| Archiv |     Ausgabe Juli 2002

Therapie & Forschung   
 Prof. Dr. med. Dipl.Phys. Günther Gademan
Strahlentherapie des Prostatakarzinoms

In meine Ambulanz wird ein rüstiger 69-jähriger Rentner von einem niedergelassenen Urologen überwiesen. Bei dem Mann war ein erhöhter PSA-Wert (prostataspezifisches Antigen) aufgefallen, worauf Gewebeentnahmen erfolgt waren, die einen Prostatatumor entlarvten, ein sogenannter Gleason-Score von 6 wurde zugeordnet und mehrere Biopsien aus beiden Prostatalappen zeigten Tumorzellen. Der Patient möchte sich nun über die Möglichkeiten der Strahlentherapie informieren, da er einer Operation im Sinne einer kompletten Prostataentfernung mit einem gewissen Abstand gegenübersteht. Was kann ich diesem Patienten und vielen anderen, die inzwischen zu mir als Strahlentherapeuten kommen, über die Möglichkeit der Strahlentherapie beim Prostatakarzinom berichten?
Die Strahlenbehandlung des Prostatakarzinoms mit der sogenannten Teletherapie begann bereits in den 50iger Jahren. Sie hat sich gerade in den letzten 10 Jahren durch die neuen Planungsmöglichkeiten und veränderten Strahlenformen enorm entwickelt, was dazu führte, dass die früher relativ häufigen Nebenwirkungen am Mastdarm und der Harnblase bei der Bestrahlung von außen drastisch zurückgegangen sind. Auf der anderen Seite konnte die Dosis in der Prostata durch diese technischen Verbesserungen deutlich erhöht werden, so dass die Ergebnisse der Strahlentherapie heutzutage weitgehend dieselben sind wie nach einer Operation. Abhängig von der Größe und der Bösartigkeit des Tumors kann man inzwischen auch mit der Strahlentherapie zwischen 80 und 90% der Patienten von dem Tumorleiden heilen. Eine kürzlich vorgenommene Vergleichsuntersuchung zwischen Patienten, die strahlentherapeutisch und operativ behandelt wurden, zeigt, dass der Unterschied zwischen den beiden Gruppen nur wenige Prozent beträgt. Was ist dann der Vorteil einer Strahlentherapie gegenüber der Operation?


Abbildung 1: Beispiel für eine perkutane angepasste Bestrahlung der Prostata und der Samenbläschen (Konformationsstrahlentherapie)
Abbildung 1
Beispiel für eine perkutane angepasste Bestrahlung der Prostata und der Samenbläschen (Konformationsstrahlentherapie)

Die Nebenwirkungen der beiden Behandlungsmethoden sind sehr verschieden. Während bei der Operation die Harninkontinenz, also das unwillkürliche Tröpfeln des Harnes relativ häufig vorkommt, ist diese Nebenwirkung nach Strahlentherapie nicht bekannt. Die Potenz nach der Operation, d.h. die Möglichkeit der Erektion, liegt nach Literaturangaben zwischen nur 20 bis zu 80%, abhängig von der Chance, das Nervengefäßbündel unterhalb der Prostata operativ zu schonen. Auch bei der Strahlentherapie kann es im Laufe der Zeit zu einer Minderung der Potenz in ca. 25 bis 40% der Patienten kommen. Im Unterschied zu dem operativ gesetzten Defekt kann jedoch ein Medikament, wie z.B Viagra, die Erektion unterstützen, da der Haupteffekt der Strahlentherapie in dieser Hinsicht über das Gefäßsystem geht.
Weitere Methoden der Strahlentherapie werden inzwischen diskutiert und zum Teil erfolgreich angewendet. Im Mittelpunkt des heutigen Interesses steht dabei die Einbringung von leicht strahlungsaktiven Kapseln, den sogenannten Seeds.
Bei dieser Methode für das kleine Prostatakarzinom (maximales Stadium T2a, d.h. keine Kapselinfiltration, Gleason < 7, Prostatavolumen < 60 ml) werden über den Damm Nadeln eingeführt und dann die Seeds nach einem bestimmten Plan in die Prostata eingebracht. Die Positionen der Seeds werden zuvor genauestens in einem Computerprogramm festgelegt, das dann auch dem Urologen die entsprechende Information gibt. Die Seeds verbleiben im Körper des Patienten und strahlen dort langsam ab, d.h. diese Wirkung zieht sich über viele Monate hin. Das Verfahren zeigt für das kleine Prostatakarzinom, das üblicherweise in Deutschland noch zur großen Mehrheit operiert wird, nachweislich auch nach 12 Jahren die gleichen Ergebnisse wie die Prostataentfernung.


Interessant für den Patienten ist, dass es sich um eine interdisziplinäre Aufgabe von Urologen und Strahlentherapeuten handelt. Das Problem in Deutschland ist, dass die Krankenkassen dieses Verfahren derzeit nicht routinemäßig bezahlen. Die sogenannte Nachlade-Brachytherapie, d.h. das Einbringen von Kathetern in die Prostata und das kurzzeitige Nachladen der Katheter mit einer hochaktiven Iridiumquelle, ist nur als Zusatz zu einer Bestrahlung von außen einsetzbar. Seine Stellung hinsichtlich einer alleinigen mit über 70Gy hochdosierten Strahlenbehandlung der Prostata von außen ist noch nicht geklärt.
Wenn der Wert des prostataspezifischen Antigens bei Entdeckung des Tumors über dem Wert von 10 ng/ml liegt, hat die Kombination von einer Androgenblockade (Hormontherapie) und einer Strahlerntherapie deutlich bessere Ergebnisse gebracht. Es wird derzeit empfohlen, durch eine Hormonbehandlung über ca. 3 bis 6 Monate den PSA-Wert unter den Wert von 10 ng/ml zu drücken, dann die perkutane Strahlentherapie, die über gut sieben Wochen täglicher Behandlung geht, anzuwenden und danach die Hormontherapie wieder abzusetzen. Bei agressiverem Tumorstadium und Fehlen von Nebenwirkungen auf die Hormontherapie kann diese auch auf Lebenszeit fortgesetzt werden. Das Gespräch zwischen einem ratsuchenden Patienten mit Prostatakarzinom und dem Strahlentherapeuten kann heutzutage sehr optimistisch geführt werden. Die Strahlentherapie ist zur echten Alternative zur Operation geworden und kann fast jedem Patienten empfohlen werden. Insbesondere die Behandlung mit radioaktivem Seeds bringt die Hoffnung, dass auch die Urologen die Möglichkeiten der Strahlentherapie verstehen und sie dann dem Patienten empfehlen.



Abbildung 2
Grafische Darstellung einer Spickung der Prostata mit einzelnen Nadeln und Ablagerung von radioaktiven Seeds (rote Striche in den grauen Nadeln) aus dem Planungsprogramm SPOT, Fa. Nucletron.