| Archiv |     Ausgabe Juli 2002

Aktuell   
 Interview des Krebsmagazins
mit Herrn Prof. Dr. med. Höffken, Präsident des Krebskongresses 2002

Frage 1-
Krebsmagazin: Herr Professor Höffken, Sie sind Präsident des Krebskongresses 2002. Welche Ziele und Schwerpunkte haben Sie sich gestellt? Was möchten Sie erreichen?

Prof. Höffken: Das Ziel des Kongresses – und das der Deutschen Krebsgesellschaft - ist es, in einen erfolgreichen Dialog mit der Gesellschaft zu treten und die Bevölkerung in den Kampf gegen den Krebs aktiv mit einzubeziehen. Zirka 30 % aller Krebserkrankungen wären vermeidbar, wenn die Menschen mehr Gesundheitsbewusstsein und Körperkompetenz erlernen würden. Um die steigende Mortalitätsrate von Krebs zu senken, müssen wir genau an diesem Punkt ansetzen und aufklärende Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Wir müssen die Bereitschaft für Präventionsmaßnahmen und Früherkennung in der Bevölkerung stärken, und das geht nur, indem wir das Thema "Krebs" zu einem öffentlich diskutierten Gesellschaftsthema machen. Schwerpunkt des Kongresses bildet also die Initiierung eines solchen Dialogs und die Einbindung von Laien in Fragen der Krebsmedizin. Wir werden mit verschiedenen Veranstaltungen auf die Öffentlichkeit zugehen.


Frage 2
Krebsmagazin: Wenn Sie auf die letzten 30 Jahre im Kampf gegen den Krebs zurückblicken, was sind, Ihrer Meinung nach, die wichtigsten Erfolge im Kampf gegen den Krebs?

Prof. Höffken: Es ist schwierig, diesen langen Zeitraum in wenigen Sätzen zusammen zu fassen. Zunächst nenne ich die Fortschritte in den drei etablierten Therapiemodalitäten:
Die operative Therapie ist in beträchtlichem Ausmaß an höheren Heilungs- und geringeren Rezidivraten beteiligt. Dabei hat der frühzeitige Einsatz der Systemtherapie bei den wichtigen Erkrankungen wie Mammakarzinom und Kolorektalkarzinom einen bedeutenden Beitrag zu der Verbesserung der Heilungsraten auf heute etwa 45% aller Krebserkrankungen beigetragen. Neue Strahlenarten, verbesserte Strahlenplanung, neue Medikamente und auf den Fortschritten der Grundlagenforschung basierende neue Wirkprinzipien (Immuntherapie, Signaltransduktionshemmung) haben entscheidenden Anteil an der kontinuierliche Verbesserung unserer Ergebnisse. Aber auch die erheblich verbesserte und verfeinerte Diagnostik (Computertomografie, Magnetresonanztomografie, Positronen-Emissions-Tomografie, Diagnostik minimal residueller Erkrankung u.a.) haben es ermöglicht, eine stadiengerechte Therapie zu planen und bis zur möglichst vollständigen Remission der Tumorerkrankung durchzuführen. Dabei handelte es sich jeweils um kleine Schritte im Einzelnen, aber insgesamt um einen großen Schritt im Kampf gegen den Krebs. Ich verstehe nicht diejenigen, die verzagen oder den Kampf als verloren ansehen.


Frage 3
Krebsmagazin: Zurzeit stehen viele medizinische Forschungen im wissenschaftlichen und öffentlichen Interesse. In welchen Bereichen rechnen Sie in den nächsten zwei bis drei Jahren mit einem Durchbruch?

Prof. Höffken: Zu allererst glaube ich, dass wir in 5-10 Jahren in der Lage sind, jedem Menschen sein individuelles genetisch fixiertes Risiko für das Entstehen einer Krebserkrankung vorauszusagen. Nicht nur bei den hereditären Tumoren, sondern auch bei den sporadischen Erkrankungen. Die Gendiagnostik wird mit ihren Genchips und den Protein-Chips das Risiko, das mit dem genetischen Profil und der individuellen Lebensweise verbunden ist, vorhersagen können. Jeder Mensch wird eine „SmartCard“ mit der Beschreibung dieser Konstellation besitzen. Dann werden die primären und sekundären Vorsorgemaßnahmen besser greifen und zu der errechneten 30%igen Reduktion von Krebserkrankungen führen. Daneben werden wir verbesserte und vollständig neue Therapieverfahren (Signaltransduktioninhibition, Antiangiogenese, Gentherapie etc.) sowie noch feinere diagnostische Verfahren zur Früherkennung und Erkennung von residuellen Tumorzellen zur Verfügung haben. Auch die Immuntherapie wird fortentwickelt sein bis hin zur Etablierung von Impfstoffen.



Internationales Congress Centrum (ICC) in Berlin
Internationales Congress Centrum (ICC) in Berlin
Frage 4
Krebsmagazin: Gab ein herausragendes Thema beim diesjährigen Berliner Krebskongress?

Prof. Höffken: Es gab viele Highlights. Das liegt in der Natur eines so umfassenden Kongresses, der alle 2 Jahre stattfindet. Herausragen sollte nach meinem Wunsch die Erkenntnis, dass die Grundlagenforschung und die Klinik Fortschritte macht und Hand in Hand zur Verbesserung der Prognose und der Heilungsraten beiträgt. Gesundheitspolitisch wird als herausragende Botschaft die Initiative der Deutschen Krebsgesellschaft zur Initiierung und Intensivierung des Dialogs mit der Gesellschaft vermittelt werden. "Krebs geht Jeden an. Reden wir darüber." Herausragen sollte letztlich auch das Bemühen der Deutschen Krebsgesellschaft, für ein partnerschaftliches Verhältnis von Patient und Arzt einzutreten. Die ganzheitliche Betreuung des Krebskranken – und dies in jedem Alter – auf einer wissenschaftlichen Basis ist Garant für die zukünftigen Fortschritte im Kampf gegen den Krebs.


Frage 5
Krebsmagazin: Es wird in letzter Zeit viel von der Eigenverantwortlichkeit und dem Informationsbedürfnis der Patienten gesprochen. In wie weit halten Sie den Ansatz des "informierten Patienten" für realisierbar?

Prof. Höffken: Da kann ich aus meiner eigenen Erfahrung berichten: Viele meiner Patienten informieren sich über ihre Erkrankung und verfügen über eine beachtliche Laienkompetenz. Ich unterstütze das nachdrücklich: Die vielgeforderte individuelle Betreuung des Patienten muss darauf aufbauen, dass man mit dem Patienten spricht, und die Qualität einer solchen Betreuung steht und fällt mit der Kompetenz beider Gesprächspartner. Es ist selbstverständlich, dass sich dabei immer noch Spezialist und Laie gegenüberstehen, aber ein Patient, der zum Beispiel weiß, welche Faktoren bei seiner Behandlung relevant sein könnten, ist eine große Hilfe. Deshalb hält die Deutsche Krebsgesellschaft gerade Laienorganisationen und Selbsthilfegruppen für wichtige Bollwerke im Kampf gegen den Krebs. Dieser Tatsache möchte unsere Gesellschaft mit der Gründung der Sektion D Rechnung tragen, indem sie Laien und ihre Gruppierungen organisatorisch einbindet.


Frage 6
Krebsmagazin: Herr Professor Höffken, abschließend die Frage: Gibt es Bereiche, in den Sie einen Nachholbedarf im Kampf gegen den Krebs in Deutschland sehen?

Prof. Höffken: Für sehr problematisch halte ich, dass die Krankheit Krebs im öffentlichen Bewusstsein weitgehend einen blinden Fleck darstellt. Hier sind psychologische Verdrängungsmechanismen am Werk – solange die Menschen nicht selbst betroffen sind, beschäftigen sie sich ungern mit derart unangenehmen Dingen. Das ist fatal, denn der wichtigste Schritt, um eine Gefahr zu bannen, ist, sie in- und auswendig zu kennen. Deshalb lautet die wichtigste Aufgabe, Krebs zu enttabuisieren. Das ist ein schwieriger Prozess, doch es ist auch die einzige Möglichkeit, das Potential der primären und sekundären Prävention nutzen zu können. Ferner ist die Fortentwicklung des Qualitätssicherungsprogramms der Deutschen Krebsgesellschaft ein besonderes Anliegen. In naher Zukunft wünsche ich mir, dass ein Krebspatient im Norden nach den gleichen Standards wie im Süden, im Westen wie im Osten in Kliniken und Praxen betreut wird, die von der Deutschen Krebsgesellschaft das derzeit von uns in der Erprobung befindliche Qualitätssiegel erteilt bekommen haben. Ganz konkret werden wir in wenigen Jahren zertifizierte Deutsche Krebskliniken und Praxen etablieren.


Krebsmagazin: Wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses Interview.