Schwerpunkt: Krebs im Alter   
 Die besondere Situation älterer Menschen
in der Strahlentherapie


In einer aktuellen klinischen Studie, die 2004 in Spanien veröffentlicht wurde, wurde mitgeteilt, dass zwischen 1995 und 2002 1.479 Patienten in klinisch onkologischen Studien akquiriert und behandelt wurden. Von diesen Patienten waren nur 5% älter als 75 Jahre. Das bedeutet, dass ältere Menschen nicht adaequat repräsentiert sind und dass entsprechend unser Wissen um die Reaktion nach Chemo- und auch nach Strahlentherapie deutlich eingeschränkt sind. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass klinische Studien ein hohes Alter in den meisten Fällen als Ausschlusskriterien definieren.

Dabei steigt die Anzahl alter Patienten in der Strahlentherapie, da Krebs im Alter häufiger wird. So liegt die Wahrscheinlichkeit bei einem Mann älter als 85 Jahre, an einem Krebs zu erkranken, bei ca. 3,5% pro Jahr. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von mehr als 4 Jahren ist auch in dieser Altersgruppe der Einsatz einer kurativen Strahlentherapie in manchen Fällen sinnvoll. Außerdem deuten verschiedene Studien darauf hin, dass die Raten an lokaler Tumorkontrolle und krankheitsspezifischem Überleben nach Strahlentherapie mit denen jüngerer Patienten vergleichbar sind. Dies gilt z.B. für Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebsen. Hier wurden in Japan 295 Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebsen behandelt und nach dem Alter stratefiziert (getrennt beurteilt). Alle Patientinnen erhielten eine externe und interne Strahlentherapie; keine Patientin erhielt eine Chemotherapie. 179 Patientinnen waren jünger als 70 Jahre und 79 Patientinnen waren älter. Die Ergebnisse in den einzelnen Stadien waren in beiden Gruppen identisch, die Nebenwirkungen in beiden Gruppen waren nicht unterschiedlich.

Voruntersuchung Gerade bei älteren Menschen sollte vor Therapieentscheidung eine gründliche Voruntersuchung statt finden
Auch beim selten Cholangiokarzinom, ein Tumor der Leber-/ Gallenregion, wurden 307 Patienten im Alter zwischen 28 bis 93 Jahren behandelt. 2 Gruppen wurden gebildet, und zwar Patienten jünger als 60 Jahre im Vergleich zu Patienten, die älter waren als 60 Jahre. Die Behandlung war in beiden Gruppen identisch. Die Einjahresüberlebensrate betrug 6,3% in der Gruppe der jungen Patienten gegenüber 31% in der Gruppe der älteren Patienten. Bei diesem seltenen Tumor ist das Alter also ein prognostisch guter Faktor. Es gibt aber auch gegenteilige Beispiele, wo das Alter des Patienten allein der wichtigste negative Prognosefaktor zu sein scheint. Dies sind insbesondere die Non-Hodgkin-Lymphome, die Glioblastome (bösartige Hirntumoren), die Dickdarmkrebse und auch Gebärmuttertumoren.

Obwohl strahlenmolekularbiologische Daten auf einen Anstieg der Strahlenempfindlichkeit mit zunehmendem Alter hinweisen, durch z.B. Nachlassen der Kapazität verschiedener DNA-Reparaturenzyme, bestätigen die experimentellen sowie klinische Studien dies, wie oben ausgeführt, nur partiell. Drei größere Europäische Studien liegen zur Toxizität von Organsystemen bei älteren Menschen vor. Ältere Patienten leiden häufiger an Mukositis (Entzündung der Schleimhaut), weisen unter Bestrahlung einen höheren Gewichtsverlust und eine höhere Rate von Spätschäden des Oesophagus auf. Bei älteren Menschen kommt es unter Bestrahlung zu einer häufigeren Entgleisung des Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushaltes, sodass hier eine engmaschige Überprüfung erforderlich ist. Jüngere Patienten leiden hingegen eher unter akuten Nebenwirkungen wie Hautschäden, Übelkeit und Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Daher sollte die Indikation zur Bestrahlung älterer Krebspatienten nur in Abhängigkeit vom Allgemeinzustand und von Begleiterkrankungen getroffen werden. Das chronologische Alter des Patienten allein ist selten eine Kontraindikation zur Bestrahlung. Eine Dosisreduktion nur aufgrund des Alters erscheint nicht gerechtfertigt.

Es ist wichtiger, ein umfassendes geriatrisches Assessment von jedem individuellen Patienten anzufertigen und erst dann die Therapieentscheidung zu treffen. Auch Patienten, älter als 70 Jahre mit fehlenden Begleiterkrankungen und gutem Allgemeinzustand, können in vielen Fällen einer Standardtherapie zugeführt werden.