Soll ich an einer klinischen Studie teilnehmen?

PD Dr. Ruth Seggewiß-BernhardtKrebsmagazin – Ausgabe Februar 2012
PD Dr. med. Ruth Seggewiß-Bernhardt Universitätsklinikum Würzburg Internistin, Hämato-/Onkologin CCC Trial Office

Dieser Artikel soll Ihnen helfen, eine Entscheidung zu treffen. Selbstverständlich kann er nicht das Gespräch mit Ihrem Arzt oder mit Ihnen nahestehenden Personen ersetzen! Klinische Studien haben zu verbesserten Therapien gegen Tumore und Leukämien mit längerem Überleben oder gar Heilung geführt. Das gilt für Chemo- und Strahlentherapie, aber auch neue Operationstechniken. Studien ermöglichen Ihnen als Patient, frühzeitig Zugang zu neuen Medikamenten und Therapieverfahren oder auch Untersuchungsverfahren zu bekommen. Da Studien unter standardisierten Bedingungen ablaufen, ist das Risiko für Behandlungsfehler sogar geringer als bei zugelassenen Therapien. Spezielle Erfolge zeigen Antikörper- oder Tablettentherapien, die gezielt und spezifisch Krebs angreifen. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung des Medikamentes Imatinib von der Schweizer Firma Novartis. Bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML), an der jährlich viele tausend Menschen in Deutschland erkranken, führt das ununterbrochen aktive Enzym BCRABL in den Blutzellen dazu, dass diese unkontrolliert wachsen. Imatinib hemmt dieses Enzym, so dass sich das Blutbild normalisiert. Die CML ist dadurch zu einer chronischen Erkrankung geworden. Früher war eine allogene Blutstammzelltransplantation die Standardtherapie für die CML, jetzt ist es die Tablette Imatinib. Sie als Patient profitieren davon, dass Patientengenerationen vor Ihnen an Studien teilgenommen haben. Wenn Sie an einer Studie teilnehmen, leisten Sie einen Beitrag zur Verbesserung der Tumorbehandlung für zukünftige Patienten.

Durchführung: In klinischen Studien werden Medikamente oder Verfahren hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit geprüft. Dabei durchlaufen die Prüfsubstanzen verschiedene Entwicklungsstufen bis zur Zulassung.

Präklinik
Umfangreiche Labortests zum Wirkmechanismus und potentieller Verträglichkeit, erst in der Petrischale, dann im Tierversuch.
Phase I
„first in man“, Testung der Verträglichkeit im Menschen, höheres Risiko für unerwartete Nebenwirkungen, aber auch Chance, Zugang zu einem neuen wirksamen Medikament zu bekommen.
Phase II
Untersuchung der Wirksamkeit, Dosisfindung.
Phase III
Vergleich eines neuen Präparates mit einer Standardtherapie oder gegen Placebo, Bestimmung der signifikanten therapeutischen Wirkung.
Phase IV
Langzeitbeobachtungen nach Zulassung eines neuen Medikamentes zur Identifikation seltener Nebenwirkungen, Zulassung in Deutschland zunächst meist auf 5 Jahre begrenzt, nach erneuter Nutzen-Risiken-Bewertung kann die zuständige Behörde die Zulassung ohne zeitliche Begrenzung aussprechen.

Meistens wird eine Studie an mehreren Krankenhäusern oder Arztpraxen gleichzeitig durchgeführt (multizentrisch). Bei einer Phase III Studie werden verschiedene Therapien miteinander verglichen. Der Patient wird durch eine zentrale Stelle zufällig einer Behandlungsgruppe zugeteilt (Randomisierung), so dass sich die Patienten in den verschiedenen Behandlungsgruppen hinsichtlich Altersverteilung, Schweregrad der Erkrankung und sonstiger Merkmale ähneln. Meistens wird in der Onkologie eine neue Therapie mit der Standardtherapie verglichen. Nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgt eine Testung gegen Placebo (Scheinmedikament). Durch die Testung gegen Placebo lassen sich psychisch induzierte Wirkungen von echten Arzneimitteleffekten abgrenzen. Schließlich versetzt bekanntlich der Glaube Berge. Das gilt für Patient und Arzt gleichermaßen. Deswegen werden Phase III und IV Studien oft verblindet durchgeführt. Bei einer einfachen Verblindung weiß der Patient nicht, welches Therapeutikum er bekommt. Bei einer Doppelblindstudie wissen weder der Patient noch der behandelnde Arzt welche Therapie der Patient bekommt. Im Notfall kann die Verblindung bei einem Patienten aufgehoben werden.

Rechtliche Grundlagen: Klinische Studien unterliegen strengen Gesetzen und werden durch Behörden kontrolliert: Die „European Medicines Agency“ (EMA) koordiniert europaweit Medikamentenzulassungen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) überprüft Studien zu neuen Arzneimittel und medizinischen Geräten, während das Paul-Ehrlich- Institut (PEI) Studien zu Impfstoffen, Blutprodukten, Knochenmark-zubereitungen, Gentransfer-Arzneimittel und Zelltherapeutika kontrolliert. 1964 erließ der Weltärztebund die Deklaration von Helsinki, in denen erstmals Grundsätze zum Schutz von Studienteilnehmern verabschiedet wurden. Die europäische Gemeinschaft hat Richtlinien zur Durchführung und Auswertung von Studien verfasst (gute klinische Praxis = „GCP = good clinical practice“). Diese europäischen Vorgaben sind im deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) umgesetzt worden. Jede klinische Studie muß in Deutschland einer Ethik-Kommission vorgelegt werden. Nur wenn diese zustimmt, darf eine Studie durchgeführt werden. Die Patientensicherheit steht an erster Stelle. Sie als Patient sollten bei unerwünschten Ereignissen den Arzt informieren. Bei schwerwiegenden Ereignissen wie Einlieferung ins Krankenhaus bei einem Knochenbruch, wenn Sie z.B. wegen Ihrer Leukämie an einer Studie teilnehmen, muß der Studienarzt sogar innerhalb von 24 Stunden informiert werden. Eine Patientenversicherung ist in klinischen Studien vorgeschrieben, sie soll unvorhersehbare Risiken abdecken und leistet bei Gesundheitsschädigung. Einverständniserklärung/Datenschutz: Eine Studienteilnahme darf nur nach Aufklärung und schriftlicher Einwilligungserklärung des Patienten erfolgen. Der Patient gibt dabei auch seine Zustimmung zur Aufzeichnung von Daten über seine Erkrankung im Verlauf der Studie. Diese erfolgt pseudonymisiert mittels verschlüsseltem Zahlen- oder Buchstabencode. Alle an der Studie beteiligten Personen unterliegen der Schweigepflicht. Der Patient kann jederzeit seine Einverständniserklärung wiederrufen, ohne dass ihm dadurch Nachteile entstehen. Außerdem hat er das Recht, jederzeit Einblick in seine Unterlagen zu erhalten.

Studienabbruch: Eine Studie wird abgebrochen, wenn der Patient seine Zustimmung entzieht, wenn zu starke Nebenwirkungen auftreten oder wenn sich beim Vergleich verschiedener Therapiearme (Phase III und IV), eine Therapie als deutlich überlegen erweist, so dass es ethisch nicht vertretbar wäre, ihm diese zu verweigern.

Weitere Informationen:
Eine Reihe von unabhängigen Instituten und Kontaktstellen geben Auskunft zu klinischen Studien. Dazu gehören z.B. die Deutsche Krebshilfe und der Krebsinformationsdienst des DKFZ in Heidelberg, aber auch Selbsthilfegruppen. Deutsche Krebshilfe e. V., Beratungsdienst, Buschstraße 32, 53113 Bonn, Tel.: 0228/7 29 90-95 (Mo-Fr von 8-17 Uhr), E-mail: beratungsdienst@krebshilfe.de Krebsinformationsdienst, Deutsches Krebsforschungszentrum, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg, Tel.: 0800/420 30 40 (Mo-So von 8-20 Uhr), E-mail: krebsinformationsdienst@dkfz.de.

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