Therapie & Forsch.   
 Hirntumoren bei Erwachsenen


Neue Erkenntnisse

Klinische Verdachtsmomente für Hirntumoren sind erstmals auftretende Krampfanfälle sowie neurologische Herdsymptome. Unter neurologischen Herdsymptomen versteht man beispielsweise eine Halbseitenlähmung, eine Gefühlsstörung einer Körperseite, eine Gesichtsfeldeinschränkung (Großhirn), eine Gangunsicherheit (Kleinhirn), eine Schluck- oder Augenbewegungsstörung (Hirnstamm) oder eine Querschnittssymptomatik (Rückenmark). Zeichen des erhöhten Hirndrucks (Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen) als Erstsymptome sind seltener geworden.

Wichtiger Bestandteil der Therapie ist bei allen Gliomen (Glioblastom, anaplastisches Astrozytom, Oligoastrozytom oder Oligodendrogliom) die möglichst vollständige operative Entfernung des Tumors. Die Strahlentherapie stellt bei den meisten Hirntumoren neben den operativen Verfahren die lokal wirksamste Behandlung dar. Bei einigen Hirntumoren (z.B. Oligodendrogliomen) trägt die Chemotherapie inzwischen zu einer teils deutlichen Verbesserung des Verlaufs bei.

Wirksame Substanzen der Chemotherapie sind Präparate aus der Gruppe der Nitrosoharnstoffe (ACNU, BCNU, CCNU) sowie Procarbazin als Einzeltherapie oder die Kombination aus Procarbazin, CCNU und Vincristin (PCV), die bei malignen Gliomen zu einer deutlichen Prognoseverbesserung führen. Temozolomid, das in Form von Kapseln verabreicht wird, ist im Hinblick auf die Verträglichkeit den anderen Medikamenten überlegen. Hauptnebenwirkungen beziehen sich auf das Blutbild (Abfall der weissen und roten Blutkörperchen sowie der Blutplättchen), die etwa 5-10% der Patienten betreffen. Alle genannten Präparate sind sowohl in der Erst- als auch der Rezidivtherapie der Gliome etwa gleich wirksam.

Ein notwendigerweise multiprofessionelles Team (Ärzte, Pflegende, Studienschwestern, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Logopäden, Sozialarbeiter, Neuropsychologen) steht vor der verantwortungsvollen Aufgabe, in einem interaktiven Konzept einen möglichst großen Lebenszeitgewinn für den Patienten bei guter Lebensqualität zu erreichen.

Ein Großteil der in der Neuroonkologie durchgeführten Therapien erfolgt, wie oben angesprochen, im Rahmen von klinischen Studien. Aus diesem Grund ist die Bedeutung von Studienschwestern in der Versorgung der Patienten groß. Sie sind Ansprechpartner für Hausärzte, Angehörige und Pflegende; sie koordinieren die therapeutischen Maßnahmen und erfassen im Rahmen der Qualitätssicherung das Profil der Nebenwirkungen im Verlauf der klinischen Studien.

Ein entscheidender Punkt in der Versorgung von Hirntumorpatienten ist die Lebensqualität der Betroffenen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, den Klinikaufenthalt so kurz wie möglich zu gestalten und in dieser Zeit aktuelle Probleme in der Selbstpflege und -versorgung zu erkennen und darauf zu reagieren. Einschränkungen bei den täglichen Verrichtungen und körperliche Symptome stehen im Mittelpunkt der Lebensqualitätsbewertung durch den Patienten. Auch Appetit und Müdigkeitsgefühl sind bedeutend für das Lebensgefühl. Weiterhin beeinflusst das psychosoziale Umfeld das Wohlbefinden der Patienten.

Im einzelnen wird bei Patienten mit anaplastischen Tumoren (WHO Grad III) eine Chemotherapie zusätzlich zu Operation und Bestrahlung angestrebt, sofern der Patient selbstversorgend ist und keine Vorerkrankungen vorliegen, die eine Chemotherapie verbieten. Für anaplastische oligodendrogliale Tumoren konnte kürzlich gezeigt werden, dass bestimmte genetische Veränderungen (Chromosomen 1p bzw. 19q) prognostisch günstig bezüglich einer deutlichen Verlängerung der Überlebenszeit durch besseres Ansprechen auf Chemotherapie sind.

Bei Glioblastomen (WHO Grad IV) erfolgt die Chemotherapie je nach Einschätzung der Behandelnden zusätzlich zur Operation und Bestrahlung. Eine Studie am Glioblastom mit Gabe von Temozolomid täglich begleitend zur Strahlentherapie (EORTC 26981/22981) wird voraussichtlich im Frühjahr 2004 endgültig ausgewertet sein. In einer Pilotphase zu dieser Studie zeigte sich ein im Vergleich zu älteren Daten sehr vielversprechendes Therapieansprechen der Patienten. Je nach klinischem Zustand des Patienten und Verhalten des Rezidivtumors besteht die Möglichkeit zur erneuten Operation, Strahlentherapie und / oder RezidivChemotherapie.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein tatsächlicher Durchbruch in der Therapie der Gliome nur durch eine individuell angepasste, kombinierte Therapie zu erreichen ist. Die meisten innovativen Wirksubstanzen werden daher zur Zeit im Rahmen von klinischen Studien überprüft. Mögliche Ansätze sind Modulation des Immunsystems, Beeinflussung von Genen, die für die Entstehung von Tumoren verantwortlich sind, sowie Hemmung des Einwanderns von Tumorzellen in gesundes Gewebe und Hemmung der Blutgefässbildung im Tumor. Unabdingbare Voraussetzung jedes neuen Therapieansatzes ist außerdem das Erreichen ausreichend hoher Medikamentenspiegel am Wirkort. Erste Ansätze basieren beispielsweise auf dem Einsatz verkapselter Medikamente, auf der Gabe der Präparate direkt in den Tumor mittels Katheter oder auf der Einschleusung genetischer Faktoren in Tumorzellen durch geeignete virale Vektoren.

Verbesserte pathologische und molekularbiologische Klassifikationskriterien, die eine Zuteilung der Tumoren zu einer bestimmten Zellgruppe ermöglichen, werden von besonderer Wichtigkeit für die weitere Therapieplanung und Prognoseabschätzung sein.
Erst dadurch wird es möglich werden, Patientengruppen effektiv zu unterscheiden und auszuwählen und jeweils einer möglichst wirksamen Therapie zuzuführen.