Therapie & Forsch.   
 Moderne Schmerztherapie
Fast niemand muss heute mehr unter Schmerzen leiden

Die medikamentöse Schmerzpalette hat sich in den letzten Jahren vergrößert. Die Zahl an Schmerzmedikamenten, die Kenntnisse über die Schmerzen und das psychologische Verständnis über den Schmerz sind in den letzten Jahren wesentlich erweitert worden. Krebspatienten müssen ihre Schmerzen heute nicht einfach ertragen. Die moderne Schmerztherapie kann sie bei über 98 Prozent effektiv lindern. Damit Krebspatienten mehr Lebensqualität gewinnen, dürfen ihre Schmerzen den Alltag nicht dominieren. Eine auf den Einzelnen ausgerichtete Therapie hilft daher auch, den Teufelskreis von Angst, Hoffnungslosigkeit und Schmerzen zu durchbrechen und so den Alltag besser zu bewältigen.

Schmerz ist individuell

Krebsart, Stadium der Erkrankung und auch die Psyche beeinflussen Tumorschmerzen. Jeder Krebspatient leidet daher anders. Am Therapiebeginn steht deshalb immer die sorgfältige Diagnose, die die individuelle Krankengeschichte berücksichtigt. Schmerzskalen helfen Patienten, ihre Schmerzintensität subjektiv zu bewerten. In einem Schmerztagebuch tragen sie Schmerzdauer und -stärke, aber auch ihre Stimmung, besondere Aktivitäten, Schlafzeiten oder bestimmte Bewegungen ein. Daraus kann der Arzt erkennen, wie äußere und innere Einflüsse auf die Schmerzempfindung wirken und die Therapie entsprechend ausrichten.

Bewährtes Stufenmodell

Bereits vor 20 Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation für die medikamentöse Behandlung von Tumorschmerzen ein Drei-Stufen-Schema entwickelt: Dabei entscheidet einzig die Schmerzstärke und nicht die Diagnose über die Wahl des Schmerzmittels.

Stufenschema
Stufe 1
Nicht-Opioidanalgetikum
+/- Adjuvantien
Nicht-Opioidanalgetikum wie:
Metamizol, Diclofenac, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol
Stufe 2
schwaches Opioid
+ Nicht-Opioidanalgetikum
+/- Adjuvantien

schwaches Opioid wie:
Tramadol, Tilidin/Naloxon, Dihydrocodein
Stufe 3
starkes Opioid
+ Nicht-Opioidanalgetikum
+/- AdjuvantienStufenschema

starkes Opioid wie:
Fentanyl, Morphin, Buprenorphin


Dabei gilt immer der Grundsatz, dass möglichst lange oral, d. h. in Tablettenform die Schmerzmittel verabreicht werden sollten. Handelt es sich beispielsweise mehr um Eingeweideschmerzen oder Koliken, dann gibt man Schmerzmittel mit krampflösender Wirkung. Sind es mehr Knochenschmerzen, dann natürlich nicht-steriodale Antirheumatika. Die Stufe 1 bilden einfache Schmerzmittel. Reicht deren schmerzstillende Wirkung nicht aus, werden zusätzlich schwach wirksame Opioide der zweiten Stufe eingesetzt. Wenn auch diese nicht ausreichen, werden stark wirksame Opioide der dritten Stufe verordnet, oft kombiniert mit Schmerzmitteln der Stufe 1. Ärzte greifen heute aber wegen der besseren Verträglichkeit oft direkt zu Opioiden der dritten Stufe, die zunächst niedrig dosiert werden. Für eine dauerhaft ausreichende Schmerzlinderung ist ein fester Zeitplan wichtig: Die Medikation erfolgt nicht erst bei spürbaren Schmerzen, sondern bevor die Wirkung der Schmerzmittel nachlässt.

Opioide sind gut verträglich

Schmerzpflaster Abb 1. Schmerzpflaster
Selbst bei langer Behandlungsdauer sind Opioide sehr gut verträglich. Sie schädigen weder Organe noch entsteht bei vorschriftsmäßiger Anwendung eine psychische Abhängigkeit, wie fälschlicherweise oft befürchtet wird. Schmerzmittel machen bei Schmerzpatienten eingesetzt nicht abhängig.
Anfangs kommt es manchmal zu Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, was nach wenigen Wochen meist von alleine aufhört. Gerade bei oraler Einnahme von Opioiden kann jedoch auch längerfristig Verstopfung auftreten. Wichtig sind dann begleitende Abführmittel und auch die Darreichungsform spielt eine Rolle. Reicht die orale Gabe nicht mehr aus oder gibt es Unverträglichkeiten, so sind beispielsweise Schmerzpflaster zu geben. Übelkeit oder Erbrechen kommen bei Schmerzpflastern (z. B. mit dem Wirkstoff Fentanyl, siehe Abb. 1) seltener oder weniger ausgeprägt vor, da sie den Wirkstoff über die Haut abgeben und damit den Magen-Darm-Trakt umgehen. Ein zusätzlicher Vorteil dieser sogenannten transdermalen Therapie ist, dass die Pflaster mindestens über 72 Stunden wirken und so nur frühestens alle 3 Tage gewechselt werden müssen. Schmerzpflaster werden bei Tumorschmerzpatienten mittlerweile sehr häufig angewandt.

Neben den häufig angewandten Schmerzpflastern besteht aber auch die Möglichkeit, Schmerzmedikamente wie z. B. dem Wirkstoff Morphinsulfat oral, das heißt über den Mund zu verabreichen. Hier gibt es beispielweise drei verschiedene Verabreichungsformen: in Kapselform, in Mikropelletsform durch Beimischung zur Nahrung und in der Intensivversorgung durch Verabreichung über eine Sonde (siehe Abb. 2).

Darreichungsformen von Schmerzmedikamenten Abb 2. Unterschiedliche Darreichungsformen

Die Kapselform garantiert eine kontinuierliche Freisetzung von Erhaltungsdosen und wird bei starken bis sehr starken Schmerzen verabreicht. Die Abgabe des Wirkstoffes in den Körper beruht auf dem Prinzip der Aufnahmeverzögerung durch eine retardierte (zeitlich versetzte) Ausschüttung des Wirkstoffes aus zahlreichen Mikropellets. Dies verhindert eine schnelle An- und Abflutung des Morphins. Erst nach 12 Stunden fällt die Konzentration im Blut langsam in den unwirksamen Bereich ab. Vergleichsweise ähnliche Behandlungsergebnisse können heute mit unterschiedlichen Darreichungsformen von Schmerzmedikamenten erzielt werden, deren Einsatz im Dialog mit einem erfahrenen Schmerztherapeuten sorgfältig geprüft werden sollte.

Begleitende Maßnahmen

Oft unterstützen nicht-medikamentöse Verfahren wie Krankengymnastik, Psychotherapie oder Akupunktur die Therapie. Sie können beispielsweise Nebenwirkungen lindern, Verspannungen lösen, Abwehrkräfte mobilisieren und einen seelischen Ausgleich herstellen. Alles trägt zu einer effektiven Schmerzlinderung bei.

Ausblick

Der Schmerz kann in jedem Stadium der Krankheit zu 98% ausgeschaltet werden.
Ist keine Heilung mehr möglich, ist die aktive Auseinandersetzung mit dem Sterben in aller Regel eine entlastende Erfahrung. Hierzu ist es auch ratsam, sich beispielweise mit dem Hausarzt über geeignete Einrichtungen für die letzte Lebensphase wie Palliativstationen, Hospizen, Schmerzambulanzen in Krankenhäusern zu informieren, um in dieser letzten Zeit nicht leiden zu müssen. Es ist aller Erfahrung nach für die Betroffenen dabei sehr beruhigend und entlastend, zu wissen, dass es einen Ort gibt, wo ihnen in dieser Phase geholfen werden kann. Alle Erfahrungen zeigen, dass das eigene Ende dann besser akzeptiert werden kann. Das Entscheidende ist die sogenannte "Innere Stimmigsein".
Das kann, je nach Patient, entweder das Kämpfen gegen die Krankheit oder aber die Akzeptanz des Sterbens sein. Wichtig ist für alle Patienten möglichst gut und objektiv informiert zu sein, um jeweils die für den jeweiligen Patienten stimmige Entscheidung treffen zu können.

Informationen im Internet

Speziell an Tumorschmerzpatienten wendet sich die Initiative "Gemeinsam gegen Tumorschmerz" (unter www.tumorschmerz.de). Ein umfangreiches Informationsangebot zu chronischen Schmerzen bietet auch das Schmerzportal www.schmerznetz.de .