| Archiv |     Ausgabe 03/2002

Therapie & Forsch.   
 
Dr. med. Jens Büntzel, Klinik für HNO-Erkrankungen, Nordhausen
Radikalfänger in der Onkologie - eine Bestandsaufnahme

Zwischen 2000 und 2001 wurden Interviews mit 619 Tumorpatienten an verschiedenen deutschen Kliniken zum Gebrauch ergänzender Behandlungsverfahren durchgeführt. 69 % der Patienten gaben an, sich nach solchen Methoden umgesehen zu haben und diese dann auch genutzt hatten. Hauptziel seitens der Patienten war dabei die Therapieunterstützung, oftmals die Milderung von Nebenwirkungen der eigentlichen Krebsbehandlung (Chemotherapie, Operation, Strahlentherapie). Etwa 35 % aller Patienten nutzten in dem genannten Rahmen Radikalfänger (Vitamine, Spurenelemente).

Die Entdeckung der freien Radikale ist erst einhundert Jahre alt. Man versteht hierunter sehr kurzlebige, hoch aggressive chemische Substanzen, die auch in Abbauprozessen entstehen und ihrerseits wieder auf Grund einer hohen eigenen Energie zur Zerstörung anderer Stoffe beitragen. Dieser Mechanismus wird in der Medizin für die Entstehung verschiedener Krankheitsbilder (z.B. Krebs) verantwortlich gemacht, so dass die Suche nach Schutzstoffen vor freien Radikalen eine annähernd ebenso lange Geschichte hat. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die freien Sauerstoffradikale und andere Substanzen, die als Abbauprodukte im menschlichen Körper entstehen.

Quellen freier Radikale sind zum einen natürliche biochemische Reaktionen, wie sie in jedem Körper unter normalen Umständen ablaufen (Atmungskette und körpereigene Abbaureaktionen). Andererseits entstehen durch medizinische Behandlungen (Bestrahlung, Chemotherapie) ebenso freie Radikale wie durch andere chemische Stoffe (z.B. Pflanzenschutzmittel), die uns im Alltag begegnen können.

Über die Entstehung und "Weiterverarbeitung" freier Radikale können also gezielte Behandlungseffekte erreicht werden, andererseits sind diese Substanzen für Nebenwirkungen etablierter Behandlungsverfahren ebenso verantwortlich wie für typische Umwelterkrankungen.

Im Rahmen der onkologischen Haupttherapie wird ihre schädigende Wirkung primär für die Zerstörung der Krebszellen genutzt; die bei einer Bestrahlung und / oder Chemotherapie entstehenden Nebenwirkungen am gesunden Gewebe sind jedoch ebenfalls eine biologische Wirkung freier Radikale.

Bevor die wichtigsten Radikalfänger aufgezeigt werden, sollten die Hauptkriterien für ihre Wirksamkeit kurz genannt sein.

Erstens muss der Radikalfänger sicher an den gewünschten Wirkort gelangen, d.h. die Aufnahme derartiger Stoffe, z.B. über den Darm muss in ausreichendem Maße gewährleistet sein ebenso wie der effektive Transport zu den Organen, die durch Radikalfänger geschützt werden sollen.

Zweitens sollte man wissen, dass der Radikalfänger zur rechten Zeit am gewünschten Ort zur Verfügung steht. Nur eine Anwesenheit des Radikalfängers während der Entstehung der aggressiven freien Radikale führt auch zu den gewünschten Schutzeffekten.

Drittens muss der Radikalfänger in ausreichender Menge vor Ort vorhanden sein, um eine ausreichend entgiftende Wirkung zu entfalten.

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Grundvoraussetzung des klinischen Einsatzes von Radikalfängern in der Tumorbehandlung muss es zudem sein, dass die eigentlichen Effekte der Bestrahlung oder Chemotherapie nicht durch den Radikalfänger gesenkt werden. Nur dann kann man sich dem zweiten Ziel der Senkung der Nebenwirkungen mit ruhigem Gewissen widmen.

Unter den direkt wirkenden sind die Vitamine A, C, und E von besonderer Bedeutung, da sie auf Grund der Selbstmedikation der Patienten eine weite, teils unkontrollierte Verbreitung gefunden haben. Vitamin E befindet sich wegen seines Löslichkeitsverhaltens in Zellwänden und kann dort entscheidend Stoffe des Fettabbaus entgiften. Seine Wirkung kann von Vitamin C, aber auch Glutathion beträchtlich gesteigert werden. Vitamin C bietet selbst ebenfalls ein erhebliches Potential zum Abfangen und Binden freier Radikale. Es sollte bei seiner Einnahme jedoch darauf geachtet werden, dass es nicht unmittelbar mit Selenit aufgenommen wird, da beide Substanzen miteinander reagieren und die eigentliche Wirkung hinsichtlich der freien Radikale aufgehoben wird.

Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Substanzen reagieren indirekte Radikalfänger mit körpereigenen entgiftenden Enzymsystemen. Ein Enzymsystem benötigt für ihren Einsatz unbedingt Zink; andere Enzymsysteme sind in gleicher Weise auf die Anwesenheit von Selen angewiesen. Gerade diese beiden Spurenelemente sind jedoch bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorleiden oftmals extrem erniedrigt, so dass man davon ausgehen kann, dass der tumorkranke Organismus eine erniedrigte Aktivität dieser entgiftenden Enzymsysteme aufweist.

Seit 1995 ist Amifostin zum Schutz vor Nebenwirkungen der Chemotherapie (Nierenschäden, Verminderung bestimmter Blutbestandteile) und im Bereich der Strahlentherapie im Kopf- Halsbereich (Verminderung der Mundtrockenheit) zugelassen.

Diese Substanz wird erst in der Zelle in ihre aktive "Radikalfänger" Form gebracht, wobei der eigentliche Wirkungsmechanismus letztlich noch nicht eindeutig geklärt ist.

Der gezielte Ausgleich von Spurenelementen wie Zink und Selen führt auch bei Tumorpatienten zu einem nachweisbaren Ankurbeln der körpereigenen Entgiftung, d.h. dem natürlichen Abbau der freien Radikale, so dass bei laborchemischen Nachweis eines entsprechenden Mangels die gezielte Einnahme entsprechender Präparate sehr sinnvoll erscheint. Gegenstand klinischer Forschung ist bisher jedoch noch die Frage der Auswirkungen auf das Niveau der Nebenwirkungen der Krebstherapie einerseits wie auf die Wirksamkeit der Grundbehandlung andererseits. Aus diesem Grunde sollte eine derartige Einnahme nur unter der Kontrolle eines mit der Materie vertrauten, onkologisch erfahrenen Mediziners erfolgen.

Für Patienten und Ärzte ist es deshalb an der Zeit, die begleitende Selbstmedikation offen zu diskutieren und dabei sachkundig und unvoreingenommen Vor- und Nachteile zu erkennen und abzuwägen.