Neue Trends in der Hämatologie

Krebsmagazin – Ausgabe Dezember 2010
Prof. Dr. Stefan Frühauf, Zentrum für  Tumordiagnostik und -therapie, Paracelsus-Klinik Osnabrück
 
Die Entwicklung neuer, zielgerichteter Medikamente
Die Lehre von den Bluterkrankungen, die Hämatologie, ist der treibende Motor für bessere Behandlungsergebnisse bei einer Vielzahl von Tumoren.
Wesentliche Behandlungsfortschritte wurden erzielt durch
 
 
• eine genauere Diagnosestellung unter Einbeziehung molekularer Parameter
• die Definition prognostisch wichtiger Parameter mit denen Patienten, die von mehr oder sogar weniger Therapiestärke profitieren, erkennbar werden
• die Entwicklung neuer, zielgerichteter Medikamente
 
Für Patienten sind diese Erkenntnisse naturgemäß oft lebenswichtig.
Je besser sie in die Lage versetzt werden mit ihren Ärzten kompetent über ihre Erkrankung zu sprechen und die richtigen Fragen zu stellen, um so günstiger wird sich das auf den Krankheitsverlauf auswirken. Nachfolgend werden die bedeutsamsten Entwicklungen folgender Krankheitsbilder aufgezeigt:
 
• Akute lymphoblastische Leukämie (ALL)
• Akute myeloische Leukämie (AML)
• Myelodysplasie-Syndrom (MDS)
• Stammzelltransplantation
• Non-Hodgkin-Lymphom
• Hodgkin-Lymphom
• Multiples Myelom
• Chronische myeloische Leukämie (CML)
• Myelofibrose
• Immunthrombozytopenie (ITP)
 
akute lymphoblastische Leukämie (ALL)
In der Hämatologie werden zwei Arten akuter Leukämien unterschieden, die ALL und die AML. Bei Patienten mit akuter lymphoblastischer Leukämie (ALL) wird das Ansprechen auf eine Behandlung zunehmend anhand der minimalen Resterkrankung nach Chemotherapie oder Chemo-Immuntherapie beurteilt. ALL Zellen können anhand ihrer Gensignatur oder den speziellen immunologischen Oberflächeneigenschaften erkannt werden. Mit den üblichen Nachweismethoden lässt sich eine Leukämiezelle in 10.000 bis 100.000 normalen Zellen in klinischen Proben erkennen. Die klinische Bedeutung der minimalen Resterkrankung wurde bei der ALL im Kindes- und Erwachsenenalter nachgewiesen. Eine minimale Resterkrankung ist durch Nachweis von mehr als 0,01% ALL Zellen definiert. Das Risiko eines Rezidivs, also eines Wiederauftretens der Erkrankung, ist im allgemeinen proportional zu Menge der minimalen Resterkrankung. Diese wiederum ist ein Maß für die Therapieresistenz im Patienten und wird durch Faktoren, die im Patienten, in den Leukämiezellen und im Behandlungsprotokoll begründet sind, beeinflusst. Die minimale Resterkrankung wird heute in vielen klinischen Studien zur Risikoeinschätzung und zur Therapiefestlegung benutzt. Die Zeitpunkte, wann die minimale Resterkrankung bestimmt wird, variieren von Therapieprotokoll zu Therapieprotokoll. Über die Bedeutung des restlichen Leukämiezellanteils sind sich die Experten jedoch einig. Bei Erwachsenen ist die akute lymphoblastische Leukämie selten und die Ergebnisse sind schlechter als bei Kindern. 30 bis 70% der Patienten erreichen eine Remission, also eine Rückbildung ihrer Erkrankung. Durch häufiges Wiederauftreten der Erkrankung (Rezidive) sind die Überlebenszeiten jedoch kurz. Das Risiko an den frühen Therapiefolgen und an der Leukämie zu versterben ist in den bisherigen Studien gleich hoch. Patienten werden daher nach neueren Therapieprotokollen bei den häufigsten Formen der ALL (Philadelphia- Chromosom-negativer ALL) deshalb mit weniger Cortison und begleitend mit einer Immunstimulation (Granulozyten- Kolonie-stimulierendem Faktor) behandelt. Dadurch sollen Infektionen bei schlechter Abwehrlage vermindert werden. Behandlungsziele sind hier das Erreichen einer Leukämiefreiheit, definiert als komplette Rückbildung der Erkrankung, sowie eine mittelfristig gute Lebensqualität. Einige Studienergebnisse belegen die Wirksamkeit einer Hochdosis-Chemotherapie mit nachfolgender autologer Blutstammzelltransplantation, bei der die Blutstammzellen vom Patienten selbst gewonnen werden. Hierdurch kann eine 2-jährige Erhaltungstherapie eingespart werden. Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver ALL sollen mit einem zielgerichteten Krebsmedikament (Tyrosinkinaseinhibitor) wie Imatinib, Nilotinib oder Dasatinib sowie Vincristin, gegebenenfalls in Kombination mit einem Anthrazyklin behandelt werden. Nach Abschluß der Behandlung wird im Rahmen der Erhaltungstherapie dann ein zielgerichtetes Krebsmedikament (Tyrosinkinaseinhibitor) mit einer geringen Chemotherapiedosis kombiniert. Auch B-Zell-Antikörper wie Rituximab, das gut verträglich ist, sind erfolgversprechend und werden in Therapieprotokollen eingesetzt.
 
akute myeloische Leukämie (AML)
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist durch eine starke Unterschiedlichkeit im Therapieansprechen und Überleben gekennzeichnet. Die Chromosomenveränderungen in den Leukämiezellen (Zytogenetik), das Patientenalter und der körperliche Zustand des Patienten waren lange Zeit bestimmend für Prognose und die Therapie. Durch die molekulare Diagnostik sind eine Vielzahl an Vorhersagemethoden zum weiteren Krankheitsverlauf (prognostische Faktoren) hinzugekommen, einschliesslich Genveränderungen (KIT, FLT3, NPM1 und CEBPA). Mit moderner Technik lassen sich jetzt weitere Genmerkmale identifizieren, die für die Prognose ausschlaggebend sind. In ähnlicher Weise wurden vor kurzem die gestörte Umschreibung der Gene in Eiweiße als prognostisch bedeutsam identifiziert. Sie haben zur Bildung neuer Untergruppen und zum besseren Verständnis der Leukämieentstehung beigetragen. Mit einer kombinierten Analyse aller Eiweiße in den Leukämiezellen (dem Proteomprofil) wurden neue Therapieziele und Signalwege identifiziert. Dadurch wird es bald möglich sein, Patienten zu identifizieren, die von bestimmten molekularen Therapien, aber auch der allogenen Blutstammzelltransplantation profitieren. Ein Beispiel ist CXCR4, eine Andockstelle mit der die Leukämiezellen im Knochenmark festhaften. Es gibt seit kurzem kleine Moleküle, wie Plerixafor, die eine Loslösung der Leukämiezellen bewirken. Dadurch werden sie besser durch eine Chemotherapie angreifbar. Dies wird in aktuellen klinischen Studien derzeit untersucht.
 
Myelodysplasie-Syndrom (MDS)
Beim Myelodysplasie-Syndrom (MDS), einer Vorstufe der akuten Leukämie, sind für Patienten und ihre Hämatologen in den letzten 10 Jahren eine Vielzahl neuer Behandlungsoptionen entstanden. Die derzeitigen Therapien reduzierten die krankheitsbedingten Symptome, verbessern die Lebensqualität und beeinflussen den natürlichen Krankheitsverlauf. Drei Substanzen sind in den USA und/oder Europa für die Behandlung des MDS zugelassen: Azacytidin, Decitabin und Lenalidomid. Zusätzlich werden Immunsuppressiva, also Medikamente, welche die Funktionen des Immunsystems vermindern, für die MDS-Therapie eingesetzt. Obwohl jede dieser Substanzen ihren Beitrag zur Verbesserung der Betreuung von MDS Patienten leistet, versagen schlussendlich diese Therapien bei den meisten Patienten. Sie bilden eine Basis, um darauf neue bessere Behandlungsstrategien aufzubauen. Die Etablierung von Biomarkern, um die Wirksamkeit insbesondere der neuen Substanzen Azacytidin und Decitabin vorherzusagen, ist Gegenstand intensiver Forschung. Einen kurativen also auf Heilung ausgerichteten Ansatz stellt die allogene Stammzelltransplantation dar. Frühere Berichte waren mehr als enthusiatisch. Inzwischen ist Ernüchterung und eine neue Realitätssicht eingetreten. Mit neuen prognostischen Faktoren und Modellen wird heute eine rationalere Herangehensweise propagiert. Faktoren wie die Notwendigkeit regelmäßiger Bluttransfusionen, Zytogenetik, Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) und ungünstige Untergruppen des MDS werden in die Entscheidung für oder gegen eine Stammzelltransplantation mit einbezogen. Bisher ungeklärte Fragen bei der Transplantation sind die Rolle der Tumorverringerung vor der Transplantation mit klassischer Chemotherapie oder den neuen Substanzen. Schließlich stellt sich die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt einer Transplantation mit reduzierter Chemotherapiedosis bei älteren Patienten oder solchen mit Begleiterkrankungen.
 
Stammzelltransplantation
Die Langzeit-Nebenwirkungen nach einer allogenen Stammzelltransplantation, bei der der Patient Knochenmark von einem Spender erhält (idealerweise ein Geschwister), treten mit der Zahl der transplantierten Patienten weiter in den Vordergrund. Derzeit ist das unmittelbare Überleben nicht mehr die einzige Sorge nach einer allogenen Stammzelltransplantation, weil viele Patienten die akuten Komplikationen überleben und viele Jahre leukämiefrei bleiben. Obwohl die Langzeitüberleber nach allogener Transplantation im Allgemeinen einen guten Gesundheitszustand aufweisen, geht für manche die Heilung der Leukämie nicht mit einer vollständigen Wiederherstellung der Gesundheit einher. Die Langzeitwirkungen schließen Beeinträchtigungen der Lebensqualität, psychosoziale Beschwerden, Infektionen durch eine verzögerte oder abnormale Erholung des Immunsystems und Zweitkarzinome ein. Diese Langzeitkomplikationen und die chronische Transplantat-gegen- Wirt-Erkrankung (GVHD), bei der die übertragenen Immunzellen den Patientenkörper als fremd erkennen und angreifen, sind von der Art, dem Beginn, der Dauer und dem Schweregrad unterschiedlich. Die zugrunde liegende Ursache der Langzeit-Nebenwirkung ist oft multifaktoriell, wobei die GVHD im Vordergrund steht. So kann der Sieg gegen die Leukämie mitunter als Pyrrhus- Sieg erscheinen. Um diese Komplikationen im Vorfeld besser abschätzen zu können, wurde der hämatopoetische Stammzellt r anspl ant a t ion (HCT ) Komorbiditätsindex entwickelt (HCT-CI), der in klini schen Studien eine zunehmende Rolle spielt. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Transplantationszentrum, organspezifischen Disziplinen und den Hausärzten ist der Schlüssel, um diese Patienten optimal zu behandeln. Den Patienten kommt die Hauptrolle zur Bewahrung ihrer Gesundheit zu indem sie z.B. an Gesundheitsprogrammen teilnehmen.
 
Non-Hodgkin-Lymphom
Unmarkierte und radiomarkierte CD20 Antikörper haben im letzten Jahrzehnt wesentliche Fortschritte in der Behandlung von Patienten mit follikulärem (langsam fortschreitenden) Non-Hodgkin- Lymphom bewirkt. Seit kurzem hat Bendamustin, eine Substanz, die in der ehemaligen DDR entwickelt wurde und die seit langem auch in den westlichen Bundesländern erfolgreich im Einsatz ist, auch in den USA Anerkennung gefunden. Die Behandlungsergebnisse sind mit bisherigen Kombinationschemotherapien vergleichbar. Die Nebenwirkungen, insbesondere die Taubheitsgefühle in Hand und Füßen sowie der Haarausfall, treten kaum noch auf. Neue anti-CD20 Antikörper und Immuntherapien gegen verschiedene B-Zell-Antigen befinden sich in klinischer Testung. Ein Hemmstoff der Eiweißentgiftung in der Zelle (Proteasominhibitor) Namens Bortezomib und die immunmodulatorische Substanz Lenalidomid sind als Einzelsubstanzen aktiv und werden gerade in klinischen Studien mit der Standardtherapie verglichen. Temsirolimus und Everolimus, zwei Signalhemmstoffe des Zellstoffwechsels (mTOR Inhibitoren), zeigten eine Antitumoraktivität bei allen Lymphomtypen. Fostamatinib, ein weiterer Hemmstoff (SyK Inhibitor), ist beim 18 Krebsmagazin.de Heft 28 Therapie & Forschung diffus-großzelligen Non-Hodgkin- Lymphom und bei der chronischen lymphatischen Leukämie aktiv. Die aktuellen Herausforderungen liegen darin, die Patientensubgruppen, die am meisten von diesen neuen Substanzen profitieren zu identifizieren und die Kombinationstherapien mit dem größten klinischen Nutzen für Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen herauszufinden.
 
Hodgkin-Lymphom
Beim klassischen Hodgkin-Lymphom wurden durch Verbesserungen in der Therapie, durch eine erhöhte Dosisintensität, die Früherkennung von Nebenwirkungen und eine verbesserte Begleittherapie, die Behandlungsergebnisse verbessert; sie liegen heute über denen in Vorhersagemodellen wie dem International Prognostic Score (IPS). Die Hinzunahme biologischer Marker zu anerkannten Vorhersagemodellen (prognostischen Faktoren), wie dem IPS, erlauben eine genauere Einteilung der Patienten in Risikogruppen und helfen die Therapie zu steuern. Die Identifizierung solcher Marker war jedoch durch den Mangel an großen, klinischen Studien, der Genauigkeit und Verfügbarkeit der Nachweismethoden erschwert. Ein wichtiger Biomarker ist die Expression von CD68 auf den Tumor-infiltrierenden Immunzellen (Makrophagen), der durch pathologische Untersuchungen (Immunhistochemie) des Lymphomgewebes nachgewiesen werden kann. Die Nachweis von CD68 ist in allen Krankheitsstadien prognostisch ungünstig. So kann beispielsweise durch den Nachweis von CD68 bei weniger als 5% der Zellen ein 100%iges krankheitsfreies Überleben bei Hodgkin- Patienten in frühen Stadien vorhergesagt werden. CD68 ist nur einer von vielen neuen prognostischen Faktoren, die zur Risikoeinteilung verwendet werden können. Zusätzlich können solche biologischen Marker nicht nur als prognostische Faktoren sondern auch als therapeutische Ziele verwendet werden. In fortgeschrittener klinischer Prüfung und erfolgversprechend sind hier SGN-35, Lenalidomid und Panobinostat. Die meisten aktuellen klinischen Studien zur Behandlung des Hodgkin- Lymphoms treffen Therapieentscheidungen basierend auf Ergebnissen einer PET/CT Untersuchung im Rahmen einer Zwischenuntersuchung. Je nach Ergebnis wird die Behandlungsintensität für gut ansprechende Patienten vermindert oder für Patienten mit suboptimalem Ansprechen erhöht. Die Ergebnisse dieser aktuellen Studien stehen noch aus. Bis dahin bleibt bei jedem Patienten die Entscheidung schwierig, entweder “zu viel” zu therapieren mit dem Risiko von Spätfolgen oder “zu wenig” zu geben mit dem Risiko eines Wiederauftretens der Erkrankung und der Notwendigkeit zusätzlicher Chemotherapie. Diese Diskussionen finden vor dem Hintergrund exzellenter Therapieergebnisse und unter Einbeziehung neuer wirksamer Medikamente in die Erstlinientherapie statt.
 
Multiples Myelom
Fortschritte in der Behandlung des Multiplen Myeloms resultierten in einem deutlich längeren Überleben der Patienten und halfen dabei eine Tiefe und Dauer des Therapieansprechens zu erzielen, die bisher mit den Standard-Chemotherapiebasierten Ansätzen nicht möglich waren. Diese Verbesserungen gehen zum großen Teil auf die Entwicklung neuer Substanzen wie Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid zurück, die alle eine gute Aktivität als Einzelsubstanz aufweisen. Alle diese Substanzen können auch bei einer Myelom-bedingten Niereninsuffizienz eingesetzt werden und zur Besserung der Nierenfunktion beitragen. Besondern bei Lenalidomidoder Thalidomid-haltigen Therapien muß ein Thromboseschutz betrieben werden, wobei “Aspirin” und andere Blutgerinnungshemmstoffe (niedrigmolekulares Heparin, Marcumar) gleichermaßen effektiv sind wie eine aktuell vorgestellte Studie zeigte. Zusätzlich befindet sich eine große Zahl von Substanzen der zweiten Generation in der Entwicklung, so dass sich das therapeutische Repertoire weiter vergrößert. Erkenntnisse aus der experimentellen Forschung haben einige neue Kombinationen, neue Zielstrukturen und Zweit- oder Drittgenerationsversionen bekannter Zielstrukturen identifiziert, die für Patienten mit rezidiviertem Multiplen Myelom erfolgversprechend sind. Rezidivierten Patienten, die an klinischen Studien teilnehmen, stehen mit Carfilzomib, Pomalidomid, Vorinostat, Panobinostat und Elotuzumab einige dieser neuen Verbindungen zur Verfügung.

Chronische Myeloische Leukämie
Die chronische myeloische Leukämie ist ein Modell für das molekulare Verständnis einer Erkrankung und stellt eine Plattform für die Entwicklung neuer Therapien und Diagnoseverfahren dar. Die Hämatologen können heute unter zielgerichteten Medikamenten der ersten und zweiten Generation wählen und die Leukämie mit verschiedenen Methoden messen sowie Resistenzen bestimmen. Aktuelle Fragen, die diskutiert werden, sind wie die neuen Tyrosinkinaseinhibitoren am besten eingesetzt werden. Gesundheitsökonomische Studien ob ein generisches Imatinib oder ob die neuen zielgerichteten Medikamente der zweiten Generation ab Diagnosestellung eingesetzt werden sollen oder ob nach einer Therapieeinleitung mit den neuen Zweitgenerationsinhibitoren auf ein preiswerteres Imatinib umgesetzt werden sollte, werden nun konzipiert. Schließlich erfolgen viele Untersuchungen, um bei der “härtesten Nuß”, einer CML mit T315I Mutation ein Ansprechen zu erreichen.
 
Myelofibrose
Eine andere Erkrankung aus diesem Formenkreis ist die Myelofibrose. Das klinische Management der Myelofibrose befindet sich derzeit in einer Übergangsphase, die mit der Entdeckung einer krankheitstypischen Genveränderung der Mutation des JanusKinase2Gen (der sogenannten JAK2-V617F Mutation) vor 5 Jahren begann. Es wurden inzwischen selektive JAK2 Hemmstoffe entwickelt. Die bisherigen klinischen Studien zeigten, dass einige dieser Substanzen die Myelofibrose-bedingten Allgemeinsymptome und die Milzvergrößerungen wirkungsvoll behandeln. JAK2 Hemmstoffe (Inhibitoren) haben einen anhaltenden Nutzen und sind bei einer Reihe myeloproliferativer Erkrankungen aktiv, wie es in den Jahrzehnten zuvor bei ungerichteten Therapie nicht beobachtet wurde. Die JAK2 Inhibitoren verursachen jedoch Blutarmut (Anämie) und Nebenwirkungen im Magen-Darmtrakt. Ihre Wirkung auf die Reduktion der JAK2- Tumorzellen und auf das langfristige Überleben ist noch nicht ausreichend belegt. Einige weitere Therapien, die nicht direkt an JAK2 ansetzen (immunmodulatorische Substanzen, Histon-Deacetylase-Inhibitoren und Inhibitoren des “mammalian target of rapamycin” (m-TOR) ) können die Myelofibrose-bedingte Blutarmut und die Krankheits-verursachten Symptome ebenfalls wirksam reduzieren. Es ist die Aufgabe aktueller Studien und der behandelnden Ärzte den möglichen Nutzen dieser neuen Substanzen gegen die Risiken und den Nutzen der allogenen Stammzelltransplantation abzuwägen. Letztere zielt auf Heilung ab, geht aber mit einem hohen Risiko behandlungsbedingter Folgeerkrankungen und Sterblichkeit einher. Bessere Prognosemodelle erlauben die Vorhersage nicht nur zum Zeitpunkt der Diagnose, sondern auch während des Erkrankungsverlaufs jederzeit zu beurteilen. Weitere Fortschritte in der Behandlung der Myelofibrose werden voraussichtlich durch neue Erkenntnisse über die Krankheitsentstehung gefördert und von JAK2-Hemmstoffen mit weiteren Substanzen ermöglicht.
 
Immunthrombozytopenie (ITP)
Die Immunthrombozytopenie (ITP) beinhaltet eine unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe von Erkrankungen, die durch eine immunologische Selbstzerstörung der Blutplättchen (Thrombozyten) und durch eine Einschränkung der Thrombozytenbildung gekennzeichnet sind. ITP entsteht entweder ohne Auslösefaktoren (primäre ITP) oder durch Auslösefaktoren (sekundäre ITP), wobei hier eine lange Liste der Ursachen zu nennen ist – die wiederum von anderen Ursachen eines Mangels an Blutplättchen im Blut (Thrombozytopenie) abzugrenzen sind. Das klassische Therapieziel ist eine Anzahl von Blutplättchen (Thrombozytenzahl) von über 30/nl bei gleichzeitig geringst möglichen behandlungsbedingten Folgeerkrankungen zu erreichen. Dieser Ansatz muß durch seit kurzem zur Verfügung stehende gut verträgliche und effektive Medikamente für die Behandlung der ITP in Frage gestellt werden. Dazu gehören Rituximab, kurzfristig hochdosiertes Dexamethason und die zur Blutplättchenbildung anregenden Medikamente Romiplostim und Eltrombopag. Aktuelle Studien zeigen ein Potential für die neuen Therapien den Erkrankungsverlauf grundlegend zu verändern. Lebensqualitäts-Aspekte sollten deshalb in die Therapieentscheidungen mit einbezogen werden und beispielsweise eine chronische niedrig-dosierte Cortisontherapie gegen die neuen intensiveren aber kürzer dauernden Therapieverfahren abgewogen werden.

 

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