Therapie & Forsch.   
 Östrogen-Gabe nach Mammakarzinom

Die derzeitige Diskussion über den Zusammenhang zwischen der Gabe von Hormon-Präparaten bei Wechseljahresbeschwerden und Brustkrebsentstehung gehört zu Recht zu den wichtigsten aktuellen Themen, die die Routine-Versorgung einer großen Zahl gesunder Frauen betreffen. Das Mammakarzinom zählt zu den hormonabhängigen Tumoren, viele seiner Risikofaktoren stehen mit einer verlängerten Zeit oder mit erhöhten Spiegeln von Östrogenen in Zusammenhang, mit denen sich der Organismus auseinandersetzen muss wie z. B. beim frühen Einsetzen der ersten Periode, dem späten Einsetzen der Menopause, eine späte erste Geburt, Kinderlosigkeit oder eben eine Hormontherapie nach den Wechseljahren. Die bisher veröffentlichten Ergebnisse waren sehr widersprüchlich, erst die in den späten 90ger Jahren publizierten großen Untersuchungen erlaubten eine definitive Aussage über das mit der Hormonsubstitution verbundene Brustkrebsrisiko. Insgesamt erhöht eine Hormontherapie, sofern sie 5 Jahre und länger durchgeführt wird, das Mammakarzinom um etwa 35 %. In absoluten Zahlen ausgedrückt, erhöht eine 5jährige Hormontherapie innerhalb einer Beobachtungszeit von 20 Jahren die Zahl der Mammakarzinome um 2 Fälle pro 1000 Frauen und eine 10jährige Therapie um 6 Fälle. Durch die jüngsten publizierten Daten der WHI-Studie wurde der Indikationsbereich und die Empfehlung zur Hormonsubstitutionsdauer in diesem Jahr von der Deutschen Arzneimittelsicherheitsbehörde und von den zuständigen Fachgesellschaften modifiziert.

Insgesamt ist es also mehr als verständlich, dass vor dem Hintergrund dieser Daten die Frage gestellt wird, wie man Frauen behandeln soll, die in der Zeit nach einem Mammakarzinom entweder aufgrund der adjuvanten antiöstrogenen Therapie oder aufgrund von Wechseljahresbeschwerden nach Beendigung der adjuvanten Therapie so stark leiden, dass sie nach einer Hormonsubstitution fragen.
Die Östrogenmangelsymptomatik führt oftmals zu einer nicht akzeptablen Beeinträchtigung der Lebensqualität, so dass hier ein Behandlungsbedarf besteht. Die Datenlage ist allerdings nicht überzeugend. Die verständliche Sorge, durch eine Hormontherapie das Auftreten von Lokalrezidiven oder Fernmetastasen zu fördern und damit möglicherweise das Überleben zu verkürzen, macht generell eine Zurückhaltung bei der Indikationsstellung zu einer Hormontherapie in dieser Situation nachvollziehbar. Diese Zurückhaltung schlägt sich auch nieder in der derzeit gültigen Konsensus-Empfehlung "Hormonsubstitution nach Mammakarzinom" der Deutschen Gesellschaft für Senologie, die im Jahre 2002 verabschiedet wurde.

Für die Behandlung des hormonempfänglichen Mammakarzinoms ist eine vorübergehende oder dauerhafte Verringerung der Östrogen-Spiegel im Rahmen der adjuvanten
Therapie sehr nützlich. Dies gilt für alle Altersgruppen und sowohl für die
Mono-Therapie als auch die Kombinationstherapie mit verschiedenen
antihormonellen Präparaten. Im Gegensatz dazu stehen Ergebnisse
von 11 Kohorten- und Fallkontrollstudien, die sogar im Einzelfall
ein geringeres Risiko für ein Zweitkarzinom oder Lokalrezidiv
feststellen konnten, wenn Patientinnen mit klimakterischen
Beschwerden, die zuvor an einem Mammakarzinom
behandelt wurden, eine Östrogen-Therapie
erhielten. Ferner gibt es zahlreiche weitere
Untersuchungen, die zumindest keinen
signifikanten Unterschied zwischen der mit
Hormonen behandelten und der unbehandelten
Gruppe feststellen konnten. Allerdings sind alle diese Untersuchungen zum Teil retrospektiv, zum Teil beinhalten sie nur kleine Patientinnen-Zahlen, so dass die daraus ableitbaren Schlüsse begrenzt sind. In einer am Royal Marsten Hospital in London durchgeführten Pilot-Studie, deren Ergebnisse im Jahre 2000 veröffentlicht wurden, wurde der Effekt einer halbjährigen Hormontherapie bei Frauen, die zuvor an einem Mammakarzinom operiert worden waren und deren adjuvante Behandlung bereits abgeschlossen war, untersucht. In der mit Hormonen behandelten Gruppe von 100 Frauen wurden bei 2 Patientinnen Metastasen gefunden, in der Kontrollgruppe von 161 Frauen lediglich bei 1 Patientin. Der Effekt einer länger dauernden Hormontherapie nach Mammakarzinom, nämlich für die Dauer von 2 Jahren, wird bei BrustkrebsPatientinnen derzeit in mehreren Studien überprüft, deren Ergebnisse aber noch nicht vorliegen.

Die Mehrzahl der Brustkrebs-Patientinnen ist bereits postmenopausal, wenn die Diagnose gestellt und die Therapie durchgeführt wird. Allerdings gibt es auch eine Gruppe von Patientinnen, die zum Zeitpunkt der DiagnoseStellung noch regelmäßige Periodenblutungen aufwiesen oder gerade in der Zeit der Wechseljahre sich befanden. Da die meisten Frauen mit hormonempfänglichen Tumoren zunächst mit dem Antiöstrogen Tamoxifen behandelt werden, gibt es auch entsprechende Beschwerden, die durch die Östrogen-Rezeptor-Blockade mit diesem Medikament entstehen. Hierbei ist besonders zu beachten, dass die klimakterischen Beschwerden unter Tamoxifen nicht selten die Patientin so stark belasten, dass sie daran zweifelt, die gesamte notwendige Therapie durchhalten zu können und dass damit aufgrund dieser Symptomatik der Gesamteffekt der Behandlung gefährdet werden kann. In einer im Jahre 2002 veröffentlichten aktuellen Arbeit wurden 1472 Brustkrebs-Patientinnen untersucht, von denen die Hälfte eine adjuvante Tamoxifen-Therapie erhielt und über Hitzewallungen und andere klimakterische Beschwerden klagten. Nach entsprechender Aufklärung fanden sich 23,2 % der Frauen bereit, eine hormonelle Behandlung der menopausalen Beschwerden durchzuführen. Diese Behandlung begann im Durchschnitt 3 Jahre nach Diagnosestellung und wurde im Mittel für 1,6 Jahre durchgeführt. Das rezidivfreie Überleben wurde mit demjenigen der verbliebenen 1130 Frauen verglichen, welche keine hormonelle Behandlung erhalten hatten. Es ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen. Es konnte bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren keine erhöhte Rezidivrate für diejenigen Frauen gefunden werden, die parallel zu der erforderlichen TamoxifenTherapie auch eine hormonelle Substitution wegen Wechseljahresbeschwerden durchführten.

Auf der Basis der bisher vorliegenden Daten kann also eine hormonelle Therapie von Wechseljahresbeschwerden nach entsprechender Aufklärung der Patientin und Ausschöpfung aller anderen unterstützenden Möglichkeiten durchaus empfohlen werden, da eine PrognoseVerschlechterung bislang nicht erkannt werden konnte. Die Sicherheit einer zweijährigen Hormontherapie gegenüber einer hormonfreien Kontrollgruppe sollte in einer prospektiv randomisierten Studie (HABITS-Studie) an 1300 Brustkrebs-Patientinnen überprüft werden. Die erste Zwischenauswertung nach 2 Jahren ergab in dieser Untersuchung eine etwas erhöhte Rate von BrustkrebsrezidivEreignissen in der behandelten Gruppe, weswegen diese Studie abgebrochen wurde, obwohl diese Unterschiede nicht statistisch signifikant waren.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass eine allgemeine Zurückhaltung in der Anwendung von ÖstrogenPräparaten nach Brustkrebs angebracht ist, bei starken, die Lebensqualität entscheidend reduzierenden Beschwerden ist allerdings die Hormonersatztherapie angezeigt und wahrscheinlich auch ungefährlich. Das Ausweichen auf pflanzliche Östrogene, welches in aller Regel vor Einleiten einer hormonellen Behandlung durchgeführt wird, beinhaltet möglicherweise die gleichen Risiken, die nur deswegen seltener auftreten, weil die Dosen der Phytoöstrogene geringer sind. Daher kann durchaus eine niedrig dosierte klassische Östrogen- oder Östrogen-Gestagen-Therapie empfohlen werden, wenn die Symptomatik entsprechend belastend ist.