Schwerpunkt: Brustkrebs   
 Brustkrebs bei älteren Frauen
Nach der Brustkrebs-OP: Hormone, Zytostatika oder nichts?

Prof. Dr. med. Günther J. Wiedemann, Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Onkologie, Oberschwabenklinik, Ravensburg und Dr. med. Sabine Thor-Wiedemann, Medizinpresse, Ravensburg

Es ist schwer zu verstehen: bei der Operation konnte der Tumor vollständig entfernt werden, auch eventuell befallene Lymphknoten hat der Chirurg beseitigt. Und dennoch empfiehlt die Ärztin oder der Arzt Medikamente mit erheblichen unerwünschten Wirkungen - sicherheitshalber.

Welche Überlegung steckt hinter einer solchen "adjuvanten Therapie"?

Prinzipiell können immer bösartige Zellen, die noch keine klinisch nachweisbaren Metastasen gebildet haben, im Körper vorhanden sein. Je größer und aggressiver der Tumor war und je mehr Lymphknoten befallen waren, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit. Damit sich diese vereinzelten bösartigen Zellen nicht weiter vermehren können, sollen sie mit einer adjuvanten Therapie (Zytostatika bzw. Chemotherapie und/oder Hormontherapie) möglichst früh zerstört werden.

Studien haben gezeigt, dass damit die Überlebenschancen verbessert werden können. Allerdings wurden diese Studien fast ausschließlich an jüngeren Frauen durchgeführt, die außer Krebs keine weiteren ernsthaften Krankheiten hatten und deshalb die Nebenwirkungen einer solchen Therapie besser vertrugen, als das bei älteren Patientinnen zu erwarten ist.

Ältere Brustkrebspatientinnen haben häufig auch andere Krankheiten

Gerade bei älteren Frauen (über 65 Jahre) gibt es außer der Krebserkrankung häufig weitere Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Herzkrankheiten. Außerdem sind Nieren und Leber bei ihnen normalerweise nicht mehr so leistungsfähig. Das bedeutet, dass Medikamente langsamer abgebaut und ausgeschieden werden und deshalb länger und stärker wirken. Auch das Knochenmark, das durch eine Chemotherapie besonders in Mitleidenschaft gezogen wird, erholt sich bei älteren Patientinnen nicht mehr so schnell.

Mehr Nutzen als Schaden

Bei einer nebenwirkungsreichen Krebstherapie geht es darum, Nutzen und Risiken, die aus Studien bekannt sind, im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Oder genauer: ist eine statistisch mögliche Verbesserung der Überlebenschancen im individuellen Fall überhaupt wahrscheinlich? Oder besteht die Gefahr, dass eine ältere Frau mit einer Therapie wegen schädlicher Nebenwirkungen früher stirbt als ohne Therapie? Eine solche Behandlung, die mehr schadet als nutzt, nennt man Übertherapie.

Übertherapie ist ein Thema

Viele wissenschaftliche Krebszeitschriften greifen dieses Thema zur Zeit auf, auf Kongressen diskutieren Ärzte über das richtige Maß in der adjuvanten Therapie. Hier gibt es zur Zeit noch keine zuverlässigen Richtlinien. Als sicher kann aber gelten, dass eine Behandlung nach Leitlinien, die in Studien an jüngeren Frauen erarbeitet wurden, bei älteren Patientinnen mehr schaden als nutzen kann. Besorgnis erregend ist besonders, wenn ältere Frauen mit eingeschränkter Leistungsreserve der inneren Organe und inneren Krankheiten (die ebenfalls mit Medikamenten behandelt werden müssen) , unkritisch mit der vollen Dosis von Zytostatika gefährdet werden. Voraussetzung für die Entscheidung für eine bestimmte Therapie ist es also, zunächst eine internistische Bestandsaufnahme zu machen.

Abbildung: Neuerkrankungen an Brustkrebs nach Altersgruppen Abb. 1:
Zahl der Neuerkrankungen an Brustkrebs in Deutschland für verschiedene Altersgruppen
Quelle: Robert-Koch-Institut, 2004


Chemotherapie ist nicht immer nötig

Je älter Brustkrebspatientinnen sind, desto häufiger können sie ausschließlich mit Hormontherapie behandelt werden. Das liegt daran, dass bei älteren Patientinnen in 80-90% so genannte hormonrezeptorpositive Tumoren festgestellt werden. Diese Tumoren wachsen unter dem Einfluss von weiblichen Sexualhormonen (Östrogen, Progesteron). Bei einer Hormontherapie (die eigentlich richtiger Anti-Hormontherapie heißen müsste) unterdrückt man die Hormonbildung oder verhindert, dass die Hormone an den Tumorzellen wirken können. Dies verhindert die Vermehrung der Tumorzellen und lässt sie absterben.

Bei den meisten älteren Patientinnen wirkt die Hormontherapie mindestens so gut wie die Chemotherapie, verursacht aber weniger unerwünschte Wirkungen. Die Hormontherapie ist auch spezifischer, sie zerstört keine gesunden Zellen. Nebenwirkungen wie Hitzewallungen, Osteoporose, Depressionen, Thrombosen oder Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut können allerdings auftreten.

Wann übersteigt das Risiko einer adjuvanten Chemoherapie den Nutzen?

Auf eine adjuvante Chemotherapie soll bei älteren Frauen verzichtet werden, wenn alle der folgenden Kriterien erfüllt sind:
  • Der Tumor in der Brust hatte höchstens 1-2 Zentimeter Durchmesser (Tumorstadium T0 und T1; betrifft rund die Hälfte der Brustkrebspatientinnen).
  • Es waren keine Lymphknoten vom Brustkrebs befallen (N0).
  • Die Hormonrezeptoren waren positiv.
  • Die feingewebliche Untersuchung (Histologie) zeigte ein differenziertes Tumorwachstum ("Grading" G I oder G II).
Diese Bedingungen erfüllen schätzungsweise 40-50% aller älteren Frauen.


Welche älteren Patientinnen brauchen keine adjuvante Hormon- und Chemotherapie?

Bei sehr kleinen differenzierten, hormonrezeptorpositiven Tumoren (unter 1 Zentimeter Durchmesser) ohne Lymphknotenbefall kann nach vollständiger Entfernung des Tumors im Gesunden auf eine adjuvante Hormon- und Chemotherapie verzichtet werden.

Obwohl große Studien nahe legen, dass eine adjuvante Therapie in dieser Situation mehr Probleme als Nutzen nach sich zieht, verzichten Ärzte und Patientinnen häufig nicht gerne darauf. Sie haben dann oft das Gefühl, nicht alles Machbare getan zu haben. Das ist nachvollziehbar, weil die genannten Prognosekriterien (Tumorgröße, Lymphknotenbefall, Hormonrezeptoren, Grading) zwar das statistische Risiko beschreiben, Metastasen zu bekommen, nicht aber das tatsächliche individuelle Risiko.

Wie lässt sich in Zukunft das individuelle Metastasierungsrisiko besser vorhersagen?

Ein bereits entwickelter Gentest an den Tumorzellen des entnommenen Tumorgewebes einer Frau lässt Rückschlüsse zu, wie groß die Tendenz genau dieses Tumors ist, Metastasen zu bilden und wie wahrscheinlich es ist, dass eine Chemotherapie einen Vorteil bringt. Damit könnte in Zukunft Frauen mit geringem Metastasierungsrisiko eine Chemotherapie erspart werden.