Schwerpunkt: Krebs im Alter   
 Krebs im Alter

Krebs gibt es in jedem Alter. Doch zwei von drei Tumorpatienten sind über 65 Jahre alt.

Die außerordentliche Häufigkeit von bösartigen Tumoren ist der Preis, den wir für die ansonsten erfreuliche Zunahme der Lebenserwartung zahlen müssen.

Warum ist Krebs im Grunde eine Alterskrankheit?

Ein Leben lang entstehen im Erbgut von Zellen ständig Schäden, die Krebs verursachen könnten. Doch der Körper hat Reparaturmechanismen, die solche Schäden rückgängig machen oder unwiderruflich geschädigte Zellen absterben lassen. Mit zunehmendem Alter sind diese Reparaturmechanismen nicht mehr so effektiv. So wie im Alter zum Beispiel Wunden häufig nicht mehr so gut heilen, können auch entartete Zellen nicht mehr restlos beseitigt werden. Hinzu kommt: von der ersten entarteten Zelle bis zum erkennbaren Tumor dauert es oft viele Jahre. Deshalb treten Karzinome, die ihren Ursprung bereits im mittleren Lebensalter haben, oft erst im Rentenalter in Erscheinung.

Früherkennungsuntersuchungen im Alter besonders wichtig

Natürlich ist es in jedem Alter wichtig, die Angebote zur Früherkennung von Krebs (so genannte Krebsvorsorge) wahrzunehmen. Leider nehmen ältere Menschen aber häufig die Früherkennung nicht mehr so ernst. Denn viele wissen nicht, dass die Gefahr, Krebs zu bekommen, mit dem Alter stark zunimmt. Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor überhaupt und verursacht mehr Krebsfälle als beispielsweise das Rauchen.

Wachsen Tumoren im Alter langsamer?

Das ist leider nicht immer der Fall. Es hängt sehr von der genetischen Ausstattung (dem Erbgut) der Krebszellen ab, ob der Tumor schnell oder langsam wächst. Beim Brust- und beim Lungenkrebs wachsen die Tumoren bei älteren Patienten aber häufig nicht so aggressiv wie bei jüngeren.

Kann man Krebs im Alter überhaupt noch effektiv behandeln?

Eindeutig ja. Allerdings muss die Behandlung Rücksicht auf die Besonderheiten des höheren Lebensalters nehmen. Denn ältere Menschen haben fast immer noch mehrere andere Krankheiten neben dem Krebs. Das bezeichnet man als Komorbidität. Ungefähr die Hälfte aller Tumorpatienten über 65 Jahre hat beispielsweise einen Bluthochdruck, jeder Fünfte leidet unter Diabetes. Im Schnitt bestehen im Alter drei bis vier chronische Begleiterkrankungen neben der Tumorkrankheit. Das macht die Therapie schwieriger. Denn durch Begleiterkrankungen werden Organe wie Herz, Nieren oder Lunge geschädigt, Nebenwirkungen von Medikamenten können dadurch häufig nicht kompensiert werden. Hinzu kommt: wer chronisch krank ist, nimmt in der Regel täglich mehrere verschiedene Medikamente ein. Dann muss besonders viel Sorgfalt auf die Auswahl der Krebsmedikamente verwendet werden, um unerwünschte Wechselwirkungen der verschiedenen Medikamente untereinander zu vermeiden.

Bevölkerungszuwachs und Krebsneuerkrankungen

JahrBevölkerungKrebsfälle
1990--
2010+ 9%+ 32%
2020+ 12%+ 60%

Durch die Veralterung der Gesellschaft steigt die Anzahl der Krebsfälle stärker
als das Bevölkerungswachstum.

Eine Frage der Reserve

Doch auch Senioren, die im Großen und Ganzen gesund sind, vertragen eine Chemotherapie in der üblichen Intensität meistens nicht mehr so gut wie jüngere Menschen. Der Grund ist die nachlassende Reservekapazität der Organe. Das bedeutet, dass Herz und Kreislauf, Leber und Nieren, Lunge und Knochenmark nicht mehr so flexibel auf die Belastungen durch Nebenwirkungen der Medikamente reagieren können.

Beispiel Nieren: Mit den Jahren nimmt die Fähigkeit der Nieren ab, das Blut von Substanzen, also auch von Medikamenten, zu reinigen. Die so genannte Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) gibt einen Anhaltspunkt, wie viel Blut die Nieren pro Minute von Schadstoffen reinigen können. Sie ist bei einem 80-Jährigen 40 bis 50 Prozent geringer als bei einem 20-Jährigen. Je niedriger die GFR ist, desto geringer muss ein Zytostatikum dosiert werden, um eine zu hohe Konzentration des Medikamentes im Blut zu vermeiden. Deshalb wird vor einer Chemotherapie die GFR bestimmt oder anhand von Tabellen je nach Alter geschätzt, um die Dosis der Zytostatika entsprechend anpassen zu können.

Gealterte U.S. Bevölkerung > 65 Jahre
Grafik: der Anteil der über 65-jährigen an der Bevölkerung steigt

Beispiel Leber: Die Durchblutung der Leber nimmt im Alter deutlich ab. Das beeinflusst die Stoffwechselaktivität der Leber und damit den Umbau und Abbau von Arzneimitteln. Das muss bei der Auswahl der Substanzen und bei der Dosierung berücksichtigt werden.

Beispiel Knochenmark: Im Alter kann das Knochenmark Blutzellen, die bei der Chemotherapie zerstört werden, nicht mehr so schnell ersetzen (nachlassende Knochenmarksreserve). Wenn zu wenige weiße Blutkörperchen (Leukozyten) da sind, drohen Infekte. Eine zu geringe Zahl von Blutplättchen (Thrombozyten) bringt eine erhöhte Blutungsneigung mit sich. Und zu wenige rote Blutkörperchen (Erythrozyten) führen zu Müdigkeit und Erschöpfung. Die eingeschränkte Knochenmarksreserve hat in der Vergangenheit häufig dazu geführt, dass Zytostatika nicht in der vollen Dosis gegeben werden konnten. Heute hat man aber die Möglichkeit, Wachstumsfaktoren zu verabreichen, die die Zellbildung im Knochenmark stimulieren.

Prozentualer Anteil von U.S. Patienten > 65 J. nach Tumorart*
Grafik: hoher Anteil der über 65-jährigen bei verschiedenen Tumorerkrankungen
* Alle Rassen, beide Geschlechter
Quelle: National Cancer Institute SEER Program Data 1993-97

Individuelle Therapie

Für eine Krebsbehandlung ist man nie "zu alt". Das Geburtsdatum ist weniger entscheidend als die persönliche Fitness und eventuelle Begleiterkrankungen. So hat ein 75-Jähriger ohne ernsthafte Begleitkrankheiten heute eine statistische Lebenserwartung von 10 Jahren. Das rechtfertigt auch eine eingreifende Therapie mit dem Ziel der Heilung. Dagegen fährt ein 70-Jähriger mit zahlreichen Begleiterkrankungen und einer deutlich eingeschränkten Lebenserwartung unter Umständen besser mit einer schonenden Therapie, die nicht zur Heilung führt, aber die Lebensqualität der verbleibenden Jahre nicht übermäßig beeinträchtigt. Hier spielen die individuellen Erwartungen und Wünsche eine große Rolle für die Wahl des therapeutischen Vorgehens.

Lebenserwartung
Grafik: steigende Lebenserwartung

Hilfe ist nötig

Glücklicherweise können viele Therapien heute zu Hause statt im Krankenhaus durchgeführt werden. Dabei muss aber Rücksicht genommen werden auf die Einschränkungen, die sich durch das höhere Lebensalter ergeben. Der Erfolg einer Therapie kann hier an vielen, teils ganz banalen Dingen scheitern: einem zu klein gedruckten Beipackzettel oder Etikett. Einem Verschluss, der schwer auf geht. Vergesslichkeit bei der Tabletteneinnahme. Schwierigkeiten beim Schlucken. Ältere Tumorpatienten sollten deshalb immer besonders deutliche Erklärungen von Ärzten und Apothekern bekommen. Besonders gut ist es, wenn auch Angehörige Bescheid wissen und bei Bedarf helfen können.