Dick- und Enddarmkrebs, Fakten und Aussichten

Prof. Dr. Gabriela MösleinKrebsmagazin – Ausgabe Februar 2012
Prof. Dr. Gabriela Möslein Abteilung für allgemeine und Viszeralchirugie, Koloproktologie HELIOS St. Josefs-Hospital Bochum

Der relativ häufige Dickdarmkrebs kann als „Lifestyle“-Tumor bezeichnet werden, und ist vor allem eine Erkrankung der hochentwickelten Industriestaaten. Es liegt nahe, dass man durch bestimmte Verhaltens- und Ernährungsgewohnheiten sein persönliches Dickdarmkrebs- erkrankungsrisiko erhöhen oder erniedrigen kann. Etwas anders gelagert ist die Situation bei Personen, die eine erbliche Veranlagung zu Krebserkrankungen haben und somit eine höhere Wahrscheinlichkeit mit in die Wiege gelegt bekommen haben, im Laufe des Lebens bösartige Tumore zu entwickeln. Hierzu erfahren Sie mehr im zweiten Artikel dieses Heftes. Wenn das eigene Dickdarmkrebserkrankungsrisiko beeinflusst werden kann, dann wäre es schön, wenn man etwas genauer wüsste, was man präventiv tun kann (Primärprävention). Hierzu zählen vor allem eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten oder auch die Einnahme von Medikamenten (z.B. Aspirin). Unser Dickdarm ist aber in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderes Organ. In Bezug auf die Krebsprävention ist kein anderes Organ so geeignet wie der Dick- und Enddarm, um eine sog. Sekundärprävention zu betreiben. Diese Möglichkeit besteht dadurch, dass zu etwa 98% der Fälle ein Dickdarmkrebs aus einer gutartigen Vorstufe, dem Polypen, in diesem Fall dem sog. Adenom vorausgeht. Im Rahmen einer Darmspiegelung werden die meisten dieser Tabelle RisikofaktorenAdenome erkannt und können bei der Untersuchung mit einer Zange oder einer Schlinge entfernt werden. Somit müsste sich bei entsprechender Vorsorge ein hoher Prozentsatz der Dickdarmkrebserkrankungen vermeiden lassen oder sie so früh erkennbar werden lassen, dass sie noch in einem heilbaren Stadium diagnostiziert werden. Die Messlatte für diese Vorsorge und erfolgreiche Prävention ist eine statistisch messbare Senkung der Sterblichkeit an einem entsprechenden Tumor. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen in Deutschland wird für Männer und Frauen jeweils auf etwas über 35.000 geschätzt. Somit hat sich nach den Daten des Robert-Koch-Instituts die Rate an Darmkrebserkrankungen von 1960 – 1980 verdoppelt – ist seitdem auf einem hohen Niveau stabil und nimmt jetzt einen leicht rückläufigen Trend an (Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland 2006). Gemeinsam steht Darmkrebs bei beiden Geschlechtern an zweiter Stelle der krebsbedingten Sterblichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, an Darmkrebs zu erkranken liegt bei 6% und steigt mit zunehmendem Alter an. In anderen Worten erkrankt heute jede 17te Person mit einem bevölkerungsüblichen Risiko im Laufe des Lebens an Dickdarmkrebs. Die Diagnose ist dabei deutlich häufiger, als die Sterblichkeit, wobei jährlich immer noch knapp die Hälfte der von Dickdarmkrebs betroffenen Personen auch an dieser Erkrankung sterben. Männer erkranken im Mittel mit 69 und Frauen mit 75 Jahren an Dickdarmkrebs. Seit den 80er Jahren ist bei der Sterblichkeit von Männern eine Stagnation auf einem hohen Niveau zu verzeichnen, wohin gegen die Sterblichkeitsrate an Dickdarmkrebs bei Frauen zurückgeht. Diese epidemiologischen Betrachtungen bei Dickdarmkrebs legen die Frage nach den Ursachen und Risikofaktoren und die damit verbundenen Möglichkeiten der Primärprävention nahe.

Erläuterung
Als primäre Prävention bezeichnet man die Gesamtheit aller Maßnahmen, die den Erhalt der Gesundheit dienen, in diesem Fall also der Entstehung von Polypen bereits entgegenwirken. Das Ziel der sekundären Prävention ist es, bereits entstandene Vorstufen einer Geschwulst zu erkennen und zu entfernen um dadurch die Rate an Krebserkrankungen zu reduzieren.

Vorsorge
Die gesetzlich verankerte Vorsorge sieht als wesentliche Untersuchung ab dem 55. Lebensjahr eine Koloskopie (Darmspiegelung) vor, die einmal nach 10 Jahren wiederholt werden kann. Alternativ wird ab dem 50. Lebensjahr ein Stuhltest (Hämokkulttest) angeboten. Allerdings gibt es heutzutage „bessere“ Stuhltests, wie beispielsweise die immunologischen Stuhltests. Der Unterschied besteht darin, dass es bei den immunologischen Stuhltests weniger „inkorrekte“ Ergebnisse in die eine oder andere Richtung gibt. Ein guter Test soll das messen, wofür er eingesetzt wird. In diesem Fall soll ein Test die Vorstufen von Krebs (Polypen, Adenome) oder Krebs in einem hoffentlich frühen Stadium erkennen. Leider werden diese Tests, die bessere Ergebnisse liefern, heute noch nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Ergebnisse einer großen Studie des Vereins Düsseldorf gegen Darmkrebs e.V. wurden in der renommierten Deutschen Zeitschrift DMW (Dtsch. Medizinische Wochenschrift) publiziert (Dtsch Med Wochenschr 2010; 135:557-562). Wenn bei einer Darmspiegelung ein Adenom oder Polyp komplett entfernt wird, dann kann er auch nicht weiterwachsen. Es wird geschätzt, dass der Zeitraum vom Auftreten eines kleinsten Adenoms bis zu einem klinisch relevanten bösartigen Tumor ungefähr 10 Jahre vergehen. Normalerweise verursachen kleine Adenome und auch mittelgroße keine Beschwerden oder Symptome. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, zur Vorsorge zu gehen und nicht erst auf Beschwerden zu warten.

Die Unterschiede in der genauen Lokalisation des Tumors
Der Dünndarmstuhl gelangt in der Nähe unseres Blinddarmes in den Dickdarm. Hier ist der Stuhlgang noch recht flüssig, weil die Flüssigkeitsrückresorbtion erst im Dickdarm stattfindet – dafür werden hier keine Nährstoffe aufgenommen. Man geht davon aus, dass sich in diesem Stuhl auch krebsversursachende Stoffe, sog. Kanzerogene befinden. Der Stuhl wird auf seiner Wanderung vom rechten Dickdarm zum Enddarm zunehmend eingedickt und die Passage entsprechend verlangsamt… umso länger ist auch die Einwirkzeit der schädigenden Stoffe auf die Schleimhaut. Passend hierzu sind Tumore im Enddarm oder enddarmnahen Krummdarm (siehe Abbildung) am häufigsten.

Beschwerden bei Darmkrebs
Darmkrebs kann vorliegen, ohne dass jegliche Beschwerden auftreten. Wenn Beschwerden auftreten, dann werden sie auf drei verschiedenen Wegen verursacht:
1. Durch eine Einengung der Darmöffnung: Stuhlprobleme mit wechselnder Verstopfung oder erschwerten Kotentleerungen durch Erschlaffung der Darmwand können auftreten, ebenso wie Durchfälle, Darmkrämpfe und schließlich bis hin zu einem Darmverschluss. Im Enddarm typische Krämpfe, die sich wie Stuhldrang anfühlen, aber nicht zum Erfolg führen, können ebenfalls auftreten.
2. Ein Dickdarmtumor ragt in die Oberfläche der Dickdarmöffnung. Vor allem bei der Nahrungs- oder Stuhlpassage können durch den Kontakt der verletzlichen Tumoroberfläche Blutungen entstehen in Form von kleinsten Sickerblutungen, die man gar nicht in dem Stuhlgang erkennt, bis hin zu starken Blutungen. Am häufigsten jedoch findet sich eine chronische Blutarmut, die möglicherweise nur in einer Laboruntersuchung festgestellt werden kann. Bei einer Anämie können viele verschiedene Tumore ursächlich beteiligt sein, auf jeden Fall sollte eine fachärztliche Untersuchung erfolgen.
3. Entzug von „Lebensenergie“. Nicht zuletzt auch durch eine Blutarmut, aber auch durch andere Faktoren kann eine vermehrte Müdigkeit, Leistungsabfall oder depressive Verstimmung auftreten.

Behandlung des Dick- und des Enddarmkrebses – zwei unterschiedliche Tumore!
Es muss unterschieden werden zwischen einem Dickdarmkrebs und einem Enddarmkrebs. Bei Dickdarmkrebs steht in der Regel die zeitnahe (bis zu 14 Tage nach Diagnosestellung) Entfernung des Tumors im Vordergrund. Bei dem Enddarmkrebs spielt der Abstand des Unterrandes des Tumors vom Schließmuskel und somit vom Schließmuskelapparat eine große Rolle, ebenso wie die Größe des Tumors und ob oder ob nicht Lymphknoten befallen sind. Bei einem fortgeschritteneren Enddarmkrebs wird in aller Regel die Empfehlung eines Tumorboards lauten, dass eine Behandlung mittels Bestrahlung und Chemotherapie vor einer eigentlichen Operation erfolgen sollte. Mit dieser Maßnahme erreicht man oft eine Verkleinerung des Tumors einerseits, aber auch eine Verringerung der Rate an erneutem Krebs in den Lymphknoten oder im kleinen Becken nach der erfolgten Operation. Wichtig für die eigentliche Operation ist die radikale Entfernung (= Ausrottung des Tumors mit „Stumpf und Stiel“). Radikalität bedeutet hier die völlige Entfernung des Tumors mit all seinen Lymphknoten und Lymphbahnen, um eine dauerhafte Heilung herbeizuführen. In manchen Fällen muss man den Tumor ohne Einhaltung dieser Radikalitätsprinzipien entfernen, dann nämlich wenn man weiß, dass der Tumor schon gestreut hat. In einem solchen Fall sollte dennoch der eigentliche Tumor entfernt werden, um einen Darmverschluss und ein weiteres Tumorwachstum zu vermeiden. Vor- und Nachteile des Ausmaßes einer Operation in einem bereits metastasierten Stadium müssen sorgfältig in einem entsprechenden Tumorboard diskutiert werden. Hierfür ist eine interdisziplinäre Einschätzung der Situation (Gastroenterologe/ Internist, Narkosearzt, Hausarzt, Chirurge) unbedingt empfehlenswert. Sollte ein sehr schlechter Allgemeinzustand bestehen und der Patient unterernährt sein oder durch die Erkrankung sehr geschwächt, dann kann eine zusätzliche künstliche Ernährung vor der Operation wichtig sein.

Allgemeines zu der eigentlichen Operation
Für die Operation von Dickdarmkrebs gibt es chirurgische Leitlinien, die auch unbedingt eingehalten werden sollten. Der Chirurg, der diesen Eingriff durchführt, kann die weitere Lebensqualität aber auch das Überleben eines Patienten durchaus beeinflussen! Wichtig ist also, dass Sie zu Ihrem behandelnden Chirurgen ein Vertrauensverhältnis aufbauen und mit ihm die Zeit vor und nach der Operation besprechen. Auch ist es beispielsweise wichtig zu erfahren, ob der Tumor mit der Knopflochmethode oder konventionell, d.h. offen entfernt wird. Ganz generell kann man heute sagen, dass die „Minimal invasive Operationstechnik“, wenn der Chirurg dieses Verfahren entsprechend beherrscht genauso sicher und auch unter Einhalten der Radikalitätsprinzipien durchgeführt werden kann. Dabei geht es nicht nur um Kosmetik, sondern um ein Gesamtkonzept mit weniger Schmerzen und einer schnelleren Erholung von der Operation. Gemeinsam mit dem Konzept einer „fast-track-Chirurgie“ sind die Vorteile überzeugend. Kurz zusammengefasst bedeutet diese Chirurgie, dass man sich bis zu der Operation normal ernähren kann und noch am Operationstag trinken und auch einen Joghurt o.ä. essen darf. Zu dem Konzept gehört auch dazu, dass man eine Rückenmarksanästhesie bekommt (Periduralkatheter), so dass man postoperativ weniger Schmerzen hat. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, damit Patienten nach einer Operation gut durchatmen können (Lungenentzündungsprophylaxe), aber auch, damit Patienten nach dem Eingriff schnell mobilisiert werden können, sprich mit Begleitung aufstehen können und herumlaufen. Bewegung ist für unsere Darmtätigkeit gut! Unter dem Strich haben Chirurgen gelernt, dass Stuhlgang in den Darm gehört, wobei die neuen Operationsverfahren und – techniken vor der früher gefürchteten Stuhlkontamination während des eigentlichen Eingriffs schützen. Bei Enddarmkrebs ist das Thema des Kontinenzerhalts – also des Erhaltes des Schließmuskelapparates- immer von großer Bedeutung. Während früher recht häufig „alles“ entfernt werden musste, so ist heute vor allem auch durch die sich weiterentwickelnde Strahlen- und Chemotherapie sehr oft ein onkologisch sinnvoller Erhalt der Kontinenz möglich. Aber es macht keinen Sinn, auf Teufel komm raus die Kontinenz zu erhalten und dann mit einem schlechten Ergebnis davonzugehen, also mit einer Inkontinenz klarkommen zu müssen. Hier ist eine sehr gute und  genaue Absprache zwischen Patient und Chirurg essentiell. Es geht darum zu verstehen, wie wichtig einem Patienten der Kontinenzerhalt ist, um auch einschätzen zu können, wie gut oder schlecht er mit einer geringeren Form einer Inkontinenz später zurecht kommen kann oder nicht. Allerdings kann man auch sehr gut und auf jeden Fall ohne medizinische Nachteile mit einem künstlichen Darmausgang leben. Die Lebensqualität muss nicht eingeschränkt sein in dieser Situation, wobei die Voraussetzung selbstredend davon abhängen wird, ob man den neuen Stuhlausgang tatsächklich akzeptieren kann oder nicht. Die Unterstützung von Angehörigen und Freunden ist essentiell. Oft hilft ein Kontakt zu anderen Betroffenen beispielsweise über die Selbsthilfegruppen (beispielsweise Ilco u.a.) Wenn es sich bei dem Tumor um einen tiefsitzenden Enddarmkrebs handelt, sollte nach Möglichkeit immer ein sog. Kolonpouch (siehe Abb.) angelegt werden als Enddarmersatz. Dies bedeutet konkret, dass man mit dem Dickdarm, den man dann für die Naht an den Schließmuskelapparat verwendet zu einem kleinen „J“ oder „L“ formt und somit einen neuen Enddarm schafft. In der Literatur gibt es ausreichende Studienergebnisse und klare Empfehlungen (Cochrane-Analyse) die belegen, dass diese Maßnahme sinnvoll ist. Allerdings wird ein Kolonpouch hierzulande nur sehr selten angelegt. Es erfordert chirurgische Erfahrung um einen solchen Pouch sicher anzulegen und natürlich auch etwas Operationszeit, aber dieser Aufwand lohnt sich für die Patienten – auf jeden Fall in den ersten 1-2 Jahren nach der Operation. Danach gleichen sich die Ergebnisse denjenigen an, die keinen Enddarmersatz haben. Die Erfahrung, Expertise und das Engagement des Chirurgen sind gefragt!. Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Sorten von Enddarmersatz durch den Dickdarm in dieser Situation, die in unterschiedlichen Situationen angewendet werden können. Die Ergebnisse dieser drei Formen unterscheiden sich unwesentlich, so dass die Entscheidung durch den Chirurgen während der Operation getroffen werden sollte, welches Verfahren für den Patienten am besten geeignet ist. In manchen Fällen ist die Möglichkeit des späteren Einbringens eines künstlichen Schließmuskels anzusprechen. Dieses Verfahren ist für manche Personen – auch für diejenigen, die keinen Erhalt des Schließmuskels bei der Operation erzielen können und ein Stoma bekommen haben eine sehr gute Möglichkeit, lebensqualitätssteigernd einzuwirken. Das Analband ist jedoch kein Verfahren für jedermann, sondern ist eine hoch individuell zu stellenden Indikation für besondere Lebenssituationen.
 

Weitere Informationen:

Screenshot Web Familienhilfe Darmkrebs
Ist Darmkrebs familiär oder erblich. Bei cirka 5 % aller Betroffenen ist dies der Fall. Dann entstehen viele Fragen. Die Familienhilfe Darmkrebs e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht aufzuklären.
www.familienhilfe-darmkrebs.de
eMail: darmkrebshilfe@web.de
Telefon (02161) 59 11 12

Broschürencover
Komme ich aus einer Krebsfamilie?
E i n e Häufung von Erkrankungen i n n e r h a l b der Familie ist gerade bei Darmkrebs ein wichtiges Thema. Ein Buch, das auch kostenlos über das Internet heruntergeladen werden kann ist soeben im BBSG Verlag (Brustkrebsmagazin Mamma Mia) herausgegeben und gibt auf 140 Seiten Auskunft über das breite Themenspektrum.
http://www.bbsg-verlag.de/tl_files/website/downloads/BBSG-spezial-01-Darmkrebs_web_X3.pdf
BBSG Verlag Schillerstraße 18, 69226 Nußloch Tel. 06224/9897980 ISBN 4-192440 704900 01 Preis 4,90 E

Kommentieren ist momentan nicht möglich.

trans