Körper & Seele   
 Warum gerade Ich?

Himmel
Warum Ich? - Warum...trifft es gerade mich? Das fragen sich nicht nur Krebspatienten. Wann immer ich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Warum gestellt bekomme, denke ich an ein mir bekanntes Ehepaar, dessen ältester Sohn mit einer geistigen Behinderung geboren wurde. Warum gerade ich, warum gerade wir, warum gerade jetzt, warum...

Ja, viele Fragen haben sie sich gestellt. Ihre Pläne wurden im wahrsten Sinn des Wortes durchkreuzt. Der Lebensweg schien bisher geradlinig, stetig und positiv nach oben gelaufen zu sein. Auch hatten sie versucht, ein bewusstes Leben zu führen und jetzt diese Konfrontation.

Was würden die Nachbarn, Bekannte und Freunde denken, wie würden Arbeitskollegen reagieren, sind gar die beruflichen und privaten Ziele in Gefahr? Warum Ich?

Nun, die Frage nach dem Warum ist die am schwersten zu beantwortende Frage, selbst für erfahrene Seelsorger und Psychologen. Es ist sehr schwer eine passende Antwort hierfür zu finden. Plattitüden und einfache selbst naheliegende - Erklärungsversuche treffen nicht den Kern der Frage. Denn wem stelle ich diese Frage überhaupt. Mir selber? Oder ist es eine Frage an ein höheres Wesen... vielleicht an Gott? In vielen Zimmern von Krankenhäusern hängen Kreuze... im Anblick und Gespräch mit ihm mag sich jeder selbst diese Frage beantworten.

Für die meisten Menschen, die sich die Frage nach dem Warum stellen, ist es jedoch zunächst einmal die erste Frage... eine Frage, der weitaus wichtigere Fragen folgen. Für viele ist die Frage nach dem Warum also ein erster wichtiger Schritt! Sollten Sie sich gerade diese Frage stellen, verzweifeln Sie nicht, sondern seien Sie gespannt, denn Sie sind auf dem richtigen Weg, vielleicht dem wichtigsten Ihres Lebens!

Wissen wir nicht schon seit frühester Kindheit und Jugendzeit, dass wer geboren wird auch irgendwann sterben muss? Durch den Fortschritt der Medizin überleben inzwischen ca. 50% aller Krebspatienten eine bösartige Tumorerkrankung. Für die Überlebenden, ist die Leid- und Noterfahrung einer Tumorbehandlung in jedem Fall eine der wichtigsten Lebenserfahrungen und für viele der Grund, noch bewusster zu leben. Es geht nicht mehr darum, sich aufzuregen, wenn sich jemand im Supermarkt an der Kasse vorzudrängeln versucht. Es geht schon gar nicht um Geld. Es geht um Lebensziele..., es geht um Liebe..., es geht um persönliche Ziele und Dinge, die jeder im Leben zu erreichen versucht. Denn wir alle sind einzigartig.

Ein altes Sprichwort sagt "Das Wichtigste im Leben bekommt man geschenkt!" Ich könnte noch vieles hierzu schreiben, doch wie wichtig ist der beginnende Lebensabschnitt für die anderen 50%, für die der bösartige Tumor die letzte Lebensphase einläutet. Ist es nicht gar die wichtigste Lebensphase? Ohne Bewusstheit wird man als Kind ins Leben hineingeboren. Kinder brauchen Wärme und Liebe... ohne Liebe stirbt der Mensch. Und auch wenn der Mensch verschiedene Phasen körperlicher und geistiger Liebe durchlebt, Liebe ist es doch vor allem das, was die vermeintlich letzte Lebensphase unglaublich lebenswert macht.

Und so kommt mir immer wieder eine Geschichte in Erinnerung, die mir der langjährige katholische Krankenhausseelsorger der Universitätsklinik Münster in einem Gespräch schilderte. Er sagte: "Sie glauben gar nicht, wie viele Patienten mir wenige Tage vor ihrem Tode mitgeteilt haben ... trotz Schmerz und vielen krankheitsbedingten Einschränkungen waren die letzten Wochen die schönsten meines Lebens!" Es kann nur zu einem großen Teil die erfahrene und gelebte Liebe sein, die das zu Ende gelebte Leben auszeichnet. Durch Liebe und gelebte Menschlichkeit wachsen mit der Zeit alle Dinge. Eine Blume, ein Händedruck, ein Blick, ein Lächeln und ein Augenzwinkern gewinnen mehr an Bedeutung als alles andere. Vor allem menschliche Zuwendung birgt Lebensqualität (was für ein Wort!).

Und hier komme ich zurück auf den geistig behinderten Jungen. So kann man heute feststellen, dass dieser inzwischen erwachsen gewordene Junge, das Zentrum der Familie ist, sie zusammenhält, deswegen noch lebt, weil er Zuwendung erfährt und sein Vater wurde nicht obwohl, sondern gerade auf Grund seiner glaubhaft gelebten Liebe zu seinem Sohn und seiner besonderen Lebenserfahrung in verschiedene Gremien gewählt.

Wir alle werden vom Schicksal vor Situationen gestellt, von jetzt auf gleich... und müssen das Beste daraus machen. Wohl dem der danach lebt. Ich selbst muss mich manchmal fragen: Warum nicht auch ich? (ch)