Körper & Seele   
 Wie Familie und Freunde helfen können

Sieben Jahre ist es nun her, als das Leben mir und meiner Familie seine, uns bis dahin verschlossenen Türen zum Leid öffnete und uns herausforderte. Ich erfuhr, dass ich Krebs im weit fortgeschrittenen Stadium hatte. Völlig unvorbereitet wurden wir aus unserem vertrauten Alltag gerissen. Niemand hatte damit gerechnet, dass der Tod seine Krallen nach mir, die ich gerade erst 35 Jahre alt war, ausstrecken wollte. Meine Kinder waren erst drei, fünf und sieben Jahre alt. Krebs in solch jungem Alter? Unter diesen Kandidaten hatte ich mich nie vermutet. Doch Krebs macht vor keinem Alter halt und hat vor niemandem Respekt.

Familie und Freunde wollen helfen

Seit zwei Jahren halte ich in ganz Deutschland Vorträge und lese aus meinen ersten beiden Büchern vor. Ungefähr gleich viele Angehörige wie Betroffene sind unter den Zuhörern. Manchmal habe ich das Gefühl, die Angehörigen, die Partner und engsten Freunde sind verzweifelter als die Kranken selbst. Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit höre ich in ihrer Frage: "Wie kann ich bloß helfen?" Sie äußern sich alle ähnlich: "Ich fühle mich allein gelassen mit diesen Problemen", "Man hat das Gefühl, total nutzlos zu sein", "Ich fühle mich wie ein Versager", "Ich tue alles, nichts jedoch scheint anzukommen", "In mir ist grenzenlose Leere", "Ich habe wahnsinnige Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren". Angehörige sind ganz besonderem Druck ausgesetzt. Auf der einen Seite haben sie das tiefe Bedürfnis zu helfen, weil die Liebe so groß ist; auf der anderen Seite hindert sie aber Unsicherheit, was denn nun angesichts der Schwere und Bedrohlichkeit der Erkrankung wirklich helfen könnte, daran, die richtigen Entscheidungen zu treffen, Hilfe anzubieten oder auch andere um Hilfe zu bitten. Dann gibt es auch diejenigen, die zu viel des Guten tun, alles managen wollen und meinen, über alles bestens Bescheid zu wissen. In der Mehrzahl aber stellen die Angehörigen ihre eigenen Ansprüche völlig zurück, leiden im Stillen, weil sie sich als Gesunde ja nicht beklagen wollen, übernehmen sich irgendwann, brennen aus, werden selbst krank und können dem Kranken auch nicht mehr helfen. Ihr Leid ist immens. Dabei benötigen wir, die Erkrankten, so dringend die Hilfe der Familie und Freunde in jeder Phase des Leidens. Sie alle sind unentbehrlich um wieder gesund werden zu können.

Den Diagnoseschock überwinden

Grundsätzlich ist es in der ersten Zeit der Auseinandersetzung wichtig, den Gefühlen der Angst und Traurigkeit freien Lauf zu lassen. Häufig funktioniert das aber nicht, schon gar nicht im Alleingang. Es ist gut, wenn der Erkrankte, seine liebsten Angehörigen und enge Freunde das Leid miteinander teilen können, indem sie zusammentreffen und ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Dies muss nicht durch Reden geschehen, viele Worte sind sowieso zunächst zu belanglos, für das, was wir empfinden. Unsere Gedanken sind noch so konfus, dass sie sich im Kreise drehen. Verzweifeltes und machtloses Zu-Reden mit Muss- Ratschlägen: "Du musst jetzt positiv denken", "da musst du jetzt durch", "du musst kämpfen", "du musst stark sein, hörst du!" ist genau so wenig hilfreich, wie in der ersten Panik mit Vorwürfen auf den Erkrankten loszustürmen: "Siehst du, das hast du jetzt davon, du hast dich jahrelang nur gestresst", oder, "das kommt vom Rauchen, ist ja ganz klar", "hättest du nur auf mich gehört und vernünftig gegessen", und so weiter. Besonders furchtbar für den Erkrankten ist es, wenn ihm Angehörige und Freunde die traurigen Geschichten der Menschen auftischen, die an dieser Erkrankung gestorben sind. Ehrliche, bedingungslose Anteilnahme dagegen, tut gut. Worte, wie die von meiner Freundin: "Ich bin immer für dich da." Noch heute höre ich, wie sie diesen Satz wiederholte, der eine so klare, helfende Botschaft vermittelt: Du bist nicht allein. Eine andere Art, Gefühle zu zeigen, finden wir in der Berührung: Eine Umarmung, ein Streicheln, oder das Halten der Hand können sehr heilsam sein, Gefühlsblockaden und Verwirrung lösen, Dämme brechen und Tränen zum Fließen bringen. Weinen ist eine der menschlichsten und natürlichsten Reaktionen, die es gibt. Dadurch entsteht Raum für Klarheit, eine Bedingung für einen wachen Verstand, den wir brauchen, um über die Diagnose, Angst vor der Behandlung, Sorgen und Wünsche zu reden, und lebenswichtige Entscheidungen treffen zu können! Auch wenn es ein Patentrezept zur sofortigen Überwindung des Diagnoseschocks nicht gibt, so haben wir doch etliche Möglichkeiten, ihn in relativ kurzer Zeit zu lindern, erträglich zu machen und nach weiteren Lösungen zu suchen. Wir müssen füreinander da sein. Angehörige und Freunde sollten versuchen, in die Haut des Erkrankten zu schlüpfen und zu spüren, wie er sich fühlt, wie zerrissen seine Welt jetzt wohl sein mag und was er jetzt braucht. Möchte er erst einmal alleine sein und Ruhe haben, oder im Kreise der Liebsten über seine Ängste und Sorgen reden? Wünscht er Ermutigung oder einfach in den Arm genommen zu werden und weinen zu können? Es sind die Augen, die erzählen, Mimik und Gestik die betonen, der Klang der Stimme, der verrät. Sehr hilfreich ist es, dem Erkrankten zu sagen, dass er nicht allein ist, dass er den Weg nicht allein gehen muss, weil man für ihn da sein wird.

Taschenbuch: Ich brauche euch zum Leben von Annette Rexrodt von Fircks Rowohlt Taschenbuch
ISBN: 3499616637 € 8,90
Gemeinsam ein Team bilden

Ich weiß nicht, ob es mir, ohne die Hilfe meiner Familie und meiner Freundin, heute so gut gehen würde. Als man mir damals die niederschmetternde Diagnose mitteilte, waren wir alle zunächst wie erstarrt. Schock, Verwirrung und Ungläubigkeit bestimmten unsere Tage und Nächte für einige Zeit, bis wir wieder klare Gedanken fassen und Entscheidungen treffen konnten. Es war wohl die härteste Schule des Lebens, durch die wir haben gehen müssen. In ganz kleinen Schritten, schließlich über Jahre, haben wir Lösungen für die vielen Probleme und Sorgen, die der Krebs ausgelöst hatte, gefunden. Wo lasse ich mich behandeln? Wie finden wir einen Spezialisten? Wer macht wann Besuche im Krankenhaus, wer bringt was mit? Wer betreut die Kinder? Was sagen wir ihnen? Wer kocht, wer kauft ein? Wie gehen wir mit unseren Gefühlen um, mit Angst, Traurigkeit, Verzweiflung? Wie können wir uns gegenseitig trösten, uns Mut machen? Nur mit der Zeit sind wir ein Team geworden, unterstützen uns gegenseitig, sind füreinander da. Wir haben gelernt uns zu organisieren, Aufgaben zu verteilen, Gefühlen Ausdruck zu geben, sie einzugrenzen und von Neuem erlernt, uns wieder freuen zu können und den Augenblick zu leben. Wenn jeder einzelne aktiv wird, das Geschehene akzeptiert und Verantwortung übernimmt, dann vergeht auch allmählich das Gefühl des Ausgeliefertseins, verringert sich die Angst vor dem Ungewissen und gleichzeitig verstärkt sich die Zuversicht, eine Richtung zu haben und das Schicksal mitbestimmen zu können. Dann kann Leben wieder lebendig werden und DADURCH ein heilsames Klima für den Erkrankten und die Angehörigen entstehen.