| Archiv |     Ausgabe 02/2002

Therapie & Forsch.   
 Dr. med. Christian Jackisch
Hera-Studie: Mit Antikörpern bessere Chancen in der Behandlung des Mammakarzinoms

Studie zum Einsatz von humanisierten Antikörpern (HERA) zusätzlich zur Chemotherapie beginnt an 86 Kliniken in Deutschland

In Deutschland wird jährlich bei ca. 45.000 Frauen die Diagnose Brustkrebs gestellt. Die in jüngster Vergangenheit in Amerika (NIH-Konferenz 11/2000) und Europa (St. Gallen 2/2001) vorgelegten Ergebnisse der Konsensuskonferenzen belegen einen Rückgang der Brustkrebssterblichkeit in Amerika und den meisten europäischen Ländern. Zweifelsohne ist das in erster Linie als Ergebnis einer verbesserten Brustkrebsfrüherkennung zu werten. Es ist aber zu hoffen, dass sich in absehbarer Zeit auch die Ergebnisse der systemischen Therapie (Chemo- und Hormontherapie) in einer Verbesserung des Überlebens niederschlagen werden. Eine einfache Steigerung der Dosisintensität einer Chemotherapie, wie sie beispielsweise in der Hochdosistherapie bei anderen bösartigen Erkrankungen erfolgreich zur Anwendung kommt, ist wegen der derzeit noch nicht eindeutigen Studienergebnisse bei der Brustkrebserkrankung nicht außerhalb von klinischen Studien zu empfehlen. Daher muss nach neuen Wegen in der Behandlung der Brustkrebserkrankung gesucht werden, um die nach Operation und systemischer Erstbehandlung im Organismus verbliebenen restlichen Tumorzellen zu vernichten und somit die Heilungschancen auf lange Sicht zu verbessern.

Die moderne Grundlagenforschung hat uns tiefgreifende Einblicke in spezifische molekulare Mechanismen der Tumorzellbiologie ermöglicht. Moderne Techniken erlauben es, diese Mechanismen durch spezifisch entwickelte Substanzen zu modifizieren. So können von außen zugeführte Antikörper beispielsweise auf der Zelloberfläche gelagerte Eiweißmoleküle mit Steuerungsfunktionen (Rezeptoren) spezifisch erkennen und sich an diese binden. Eine Erkennung dieser Rezeptoren durch körpereigene Botenstoffe (Liganden, Hormone) ist dann nicht mehr möglich. Diese Blockade der zellulären Rezeptoren führt dazu, dass ursprüngliche Funktionen, wie das Wachstum von Tumorzellen, unterbrochen wird. Die Bindung durch die außen zugeführten Antikörper führt gleichzeitig zu einer Erkennung durch das körpereigene Immunsystem und zur Zerstörung der Zelle ohne Schädigung der gesunden Nachbarzellen.

Die Oberfläche von Tumorzellen ist mit zahlreichen Rezeptoren besetzt. Der bekannteste ist der Östrogenrezeptor. Durch das Medikament Tamoxifen (Medikament mit Gegenwirkung auf weibliche Geschlechtsgruppe) wir der Hormonrezeptor blockiert, und weibliche Geschlechtshormone (Östrogene) können im Körper verbliebene Tumorzellen nicht zum Wachstum anregen. In jüngster Zeit wird die Behandlung des Mammakarzinoms von der Bedeutung des Her-2/neu Rezeptors dominiert. Es handelt sich um einen Rezeptor, der zum Teil auf der Außenseite der Zelle und zum Teil im Inneren der Zelle lokalisiert ist. Dieser Rezeptor dient verschiedenen Wachstumsfaktoren als "Andockstation", um dann das Wachstum der Zelle zu steuern. Her-2/neu steht für humaner epidermaler Wachstums-Faktor-Rezeptor-2 und ist gleichbedeutend mit dem Begriff Her-2/neu oder c-erbB-2. HER-2/neu wird in großer Zahl auf den Tumorzellen von etwa 20 - 25% aller Mammakarzinompatientinnen gefunden. Auf normalen, ruhenden Zellen, kommen diese Rezeptoren dagegen nur in geringer Zahl vor. Der Wachstumsfaktorrezeptor HER-2/neu ist von besonderem Interesse, da seine Überexpression häufig mit einer ungünstigeren Heilungschance verbunden ist (Prognostische Relevanz). Der Wirkstoff Trastuzumab ist ein Antikörper, der gegen den Wachstumsfaktor-Rezeptor HER-2/neu auf der Zelloberfläche gerichtet ist, an diesen bindet und somit zur Wachstumshemmung der Tumorzellen und deren Zerstörung führt.

Mit der Einführung des monoklonalen Antikörpers Trastuzumab konnte beim fortgeschrittenen metastasierten Brustkrebs für diejenigen Frauen mit einer Überproduktion des HER-2/neu ein verbessertes therapeutisches Ansprechen und in einzelnen Studien sogar eine Verbesserung des Gesamtüberlebens in Kombination mit einer Chemotherapie erzielt werden. Die Therapie mit dem Antikörper Trastuzumab ist sehr gut verträglich und zeigt nicht die für eine Chemotherapie üblichen Nebenwirkungen. Es liegt daher nahe, diese Substanz gerade auch in der Ersttherapie einzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt ist durch optimale Therapie eine Heilung möglich, da nur vereinzelte Tumorzellen in der Blutbahn zirkulieren oder sich im Körper abgesiedelt haben.

Patientengespräch zu einer klinischen Studie
Die Patienten, die an einer klinischen Studie teilnehmen, werden ausführlich über alle Aspekte von den behandelnden Ärzten informiert
Foto: Maconet GmbH

Mit der HERA-Studie haben wir uns das Ziel gesetzt zu belegen, dass Patientinnen mit HER-2/neu überexprimierenden Mammakarzinomen durch eine zusätzlich zur medikamentösen Standardtherapie gegebenen Antikörpertherapie eine höhere Heilungschance haben.
Die Behandlung erfolgt weltweit in einer klinischen Studie an der ca. 3200 Frauen mit einer HER-2/neu-Überexpression teilnehmen können. Bei allen Frauen muss die Erstbehandlung des Mammakarzinoms abgeschlossen sein. Dazu gehört die Operation, Strahlentherapie und eine Chemotherapie. Eine antihormonelle Therapie kann ebenfalls erfolgen. Nach Prüfung aller erforderlichen Einschlusskriterien für die HERA-Studie erfolgt die Zuteilung zu den drei Behandlungsgruppen nach dem Zufallsprinzip (Randomisation). Als wichtigste Eingangsvoraussetzung muss geprüft werden, ob der Tumor tatsächlich eine Überexpression des Her 2/neu besitzt. Diese Untersuchung erfolgt zunächst durch die Pathologen, die auch den Tumor untersucht haben. Zusätzlich erfolgt eine zentrale Überprüfung dieses Ergebnises in einem Zentrallabor in Kassel. Erst danach kann die Aufnahme in die HERA-Studie erfolgen. Ein Drittel aller Patientinnen erhält die Therapie mit dem Wirkstoff Trastuzumab als intravenöse Infusion im Abstand von 3 Wochen für ein Jahr, ein weiteres Drittel wird in dieser Form für 2 Jahre unter ständiger ärztlicher Aufsicht behandelt. Ein Drittel der Patientinnen erhält zunächst keine Antikörpertherapie, wird aber entsprechend der Studienkriterien kontrolliert. In Deutschland stehen für diese Studie flächendeckend 86 Kliniken zu Verfügung. Die Behandlung muss allerdings über die gesamte Dauer hinweg in einer dieser Kliniken durchgeführt werden. Diese Form der vergleichenden Studien sind vor einem breiten Einsatz dieser Antikörpertherapie notwendig, um folgende Fragen zu klären:

  • Führt der frühzeitige Einsatz des Antikörpers Trastuzumab zu einer Verbesserung des Überlebens?
  • Wird die erwartete Verbesserung der Heilungschancen möglicherweise durch Nebenwirkungen an Herz und Lunge aufgewogen?
  • Kann diese Therapie aufgrund der Kosten-Nutzen Relation auch aus gesundheitsökonomischer Sicht in Zukunft empfohlen werden?
Erst wenn diese Fragen mit Hilfe der HERA-Studie positiv beantwortet werden können, kann dieser Antikörper Eingang in die adjuvante Therapie des Mammakarzinoms finden. Im Interesse der Patientinnen muss jedes neue Medikament, auch wenn es noch so überzeugende Wirkungen haben mag, auf seine sichere Anwendung am Menschen in klinischen Studien geprüft werden. Dabei geht es vor allem um die Arzneimittelsicherheit im Sinne der Patientinnen, um zu vermeiden, das bisher nicht erkannte Nebenwirkungen oder Komplikationen auftreten, die den vermeindlichen Vorteil der Behandlung überwiegen, und somit den Frauen mehr schaden als nutzen.
Die Entwicklung einer Antikörpertherapie beim Mammakarzinom ist ein Meilenstein moderner Therapiemöglichkeiten. In zahlreichen Forschungsstätten wird daran gearbeitet, auf diese oder ähnliche Weise die Tumorbiologie zu "überlisten" und die Heilungschancen zu verbessern. Moderne molekularbiologisch orientierte, "maßgeschneiderte" Therapien richten sich gegen tumorspezifische Eigenschaften. Der Antikörper Trastuzumab ist eine der ersten Substanzen in dieser Reihe neuer Medikamente, die uns eine möglichst maßgeschneiderte Behandlung anbieten werden.