Therapie & Forsch.   
 Den Krebs molekular bekämpfen
Interview mit Prof. Dr. Jens Atzpodien

Krebsmagazin: Was ist der "genetische Fingerbadruck"?

Prof. Atzpodien: Der "genetische Fingerabdruck" wird für zwei Fragen genutzt: Beim malignen Melanom (dem schwarzen Hautkrebs) ergibt sich zum einen die Frage, ob ein Gewebe oder eine Blutprobe vom schwarzen Hautkrebs befallen ist. Dies geschieht molekular mit einer Sensitivität von einer einzigen Krebszelle in 10 ml Blut. Zum zweiten ergibt sich die Frage, welche genetischen Merkmale ein Krebs aufweist und welche prognosegebenden Charakteristika daraus abzuleiten sind. Beide Fragen können heute in die klinische Betreuung der Patienten einfließen.

Krebsmagazin: Gibt es diese Möglichkeit nur an bestimmten Zentren?

Prof. Atzpodien: Diese Techniken sind in der medizinischen Forschung weltweit entwickelt worden: Einmal die so genannte Genchipuntersuchung, bei der sich auf einem "Chip" Proben für alle 30. 000 menschlichen Gene befinden und diese Geninformationen anhand der isolierten RNA (Erbsubstanz) im Sinne einer Gensignatur nachgewiesen werden. Zum zweiten gibt es die Technik des Polymerasekettenreaktionsnachweises. Dies ist ein Nachweisverfahren, um Erbinformation, die bereits bekannt ist, mittels einer Signalvermehrung in einer Probe zu suchen.

Krebsmagazin: Ist man schon soweit, dass wir genau anhand dieser Informationen, die der Genchip dann liefert, die Therapie ableiten können?

Prof. Atzpodien: Wir können in einer Blutprobe eines Patienten, der in der Vergangenheit ein Hochrisiko-Melanom hatte und dessen Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen keine verdächtigen Befunde liefern, bereits anhand der Blutprobe molekulare Melanomspuren nachweisen. Daraus können wir dann auch ganz konkrete therapeutische Konsequenzen ziehen.

Krebsmagazin: Herr Prof. Atzpodien, sind diese Techniken schon evidenzbasiert, d. h. sind diese Techniken im Hinblick auf Ihren Nutzen wissenschaftlich belegt?

Prof. Atzpodien: Evidenzbasiert ist der Einsatz der Polymerasekettenreaktionstechnik mit der Frage, ob ein Gewebe oder eine Blutprobe Krebszellen enthält oder nicht. Diese Technik hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren medizinisch wissenschaftlich etabliert.

Krebsmagazin: Welche Vorteile hat dieses Verfahren gegenüber herkömmlichen Diagnoseverfahren?

Prof. Atzpodien: Im Prinzip sind die molekularen Nachweisverfahren sensitiver als Nachweise z. B. mit dem Mikroskop.

Krebsmagazin: Beim Brustkrebs wird nach der Operation zunehmend Tumorgewebe als Probe eingefroren?

Prof. Atzpodien: Wir haben in unserem Hause bereits seit vielen Jahren von Krebspatienten nach entsprechender Einwilligung eine Probenbank angelegt und nutzen die Informationen, die wir aus dem Tumor molekular gewinnen können.

Krebsmagazin: Welche Art der Proben benötigt man für die jeweiligen modernen Techniken?

Prof Atzpodien: Für den Genchip braucht man frisch eingefrorenes Tumormaterial, für andere Techniken reicht zum Teil in Paraffin eingebettetes Probenmaterial.

Krebsmagazin: Auf der 1. Offenen Krebskonferenz hat die Patientenorganisation Mamazone e. V. von an Brustkrebs erkrankten Frauen ihre Gewebedatenbank vorgestellt, in der jede Frau, die sich daran beteiligt, ihre Gewebeprobe zur einen Hälfte der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung stellt und die andere Hälfte der Probe der Frau selbst zur Verfügung steht, falls sie irgendwann einmal einen Rückfall bzw. ein Wiederauftreten des Tumors erleidet. Was halten Sie davon?

Prof. Atzpodien: In der Vergangenheit waren Tumorgewebeproben für die wissenschaftliche Forschung unzureichend. Ich halte dies jetzt für ein faires Verfahren, das dem allgemeinen Erkenntnisgewinn der wissenschaftlichen Forschung im gleichen Maße wie der einzelnen Patientin zu Gute kommt.

Krebsmagazin: Wie steht es mit der Vergleichbarkeit von Testverfahren im Reagenzglas und im Körper des Patienten?

Prof. Atzpodien: Wie Zuverlässig molekulare Therapieentscheidungen sind, das wird man beispielsweise für den Genchip erst in vielen Jahren abschließend beurteilen können. Dafür sind die Informationen zu vielfältig und auch die möglichen Konsequenzen, die man daraus ziehen könnte, zu umfangreich.

Krebsmagazin: Was versteht man unter der Immuntherapie beim malignem Melanom?

Prof. Atzpodien: Die Immuntherapie folgt dem Prinzip, die natürliche Körperabwehr gegen eine Tumorerkrankung zu nutzen. Heute kann man das Immunsystem stimulieren mit Hilfe der Zytokine, das sind Wachstumsregulatoren der Körperabwehr, mit denen man weiße Blutzellen und andere Bestandteile des menschlichen Abwehrsystem anregen kann. Zu den Interferonen und Interleukinen hinzugekommen sind in den letzten Jahren synthetische Impfstoffe, die erstmals beim malignen Melanom die Erkennungsmerkmale in der biochemischen Synthese nachbilden und zur Immunisierung angewendet werden. Diese Impfungen sind hochspezifisch und dienen dazu, eine Melanomerkrankung für die Körperabwehr des Patienten erkennbar zu machen.

Krebsmagazin: Welche Vorteile haben die betroffenen Patienten?

Prof. Atzpodien: Der angestrebte Vorteil ist die Stabilisierung der Erkrankung und langfristig eine Verbesserung der Überlebensprognose.

Krebsmagazin: Ist die Immuntherapie beim malignem Melanom schon Teil der klinischen Praxis?

Prof. Atzpodien: Die Impfung ist Teil der Immuntherapien, wenn eine Streuung in die Lymphbahn, die den Primärtumor umgibt, gesehen wird und eine erste Immuntherapie mit Alpha-Interferon nicht ausreicht. Bei dieser Patientengruppe setzen wir heute soweit möglich Impfstoffe ein.

Krebsmagazin: Für welche Patienten bietet sich diese Therapie an?

Prof. Atzpodien: Eine Impftherapie des malignen Melanoms ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Hautkrebs nach einer ersten Interferonbehandlung erneut aufgetreten ist.

Krebsmagazin: Ist Interferon nach wie vor die Therapie der Wahl?

Prof. Atzpodien: Interferon wird routinemäßig eingesetzt, nachdem der Tumor operativ entfernt wurde, aber Zeichen der Streuung in die Lymphbahn gesehen wurden.

Krebsmagazin: Wie sieht es mit den Nebenwirkungen bei der Interferonbehandlung aus?

Prof. Atzpodien: Das Interferon ist wirksam, aber es kommt häufig zu Fieber, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit und allgemeine Leistungsminderung. Demgegenüber ist der Impfstoff ein hochspezifischer Eingriff in das Immunsystem des Patienten, der bedingt durch die höhere Spezifität meist weniger Nebenwirkungen hat.

Krebsmagazin: Vielen Dank für das Interview!