Schwerpunkt: Darmkrebs   
 
Ergänzende Chemotherapie bei Dickdarmkrebs

In Deutschland erkranken jährlich ca. 52.000 Männer und Frauen an einem Krebs im Dickdarm-Enddarm. Damit ist diese Krebserkrankung bei Frauen die zweithäufigste nach dem Brustkrebs und bei Männern die dritthäufigste nach Prostata- und Lungenkrebs. Mit 33.000 Todesfällen verstarben mehr als die Hälfte der Erkrankten an dieser Tumorart. Bei etwa 10.000 Neuerkrankten ist der Krebs bei Diagnosestellung auf die Darmschleimhaut begrenzt und kann durch eine Operation mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt werden. Bei über 15.000 Patienten liegt bei Diagnosestellung bereits eine Lymphknotenmetastasierung (Tochtergeschwülste in den Lymphknoten) vor, so dass von diesen nur noch ein Teil durch Operation geheilt wird, und bei weiteren etwa 15.000 Neuerkrankten finden sich bereits Fernmetastasen, am häufigsten in der Leber, so dass von Ausnahmen abgesehen, keine Heilungschance mehr besteht.

Erschreckend hoch ist auch der Anteil der Patienten insbesondere im Stadium III - bereits vorhandene Lymphknotenmetastasen - die im weiteren Verlauf ein Fortschreiten vorher nicht nachweisbarer Tumorabsiedlungen erleben. In diesem Krankheitsstadium kann nur durch eine frühzeitige unterstützende Therapie die Chance auf Heilung verbessert werden.

Krebs des Dick- und Enddarms galt noch in den 80er Jahren als weitgehend chemotherapie-resistent, das heißt, er sprach überwiegend nicht auf eine medikamentöse Therapie an. Unterstützende Therapien wurden nur wenig eingesetzt und ihr Wert bezüglich Verbesserung der Prognose war nicht gesichert. Durch eine Veröffentlichung im Jahre 1990, die durch Ergebnisse einer amerikanische Studiengruppe bei über 1000 Patienten eine Verringerung der Sterblichkeit um 33 % durch 5-FU Levamisol aufzeigte und eine 5-Jahres-Überleben für die Therapiegruppe von 60 % gegenüber 47 %, erfuhr die unterstützende Therapie beim Dikkdarmkrebs eine zunehmende Verbreitung. In zwei weiteren amerikanischen Studien mit 2351 bzw. mit 3759 Patienten war die Kombination 5-FU/Levamisol einer Kombination 5FU/Folinsäure unterlegen. Die Kombination 5-FU/Folinsäure über einen Zeitraum von 6 Monaten gegeben, wurde zur Standardtherapie des Dikkdarmkrebs im Stadium III, wobei die 5-tägige Therapie mit 5-FU/Folinsäure in 28-tägigen Zeitabschnitten einer wöchentlichen durchgehenden Therapie als gleichwertig gilt.

Die Wirksamkeit dieser Kombination wurden in rükkblickenden Auswertungen an noch größeren Patientenzahlen im Stadium III - Lymphknotenmetastasierung - bestätigt, wogegen eine unterstützende Therapie im Stadium II - maximale Tumorausdehnung auf Darmschleimhaut begrenzt - noch nicht gesichert ist.

Eine in Deutschland durchgeführte Untersuchung mit dem monoklonalen Antikörper Edrecolomab an 189 Patienten mit Dick- und Enddarmkrebs im Stadium III zeigte gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe eine deutliche Überlebensverlängerung. Antikörper sind von Immunzellen gebildete Proteine, die gezielt Strukturen auf der Oberfläche von Zellen, in diesem Fall von Krebszellen erkennen und sich an sie binden. Antikörper dienen dem Immunsystem somit zur Erkennung von Tumorzellen und können sie zerstören.

In einer nachfolgenden großen internationalen Studie mit 2.761 Patienten war die Kombination 5-FU/Folinsäure mit oder ohne Antikörper Edrecolomab dem Antikörper allein überlegen und die Kombination mit 5-FU/Folinsäure zeigte keinen Vorteil gegenüber der alleinigen 5-FU/Folinsäure, so dass die Gabe dieses Antikörpers nicht empfohlen werden kann.

In der Vergangenheit erhielten ältere Patienten oft keine unterstützende Therapie. Da bei Tumoren des Dick- und Enddarmkrebses das mittlere Erkrankungsalter bei 65 Jahren liegt, ist ein wesentlicher Teil der Patienten jedoch bereits über 70 und auch 80 Jahren alt.

Nach einer Analyse von 7 Studien, in denen 506 Patienten über 70 Jahre erfasst wurden, profitieren ältere und alte Patienten von der 5-FU/Foliensäure-Kombination genau wie die jüngeren in Bezug auf Gesamt- und krankheitsfreies Überleben. Auch älteren Patienten, deren Begleiterkrankungen und Allgemeinzustand eine unterstützende Chemotherapie erlauben, sollten also diese Verbesserungen nicht vorenthalten werden und das Alter ist allein kein Grund, von einer Chemotherapie Abstand zu nehmen.

Durch die Einführung der neuen Substanzen Oxaliplatin und Irinotecan sowie 5-FU Tabletten, konnten im Stadium mit Tochtergeschwülsten höhere Rückbildungsraten und längere Überlebenszeiten erreicht werden, so dass diese Substanzen auch in unterstützenden Therapien eingesetzt und in großen Studien geprüft wurden. Die Kombination von Oxaliplatin, 5-FU und Folinsäure - FOLFOX 4 - wurden in einer großen französischen Studie bei über 2.200 Patienten mit 5-FU/Folinsäure verglichen und zeigte eine Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens nach drei Jahren von 73 % auf 79 %, so dass diese Kombination nach der Erstvorstellung beim Amerikanischen Krebskongress 2003 und nach Diskussion in verschiedenen Arbeits- und Studiengruppen beim diesjährigen Deutschen Krebskongress im März in Berlin als neue Standardtherapie für den Dickdarmkrebs im Stadium III, das heißt mit Lymphknotenmetastasierung, akzeptiert wurde.

Neben Oxaliplatin hat sich Irinotecan als weiteres neues Medikament bei Tumoren des Dick- und Enddarms in metastasiertem Stadium auch nach Versagen einer 5-FU/Leucovorin-Therapie bewährt und es ist zu erwarten, dass diese Substanz ihren Stellenwert in der unterstützenden Chemotherapie erhalten wird. Noch wesentlich vielversprechender auch für die unterstützende Therapie sind die Therapieergebnisse bei Dick- und Enddarmkrebs mit Tochtergeschwülsten, die mit den Antiangiogenesehemmern und den epidermalen Wachstumsrezeptorinhibitoren erreicht werden, wie sie beim ASCO (American Society of Clinical Oncology) 2002 und insbesondere 2003 präsentiert wurden. Bei der Antiangiogenesehemmung handelt es sich um die Hemmung der Gefäßneubildung, so dass die Tumorzellen von der Nährstoffversorgung abgeschnitten werden und quasi "verhungern". Bei den epidermalen Wachstumsrezeptorinhibitoren handelt es sich um Hemmstoffe, die Rezeptoren auf der Oberfläche von Tumorzellen blockieren, die für Signale für das Wachstum der Krebszelle zuständig sind.

In einer großen Studie an 925 Patienten mit fortgeschrittenem Dick- und Enddarmkrebs wurde die Kombination 5-FU/Folinsäure/Irinotecan und Scheinmedikament gegen 5-FU/Folinsäure/Irinotecan und dem monoklonalen Anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab geprüft. Es zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Ansprechrate, des Zeitraums, in dem die Krankheit nicht fortschreitet mit Verlängerung auf über 10 Monate sowie des mittleren Überlebens, ohne dass die Nebenwirkungen der Therapie wesentlich verstärkt werden.

Auch zeigte Cetuximab - ein monoklonaler Antikörper gegen den epidermalen Wachstumsfaktor - in der Kombination mit Irinotecan bei Versagen nach einer 5FU/Folinsäure/Irinotecan in 22,5% eine erneute Tumorrückbildung.

Dabei liegt die Ansprechrate im Mittel bei 186 Tagen. Auch als Einzeltherapie konnte Cetuximab in einer kleineren Phase-II-Studie mit Irinotecan-unwirksamen Patienten eine Rückbildung des Tumors erreichen. Damit stehen in Kürze weitere effektive Substanzen und Kombinationen zur unterstützenden und palliativen Therapie des Dick- und Enddarmkrebses zur Verfügung.