs sehr viele Strahlen abbekommen habe, sprach ich im Krebszentrum der Uniklinik meinen behandelnden Arzt darauf an. Ich fragte ihn, ob ich nur MRT-Aufnahmen bekommen könnte und kein CTs mehr, welche bei häufiger Anwendung zu hohe Röntgenstrahlenbelastung mit sich bringt. Er bejahte meinen Einwand. Oft konnte ich merken, wie sehr auch von einem selbst ausgehende Eigeninitiative und Aktivität wichtig sind und von Medizinern wertgeschätzt und akzeptiert werden.

Nun sind etwas mehr als viereinhalb Jahre vergangen. Meine Untersuchungsergebnisse sind bis jetzt alle in Ordnung und ich konnte mich wieder erholen. Das ist für mich nicht selbstverständlich. Welch ein Glück, Segen und Freude für mich. Schritt für Schritt gehe ich in ein neues Leben, das mir nochmals geschenkt wurde. Für mich sind es so viele Wunder Gottes, die an mir geschehen sind. Während und nach der Operation hätten mannigfaltige Komplikationen auftreten können. Außer der Fistel an der Bauchspeicheldrüse mit dem notwendigen Eingriff sind diese nicht passiert. Ich habe das alles überlebt, überstanden und meine Kräfte konnten sich wieder aufbauen. Jeden Morgen darf ich erleben, dass es draußen wieder hell geworden ist und ich aufstehen darf. Ich kann meinen Haushalt und Besorgungen erledigen und meiner Mutter helfen. Fast täglich laufe ich an der frischen Luft und sehe da beispielsweise die kleinen Blümchen am Wegesrand, genieße die Sonnenstrahlen oder sehe die sich verändernden Wolken am Himmel. Ab und zu gehe ich meinem liebsten Hobby, dem Standard- und Lateintanzen wieder nach. Das macht mir viel Freude.

Alles in allem war die Bewältigung meiner Erkrankung für mich eine große Herausforderung, durch die ich aber auch vieles gelernt habe. Achtsamkeit und Dankbarkeit besitzen heute eine größere Bedeutung für mich.

Kommentieren ist momentan nicht möglich.

trans