Schwerpunkt: Leukämien und Lymphome   
 Rehabilitation von Patienten mit Leukämie und Lymphomerkrankung


In Deutschland erkranken jedes Jahr 25. 150 Menschen an malignen Lymphomen und Leukämien (Schätzung Robert-Koch-Institut 2000) , wobei 12. 550 auf Non-Hodgkin-Lymphome, 10. 800 auf Leukämien und 1. 800 auf Morbus Hodgkin entfallen.
Dagegen wurden im Jahre 2003 nur 5. 993 Patienten der Rentenversicherungen mit Lymphomen und Leukämien stationär in einer Rehabilitationsklinik behandelt.
Ein Grund für den geringen Anteil de
r Patienten, die in einer Rehabilitationsklinik behandelt worden sind, ist darin zu sehen, dass die Erkrankungen sehr heterogen mit großen Unterschieden bezüglich Krankheitsfolgen und Rehabilitationsbedarf sind.

Nach Abschluss der Behandlung der Krebserkrankung haben Patienten jedoch häufig viele Fragen und Sorgen, die im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation geklärt werden können. Dazu gehören u. a. :
  • Wie kann ich die chronischen Nebenwirkungen der Behandlung überwinden?

  • Werde ich meine körperliche Leistungsfähigkeit zurückerlangen?

  • Ich bin ständig so müde und erschöpft, heißt dass, die Krankheit kommt wieder?

  • Was kann ich gegen die Angst vor einem Rückfall tun?

  • Ich habe Angst, dass Stress und Schlafstörungen mich wieder krank machen.

  • Mein Partner und meine Familie glauben, ich bin wieder die (der) Alte.

  • Ich kann mich nicht mehr so konzentrieren, werde ich meinen Beruf wieder ausüben können?
Das Ziel der Rehabilitation ist die funktionale Gesundheit der Patienten (WHO 2001) , die dann besteht, wenn eine Person
  1. normale Körperfunktionen und -strukturen hat

  2. alles tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem erwartet wird (Aktivitäten)

  3. an allen Lebensbereichen teilhaben kann.
Dies wird erreicht, durch Maßnahmen, die zur Verminderung von körperlichen, psychischen und sozialen Beeinträchtigungen und zur Wiedereingliederung in Umwelt, Gesellschaft und Arbeitsprozess führen. Dabei ist die Rehabilitation ein aktiver, vom Betroffenen selbst zu leitender Übungsprozess.

Rehabilitationsbedürftigkeit besteht dann, wenn Funktionsstörungen durch die spezifisch therapeutischen Mittel der Rehabilitation voraussichtlich kompensiert werden können (BfA). Dabei kann die medizinische Rehabilitation stationär, teilstationär oder ambulant in onkologischen Rehabilitationskliniken oder ambulanten Therapiezentren durchgeführt werden.

Die Rehabilitation kann von der Akutklinik als Anschlussheilbehandlung eingeleitet werden und sollte innerhalb von 2 Wochen (nach Strahlentherapie bis zu 6 Wochen) nach Entlassung angetreten werden. Ein stationäres Rehabilitationsverfahren (Nach- und Festigungskur, Heilmaßnahme) kann auch später bei Ihrer Rentenversicherung oder Krankenkasse beantragt werden. Die Rehabilitationsmaßnahme kann auf Antrag innerhalb von drei Jahren nach Abschluss der Primärbehandlung wiederholt werden. Auch nicht versicherte Angehörige und Rentner können stationäre Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen.

Gesetzlich ist die Rehabilitation im Sozialgesetzbuch IX verankert. Dort ist im §9 ein Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten vorgesehen. "Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen".

Krankheits- und Therapiefolgen

Nach Abschluss der akuten Behandlung haben viele Patienten noch mit Belastungen und Folgestörungen zu tun:

- Körperliche Folgen
- Funktionelle Folgen
- Psychosoziale Folgen
- Familiäre Belastungen
- Existentielle Belastung
- Belastungen durch das Versorgungssystem
- Belastung durch Berufstätigkeit
- Finanzielle Belastung

Im körperlichen Bereich (Abb. 1) ist die Leistungsfähigkeit oft durch Muskelschwäche nach Kortisonbehandlung und nach längeren Ruhephasen eingeschränkt.
Auch Kalksalzverarmung der Knochen (Osteopenie, Osteoporose) wird hierdurch gefördert. Die Chemotherapie kann darüber hinaus die Knochenbildung direkt und durch die Schädigung der Eierstocksfunktion mit vorzeitigem Klimakterium hemmen.
Abb. 1
Nach Chemotherapie können medikamenten- und dosisabhängig besonders bei Vorschädigung Polyneuropathien, aber auch zentrale Störungen, wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen auftreten. Neuropsychologische Defizite werden häufiger nach Hochdosischemotherapie, nach allogener Stammzelltransplantation, bei Frauen, älteren Menschen und von ängstlich-depressiven Patienten berichtet.
Die Veränderungen in Testverfahren sind meist gering ausgeprägt und betreffen besonders Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Man erklärt sich den Einfluss der Chemotherapie auf die Hirnfunktionen über Botenstoffe (Zytokine) , Veränderungen endogener Hormone, Mikroinfarkte in Hirngefäßen und über die Entstehung von Angst, Depression und Fatigue. Die tumorbedingte Erschöpfung und Müdigkeit (Fatiguesyndrom) ist bei hämatologischen Krebserkrankungen, wie Lymphomen und Leukämien besonders häufig.
Man versteht hierunter das subjektive Gefühl, körperlicher Müdigkeit über mehrere Wochen, das sich körperlich, emotional und mental manifestiert und durch Schlaf nicht wesentlich bessern lässt. Es tritt unter Chemo- und/oder Strahlentherapie bei 70 bis 80% aller behandelten Patienten auf und ist bei 30 bis 40% auch noch mehrere Jahre nach Abschluss der Akuttherapie vorhanden. Besonders gut untersucht sind Patienten nach Behandlung eines Morbus Hodgkin.
So hatten Männer mehrere Jahre nach Abschluss der Behandlung ihrer Hodgkin-Krankheit im Vergleich zu Hoden-Carcinom-Patienten mehr Energiemangel, Fatigue und Arbeitsstörungen (Bloom et al. 1993). Patienten aus der Deutschen Hodgkin Studiengruppe hatten 5 Jahre nach Therapieende signifikant mehr Fatigue als Gesunde und 18 % waren wegen der Erkrankung nicht berufstätig.

Die Ursachen für die Fatigue können vielfältig sein. Neben Tumorerkrankung und Tumortherapie spielen die psychologischen Auswirkungen der Krankheit, wie Stress, Angst, Depression und der Bewegungsmangel eine wichtige Rolle. Therapeutisch sollte zunächst die zugrundeliegende Störung, wie Anämie, Schilddrüsenunterfunktion, Stoffwechselstörung oder Depression behandelt werden. Falls keine kausale Therapie möglich ist, wird ein komplexes unterstützendes Behandlungsprogramm angeboten. Hierzu gehört die Beratung über Selbstmanagement (Tagebuch) , Aktivitätsplanung, Stressmanagement und Entspannungsverfahren in Gruppen und ein abgestuftes körperliches Trainingsprogramm. Ausdauertraining als aerobes Training mit 60 % der maximalen Herzfrequenz führt zu besserer HerzLungen-Funktion, Stoffwechselverbesserung, stärkeren Immunreaktionen und psychischer Stabilisierung mit Besserung des Wohlbefindens. Die Deutsche Fatigue Gesellschaft hat ein Trainingsprogramm entwickelt "Fitness trotz Fatigue", das kostenlos angefordert werden kann (www. Deutsche-Fatigue-Gesellschaft. de).

Medikamentöse Therapien mit Psychostimulanzien, wie Methylphenidat oder Modafinil werden zurzeit in Studien zur Fatigue-Behandlung erprobt. Bei Patienten mit starker Muskelschwäche nach Chemotherapie mit Platinsubstanzen oder Anthrazyklinen kann ein Carnitinmangel bestehen, der durch Substitution mit L-Carnitin gebessert werden kann.

Ein häufiges Problem bei Krebspatienten, das die Tagesmüdigkeit fördern kann, sind Schlafstörungen, die bei 30 bis 50% bis 5 Jahre nach Diagnose bestehen können. Auslösende Faktoren können Operation, Strahlentherapie, Chemotherapie, Hormontherapie, Cortisonbehandlung oder Schmerzen sein. Geringe Bewegung, Tagesschlaf oder unrealistische Erwartungen können die Schlafstörungen aufrecht erhalten. Durch ein strukturiertes Schlaftraining mit Entspannungstraining und edukativen Gruppensitzungen zur Schlafhygiene und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen während der stationären Rehabilitation läßt sich eine signifikante Besserung von Schlafdauer, Schlafeffizienz und Lebensqualität erreichen (Simeit et al. 2004). Patientenbefragungen nach der Rehabilitation haben gezeigt, dass 75 % der Rehabilitanden eine Besserung ihrer Erschöpfung und Müdigkeit durch die Rehabilitation erreichen konnten.

Durch die Chemotherapie kann es je nach Medikament und Dosis bei Frauen zu einem Verlust der Eierstocksfunktion mit klimakterischen Beschwerden, wie Hitzewallung, Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit und Stimmungsschwankungen kommen. Da dies zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und der Gefahr der Osteoporose führen kann, ist eine hormonelle Ersatzbehandlung notwendig. Zur Prävention einer weiteren Knochenentkalkung ist regelmäßige Osteoporosegymnastik, calciumreiche Kost, ggf. Calcium- und Vitamin D-Einnahme ratsam.

Während der Erkrankung sind die Patienten durch Diagnose, Therapie und Therapiefolgen vielen psychischen Belastungen ausgesetzt. Oft werden die psychosozialen Folgen der Erkrankung erst nach Abschluss der Akuttherapie deutlich (Abb. 2). Man geht davon aus, dass etwa 20 bis 50 % aller Krebspatienten durch die Erkrankung zu irgendeinem Zeitpunkt psychische Störungen entwickeln.

Abb. 2

Auch Konflikte mit Partner und Familie können vermehrt auftreten, wenn die Behandlung abgeschlossen ist und der Patient wieder in das Alltagsleben zurückkehrt. Hier können Angehörigengespräche hilfreich sein.

Therapieziele und Therapiemaßnahmen

Wenn Rehafähigkeit und Rehabedarf bestehen, werden gemeinsam mit den Patienten realistische und überprüfbare Therapieziele aufgestellt, die sich nach den individuellen Funktionsstörungen und Belastungen richten (Abb. 3).

Abb. 3

Hieraus abgeleitet wird ein Therapieplan erstellt, der auf seine Wirksamkeit kontinuierlich überprüft wird. Im körperlichen Bereich wird durch ein angepasstes Trainingsprogramm mit dynamischen Kraftübungen, Ausdauertraining und Übungen zu Flexibilität und Koordination, die körperliche Leistungsfähigkeit und die Muskelschwäche gebessert (Abb. 4).

Abb. 4

Durch ein Vibrationstraining (Galileo 2000) mit einer Frequenz von 25 Hz kann der Muskelaufbau und die Kalksalzeinlagerung in den Knochen gezielt verbessert werden. Bei hormoneller Unterfunktion sollte eine Hormonersatztherapie eingeleitet werden. Der Arzt sollte die Patienten auch auf sexuelle Funktionsstörungen gezielt ansprechen und über therapeutische Maßnahmen, vorzugsweise gemeinsam mit dem Partner, beraten.


Bei Funktionseinschränkungen kommen Physiotherapie, physikalische Therapien, wie Elektrotherapie, Wärmeund Kälteanwendungen und Ergotherapie zum Einsatz (Abb. 5). Bei chemotherapieinduzierter Polyneuropathie konnten wir eine raschere Besserung durch pulsierte Magnetfeldtherapie beobachten.

Abb. 5

Die psychoonkologische Behandlung ist vom Ausmaß der Belastungen abhängig und sollte frühzeitig durch ein diagnostisches Gespräch und Screening-Fragebögen abgeklärt werden (Abb. 6).

Abb. 6

Psychologische Unterstützung wird vom gesamten Therapeutenteam vermittelt. Betreuungsbedarf besteht besonders bei Anpassungsstörungen mit Ängsten und depressiver Verstimmung, familiärer Belastung, Schlafstörungen, chronischer Fatigue und Schmerzen.
Übende Verfahren zum Erlernen von Entspannung und Stressabbau sowie geleitete Imagination, sind als Basisangebote auch zur Verminderung von körperlichen Problemen, wie Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen und Panikreaktion wirksam.
In psychotherapeutischen Einzelgesprächen wird auf einen adäquaten Umgang mit Einschränkungen und die Entwicklung von persönlichen Ressourcen hingearbeitet. Niedrigschwellige und themenzentrierte Gruppenangebote beziehen Informationsvermittlung, Vermittlung von Problemlösungsstrategien und Selbstkontrolltechniken mit ein.
Kreative Therapieformen, wie Kunst-, Musik- und Tanztherapie sind besonders bei emotionaler Belastung und starker Abwehr oder bei eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, z. B. bei Mundschleimhautentzündung wirksam und fördern die Krankheitsverarbeitung.

Das Leben ist wie ein Spiegel: Wenn man hinein lächelt, lächelt es zurück - Nubar Gulbenkian


Bei vielen Patienten besteht auch nach Abschluss der Primärtherapie ein großes Informationsbedürfnis zur Prognose, Therapie, späten Nebenwirkungen, Nachsorge, Auswirkungen auf das Alltagsleben, Empfehlungen für eine gesunde Lebensführung und vielen anderen Fragen. In der Rehabilitation kann daher durch ein breites Informationsprogramm mit Schulungen, Vorträgen und Gesprächsgruppen viel zum Abbau von Unsicherheiten und Ängsten und zur Therapietreue (Compliance) beigetragen werden. Patientenautonomie wird unterstützt durch Anleitung, verfügbare Informationsquellen, auch im Internet, gezielt zu nutzen (Abb. 7).

Abb. 7

Ziel der Rehabilitation ist immer auch die berufliche Wiedereingliederung. Berufstätigkeit fördert das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität und ist Ausdruck aktiver Krankheitsverarbeitung. Langzeituntersuchungen bei Lymphom- und Leukämiekranken haben gezeigt, dass im Vergleich zu Gesunden die berufliche Belastbarkeit geringer war und die Arbeitszeit häufig reduziert werden musste. Trainingsprogramme zur Erprobung der beruflichen Leistungsfähigkeit, Einleitung berufsfördernder Maßnahmen oder die Organisation externer Belastungserprobung im Berufsförderungswerk können beruflich orientierte Rehabilitation fördern.

Rehabilitation hat gerade bei Patienten mit Lymphomen und Leukämien einen hohen Stellenwert, da die Heilungschancen deutlich besser geworden sind, die Patienten jünger sind, aber wegen langanhaltender Therapiefolgestörungen und eingeschränkter beruflicher Leistungsfähigkeit wiederholter Rehabilitationsbedarf besteht. Bei dieser Patientengruppe sind daher auch längere Zeit nach Therapieende noch stationäre Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich, um den Patienten die Chance zur aktiven Teilhabe an allen Lebensbereichen wiederzugeben.

Der Mensch kann sich von allem trennen, nur nicht von der Hoffnung - Ilja Ehrenburg