Schwerpunkt: Brustkrebs   
 ASCO Kongress
Verbesserung der Brustkrebstherapie

Den jährlichen Kongress der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) nutzten in diesem Jahr annähernd 30.000 Teilnehmer zur Fortbildung und Standortbestimmung. Die Bedeutung dieses weltgrößten Krebskongresses beruht jedoch nicht allein auf der schieren Zahl der Teilnehmer. Vielmehr ist der ASCO-Kongress die Bühne, auf dem regelmäßig die Ergebnisse der größten und wichtigsten Studien der Krebsforschung der Öffentlichkeit präsentiert werden. In dieser Hinsicht wurde der diesjährige ASCO-Kongress den Erwartungen mehr als gerecht. Speziell für den Bereich der Brustkrebstherapie wurden Ergebnisse vorgestellt, die nicht nur die therapeutischen Möglichkeiten "revolutionieren" sondern auch das ärztliche Budget nachhaltig verändern werden.

Diese Ergebnisse sind innovativen Behandlungsformen wie Trastuzumab oder Bevacizumab zu verdanken, die die etablierten Methoden der Krebstherapie – Chirurgie, Chemotherapie und Strahlenbehandlung – um ein viertes Standbein ergänzen: die zielspezifische Tumortherapie, die in Fachkreisen als Targeted (Target = Ziel) Therapy bezeichnet wird. Im Unterschied zur herkömmlichen Chemotherapie greifen die Targeted Therapies sehr spezifisch an einem für das Tumorwachstum wichtigen Rezeptor, Botenstoff oder biochemischen Reaktionsweg an. Im Idealfall ist das "Target" nur im Tumor zu finden. Ein großer Vorteil der Target-spezifischen Therapien besteht aufgrund dieser Wirkweise in der – verglichen mit der herkömmlichen Chemotherapie – meist wesentlich besseren Verträglichkeit. Der zweite große Vorteil ist die Möglichkeit, die Therapie wesentlich gezielter auf die individuelle Krankheit "maßzuschneiden", als dies bisher möglich war.

Eine große Chance für eine Gruppe mit ungünstiger Prognose

Von einem auf dem ASCO-Kongress vorgestellten Ergebnis werden Frauen mit frühem,
d. h. nicht metastasiertem Brustkrebs profitieren, bei denen im Tumorgewebe eine hohe HER-2/neu-Konzentration, eine sog. HER-2/neu-Überexpression festgestellt wird.
Diese Gruppe umfasst immerhin ca. 25% aller Frauen mit frühem Brustkrebs.
HER-2/neu ist ein von Tumorzellen produzierter Rezeptor, der in der Zellwand bestimmten Wachstumsfaktoren als Andockstation dient. Dieser Vorgang steigert die Vermehrung von Krebszellen und das Tumorwachstum. Daher ist eine HER-2/neu-Überexpression mit einem ungünstigeren Krankheitsverlauf verknüpft.

Fast alle Patientinnen mit frühem Brustkrebs erhalten nach der chirurgischen Entfernung des Tumors eine sog. adjuvante (unterstützende) Therapie, deren Ziel darin besteht, mögliche im Körper bereits vom Tumor gestreute Krebszellen zu vernichten, die im Verlauf von Jahren zu einem Tochtertumor (Metastase) heranwachsen können.

Drei große Studien mit jeweils mehreren tausend Patientinnen haben nun gezeigt, dass Trastuzumab mit Chemotherapie das Risiko eines Rezidivs bei der Her-2/neu- überexprimierenden Patientengruppe in einem kaum für möglich gehaltenen Ausmaß vermindert.

Rückfallquote halbiert

Trastuzumab gehört zu der Arzneimittelklasse der sog. monoklonalen Antikörper und wird bereits seit einigen Jahren mit Erfolg bei Patientinnen mit HER-2/neu-überexprimierendem metastasiertem Brustkrebs eingesetzt. Die Wirkungsweise von Trastuzumab beruht auf der Blockade des HER-2/neu-Rezeptors. Wachstumsfaktoren können daher nicht mehr
am HER-2/neu-Rezeptor andocken. Für Frauen, bei denen sich keine HER-2/neu-Überexpression nachweisen lässt, bietet somit Trastuzumab keinen Vorteil.

In den Studien der amerikanischen Studiengruppen NSABP und NCCTG hatten Patientinnen mit HER-2/neu-überexprimierendem Brustkrebs entweder eine Taxan-haltige Chemotherapie alleine oder die gleiche Chemotherapie in Kombination mit einer einjährigen Trastuzumab-Behandlung erhalten. Die Zugabe von Trastuzumab führte zu einem Rückgang des Anteils der Frauen, die ein Rezidiv bekamen oder starben, um 52%. Nach 4jähriger Beobachtung mit einer mittleren Nachbeobachtungszeit von ca 2 Jahren betrug der Anteil der Patientinnen, die rezidivfrei und am Leben waren, in der Trastuzumab Gruppe 85%, in der Vergleichsgruppe ohne Trastuzumab nur 67%.

Dieses Ausmaß der Verbesserung ist erstaunlich, da sich der therapeutische Fortschritt in der Krebstherapie sonst in wesentlich kleineren Schritten vollzieht.

Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam die HERA-Studie, in der die Patientinnen nach einer beliebigen, dem Standard entsprechenden Chemotherapie (meistens mit Anthrazyklinen) entweder eine einjährige Behandlung mit Trastuzumab oder keine weitere Therapie bekommen haben. In dieser Studie bewirkte Trastuzumab eine Reduktion des Rezidiv- und Sterberisikos um 48%. Die Leiterin der HERA-Studie, Prof. Martine Piccart aus Brüssel, bekräftigte in ihrer Zusammenfassung, dass diese Ergebnisse den Einsatz von Trastuzumab bei Patientinnen mit frühem Brustkrebs und HER-2/neu-Überexpression unterstützen.

Angiogenese-Hemmung verlängert Zeit bis zur Progression

Die ebenfalls bemerkenswerten Ergebnisse mit dem neuen Krebsmittel Bevacizumab kommen dagegen Frauen mit fortgeschrittenem (metastasierten) Brustkrebs zugute. Der Antitumoreffekt von Bevacizumab, das wie Trastuzumab zur Arzneimittelklasse der monoklonalen Antikörper gehört, beruht auf der Hemmung der Blutgefäßneubildung (Angiogenese). Um wachsen zu können, benötigt der Tumor neue Blutgefäße, die ihn mit Sauerstoff bzw. Nährstoffen versorgen. Daher schickt der Tumor selbst einen Wachstumsfaktor (VEGF=Vascular Endothelial Growth Factor) aus, um die Bildung neuer Blutgefäße zu stimulieren. Bevacizumab blockiert diesen Prozess und bremst auf diese Weise die Gefäßneubildung und das Tumorwachstum. Bevacizumab ist das erste anti-angiogenetische Arzneimittel, dessen Nutzen beim Mammakarzinom sicher nachgewiesen werden konnte.

In der Studie E2100 der amerikanischen Studiengruppe ECOG hatten ca. 700 Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs, die in diesem Stadium bis dahin noch nicht behandelt worden waren, entweder eine Chemotherapie alleine (Paclitaxel) oder in Kombination mit Bevacizumab erhalten. Mit Bevacizumab behandelte Patientinnen erreichten doppelt so häufig eine Remission (Remission: die Tumorgröße wurde um mindestens 50% verkleinert). Wesentlich wichtiger aber war die Verlängerung der Zeit, in der die Patientinnen vom Fortschreiten der Krankheit verschont blieben, von 6 auf 11 Monate. Auch die Überlebensdauer scheint durch Bevacizumab verlängert zu werden. Es bedarf aber noch weiterer Daten, um den Effekt von Bevacizumab auf die Überlebensdauer sicher zu beurteilen.

Nach Ansicht des amerikanischen Brustkrebsspezialisten Eric P. Winer, Boston, ist Bevacizumab in erster Linie für Patientinnen geeignet, die im Stadium des fortgeschrittenen Brustkrebses noch keine bzw. noch keine ausgedehnte Chemotherapie erhalten haben. Als Grund nannte Winer eine frühere Studie mit stark vorbehandelten Frauen, in der die Kombination von Bevacizumab und Chemotherapie nicht erfolgreich war.

Interessanterweise scheint ein ähnliches, aber breiter ansetzendes Wirkprinzip bei diesen Patientinnen noch aktiv zu sein. Die Substanz SU11248 blockiert neben dem VEGF-Mechanismus auch noch andere, verwandte Wachstumsreize. Vorläufige Ergebnisse einer kleinen Studie zeigen, dass SU11248 bei einigen Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs, bei denen der Tumor nach mehreren Chemotherapien weiterwuchs, zum zeitweiligen Stillstand der Erkrankung führte. Um die klinische Relevanz einschätzen zu können, sind weitere, größere Studien geplant. SU11248 befindet sich zur Zeit in der klinischen Erprobung und ist noch nicht zugelassen.

Anti-Aromatase-Wirkstoffe ja – aber wann?

Bezüglich der Gretchenfrage in der Hormontherapie des Brustkrebses bei Frauen in den Wechseljahren (Postmenopause) hat sich durch den ASCO-Kongress 2005 wenig bewegt: Nach wie vor gibt es keine Einigkeit darüber, ob die Patientinnen Anti-Aromatase-Wirkstoffe direkt nach Operation und gegebenenfalls Chemotherapie bekommen sollten oder erst nach einer 2-3jährigen bzw. 5jährigen Tamoxifenbehandlung. Für die sofortige Einnahme von Anti-Aromatase-Wirkstoffen spricht, dass sie bei einer kleinen Patientengruppe früh auftretende Rezidive etwas wirksamer als Tamoxifen verhindern. Dies v. a. bei der Patientinnengruppe deren Tumoreigenschaften auf eine primäre Tamoxifenresistenz schließen lässt. Andererseits konnten von den beiden untersuchten Substanzen Letrozol und Anastrozol keine einheitlichen Daten bezüglich der Wirksamkeit bei Patienten mit befallenen Lymphknoten und z. B. bezüglich der Verhinderung von Metastasen gewonnen werden. Diese unterschiedliche Datenlage gerade bei erhöhtem Risiko und nach chemotherapeutischer Vorbehandlung sowie die signifikante Erhöhung von Knochenbrüchen bei den Patientinnen sprechen gegen einen frühen Einsatz der Aromatasehemmstoffe. Sicherlich waren dies Gründe dafür, dass sich das Expertenpanel aus St. Gallen überwiegend (72,4%) für die Umstellung nach 2-3 Jahren Tamoxifen auf einen Aromatasehemmstoffes entschieden. Nur 38,5 % der Experten bevorzugten den sofortigen Einsatz eines Aromatasehemmstoffes. Mehr als die Hälfte lehnt den frühen Einsatz ab (> 57%) In St. Gallen treffen sich alle 2 Jahre führende Burstkrebsspezialisten aus aller Welt, um über zukünftige Therapieleitlinien zu diskutieren. Entsprechendes Gewicht hat auch Ihr Abstimmungsergebnis. Die größte Studie zum Einsatz von Antiaromatasewirkstoffen nach 2-3 Jahren Tamoxifen war die IES Studie, in der die Substanz Exemestan untersucht wurde. Die Ergebnisse dieser Studie führten zur Zulassung dieser Substanz im September 2005. Exemestan erhöht die Anzahl der Knochenbrüche nicht stärker als Tamoxifen und unterscheidet sich damit von den anderen Aromatasewirkstoffen. Bei Frauen, die zuerst Tamoxifen und z. B. nach 2-3 Jahren einen Anti-Aromatase-Wirkstoff erhalten, ist das Frakturrisiko deutlich geringer, einerseits aufgrund der kürzeren Dauer der Anti-AromataseWirkstoff-Behandlung, andererseits aufgrund der knochenschützenden Wirksamkeit des Tamoxifens. Außerdem wird diskutiert, ob Anti-Aromatase-Wirkstoffe das Rezidivrisiko effektiver reduzieren, wenn sie nach Tamoxifen eingenommen werden. Jede Therapie mit Aromatasewirkstoffen hat sich im Vergleich zur 5jährigen Tamoxifen-Therapie als wirksamer erwiesen, und jede hat unter den Spezialisten Befürworter und Gegner.

Auf dem ASCO-Kongress brachte Prof. Burstein, Havard Medical School, Boston, die aktuelle Situation mittels eines Models auf den Punkt: Es stehen zur Zeit mehrere Standardoptionen zur Verfügung. Die Ergebnisse seines Rechenmodells auf Basis der aktuellen Studiendaten legen nahe, dass die sequenzielle Behandlung mit 2 J. Tamoxifen - Aromatasewirkstoff (z. B. Exemestan) eine gute Option für Patienten mit hoher Östrogen- und Progesteron-Rezeptorexpression ist (sog. ER+ /PgR+ Patienten) , dass aber für Patienten mit geringer Progesteronrezeptorexpression (ER+/PgR- Patienten) der sofortige Beginn mit einem Aromatasewirkstoff (diesbezüglich gibt es Daten zu Letrozol und Anastrozol) effektiver ist. Es gibt keinen Goldstandard. Die Frage nach der besten Strategie bzw. dem besten Anti-Aromatase-Wirkstoff wird entgültig erst in laufenden Studien entschieden werden, in denen die Strategien bzw. die Substanzen direkt verglichen werden. Bis dahin kann man sich an die o. g. Empfehlungen halten.

Taxan-Zugabe verbessert Wirksamkeit der adjuvanten Therapie

Zur adjuvanten Chemotherapie des frühen Brustkrebses wurden zwei wichtige Studien vorgestellt. In der ECTO-Studie wurde versucht, eine langjährige Standardtherapie zu optimieren, die in der Aufeinanderfolge (Sequenz) von jeweils 4 Zyklen eines Anthrazyklins und CMF besteht. Eine Gruppe der Patientinnen erhielt diese Standardtherapie, eine andere Gruppe die gleiche Behandlung, jedoch die 4 Anthrazyklin-Zyklen kombiniert mit einem Taxan (Paclitaxel). Die Studie zeigt nach Aussage des Mailänder Onkologen Prof. Luca Gianni, dass die Zugabe von Paclitaxel die Wahrscheinlichkeit eines Fortschreitens der Krankheit um ca. ein Drittel verringert.

Weiterhin bestätigten sich in der ECTO-Studie Ergebnisse früherer Untersuchungen, wonach die Frauen kein Risiko eingehen, wenn sie die Chemotherapie statt nach der Operation- wie im Rahmen der adjuvanten Therapie- schon vor der Operation durchführen. Diese sog. primäre (neoadjuvante, präoperative) Therapie ist insbesondere bei großen – oder aus anderen Gründen schwierig zu operierenden – Tumoren von Vorteil: große Tumore lassen sich mit der primären Chemotherapie häufig soweit verkleinern, dass es möglich ist, eine brusterhaltende Operation durchzuführen, statt die befallene Brust vollständig zu entfernen. Andererseits war nicht auszuschließen, dass bei diesem Verfahren, u. a. wegen der sparsameren Operation bei Brusterhaltung, ein höheres Risiko lokaler Rezidive besteht. In der ECTO-Studie war die primäre Chemotherapie jedoch nicht mit einer Zunahme des Progressions-, Rezidiv- oder Sterberisikos verbunden, obwohl die primär behandelten Patientinnen wesentlich häufiger brusterhaltend operiert worden waren.

Vier Chemotherapie-Zyklen unzureichend!

In der Studie E2197 war dagegen die Gabe eines Taxans im Rahmen der adjuvanten Therapie nicht von Erfolg gekrönt. Über 2500 Patientinnen mit frühem Brustkrebs erhielten entweder 4 Zyklen des Taxans Docetaxel plus Cyclophosphamid oder die frühere Standardtherapie mit 4 Zyklen eines Anthrazyklins plus Cyclophosphamid. Die Auswertung ergab hinsichtlich des Risikos, ein Rezidiv zu bekommen oder zu sterben, keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Weshalb die Patientinnen in dieser Studie – im Gegensatz zur ECTO-Studie – von der Gabe eines Taxans nicht den erhofften Vorteil hatten, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Nach Ansicht von Prof. Gabriel Hortobagyi aus Houston besteht der Grund wahrscheinlich darin, dass beide Regime mit nur 4 Zyklen nicht ausreichend wirksam sind. Die nach heutigem Verständnis geeigneten Therapien umfassen mindestens 6 Zyklen. Daher sollte die Behandlung mit 4 Zyklen Docetaxel/Cyclophosphamid nur in Studien eingesetzt werden, so Hortobagyi.