Therapie & Forsch.   
 Anämie richtig behandeln
Warum der Hämoglobinwert so wichtig ist

Aktuelle Studienergebnisse belegen: Eine frühzeitige Anämietherapie verbessert die Lebensqualität von Krebspatienten erheblich.

Ständig müde, kraftlos und total erschöpft. Viele Krebspatienten kennen diese Symptome nur allzu gut. Sie leiden an Fatigue (franz. für Müdigkeit), einer besonders ausgeprägten Form der körperlichen und mentalen Erschöpfung. Die Symptome sind Folge der Tumorerkrankung oder der Behandlung. Obwohl zwischen 60 und 80 Prozent aller Krebspatienten an Fatigue leiden, wissen viele nicht, dass es sich dabei um eine ernst zu nehmende und in vielen Fällen gut behandelbare Begleiterscheinung ihrer Erkrankung handelt. "Bei den meisten Betroffenen zeigt die Untersuchung des Hämoglobinwertes (Hb-Wert), dass eine Blutarmut, bzw. Anämie als wahrscheinlichste Ursache in Frage kommt", erklärt Prof. Dr. Uwe Reinhardt, Hämatologe an der Medizinischen Klinik in Bayreuth. "Der Mangel an roten Blutkörperchen, den so genannten Erythrozyten, führt zu einer Unterversorgung aller Organe mit Sauerstoff und ist damit der häufigste Grund für die beschriebenen, manchmal fast unerträglichen Erschöpfungszustände." Reinhardt hat sich intensiv mit dem Zusammenhang von Hb-Wert und Fatigue befasst. In einer groß angelegten Studie, in der zwischen 1998 und 2000 über 700 Krebspatienten erfasst und untersucht wurden, konnte er nachweisen, dass der Hb-Wert und die Entstehung von anämiebedingter Fatigue enger zusammenhängen als bisher vermutet. "Wird der normale Hb-Wert, der bei Frauen zwischen 12 g/dl und 16 g/dl und bei Männern bei 13 g/dl bis 18 g/dl liegt, unterschritten, zeigen sich vermehrt Fatigue Symptome", erklärt der Experte. "Generell lässt sich sagen, dass mit dem Absinken des Hb- Wertes unter 12g/dl auch die Energie der Patienten abnimmt. Und umgekehrt zeigt sich oft eine deutliche Verbesserung, sobald er auf mindestens dieses Niveau angehoben wird." Die Studienergebnisse des Bayreuther Spezialisten decken sich mit Untersuchungen amerikanischer Wissenschaftler. "Die Rolle des Hb-Wertes wurde sicherlich viele Jahre unterschätzt, jetzt gilt es, das Bewusstsein für die Rolle der Anämie im Krebsgeschehen bei Ärzten und Patienten zu schärfen", meint Reinhardt. Keinesfalls sollte man einen Krebspatienten mit einem HbWert von 10 g/dl als "geheilt" nach Hause schicken, auch wenn der Tumor erfolgreich behandelt wurde und die Prognose günstig ist. Zu groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass eine anämiebedingte Fatigue die soziale, berufliche und familiäre Rehabilitation erschwert und verlangsamt. "Was nutzt es dem Patienten, wenn er zwar am Leben ist, aber aufgrund seiner Erschöpfungssymptome nicht am Leben teilnehmen kann", so Reinhardt.

Zur Behandlung der anämiebedingten Fatigue kann heute auch Erythropoetin eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um einen gentechnisch hergestellten Wirkstoff, der die Bildung von roten Blutkörperchen ankurbelt. Das Präparat wird ein- bis dreimal die Woche entweder durch die Haut (subkutan) oder in die Vene (intravenös) gespritzt. Schon nach kurzer Zeit kommt es bei den meisten Patienten zu einem Anstieg des HbWertes und die Fatigue Symptome lassen nach. Eine Alternative dazu sind Bluttransfusionen aus Spenderblut, die vor allem dann unverzichtbar sind, wenn der Hämoglobinwert in sehr niedrige Bereiche abgefallen ist und entsprechend rasch wieder angehoben werden muss. Allerdings hält der Effekt von Transfusionen oft nur eine relativ kurze Zeit an, und Blutübertragungen bergen auch gewisse Risiken. Weitere Optionen bestehen in der angepassten körperlichen Konditionierung von Anämiepatienten. Vieles spricht dafür, dass die auch heute oft noch recht undifferenziert ausgesprochene Empfehlung, dass Krebspatienten sich körperlich schonen sollten, eine Mitursache für Anämie und Fatigue darstellt, da mit der körperlichen Belastung ein wichtiger Reiz für die Bildung körpereigenen Erythropoetins wegfällt.

Die Behandlung mit gentechnologisch hergestelltem Erythropoetin ist effizient, aber teuer. "Auch wenn der Wirkstoff nicht preisgünstig ist, darf er bei einer entsprechenden Indikation den Patienten nicht vorenthalten werden", meint Reinhardt. Er rät, Therapierichtlinien zu erarbeiten. "Darin sollte eine rechtzeitige Anämietherapie bei bestimmten Tumoren ebenso festgeschrieben werden wie die Kriterien, ab welchem Zeitpunkt die Behandlung abgebrochen wird, weil sie vermutlich nicht anschlägt". Auf keinen Fall dürfe man mit der Anämietherapie so lange warten, bis der Hämoglobinspiegel den früher als kritische Grenze angesehenen Wert von 8g/dl erreicht habe.

Dann wird ein Ausgleich nur sehr schwer möglich, dauert länger und wird teurer. Außerdem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass das Vorhandensein einer Anämie auch das Ansprechen der Antitumortherapie und die Prognose der Krebserkrankung verschlechtern kann.

Mit einer rechtzeitigen Anämietherapie könne man, so Reinhardt, optimale Patientenversorgung und kostenbewusstes medizinisches Handeln unter einen Hut bringen.