Körper & Seele   
 Interview mit Kornelia Roth
zur Ausstellung "Krebs - kein Grund zum Verzweifeln"

Kornelia Roth ist bildende Künstlerin und wurde 1958 in Österreich geboren. Sie wuchs in so unterschiedlichen Ländern wie Südafrika, Spanien, Deutschland, der Schweiz und Chile auf, wo sie auch das Abitur machte. Sie studierte Übersetzung für Englisch und Spanisch in Heidelberg, wo sie heute lebt und arbeitet.

Ihr künstlerischer Werdegang führte sie von der Akademie der Schönen Künste in Santiago de Chile über die Kunstgewerbeschule in Zürich bis zur Universität Zürich, wo sie chinesische Kalligraphie studierte. Seit 1987 hat sie in zahlreichen Städten unter anderem in Berlin, Pisa, Florenz, Paris, Straßburg, Marseille, Santiago de Chile und in La Valletta auf Malta ausgestellt.

2002 entdeckte Kornelia Roth bei einer Selbstuntersuchung einen Knoten in der Brust. Sie wurde in der Frauenklinik Heidelberg im Rahmen einer Studie behandelt, bekam zuerst eine Chemotherapie, der dann Operation und Bestrahlung folgten.

Im April 2003 schloss sich eine Rehabilitationsmaßnahme in Bad Sooden-Allendorf an. Hier begegnete sie anderen Menschen mit dem gleichem Schicksal, deren Begegnung sie berührte und ihren Blick wieder auf andere richten ließ. Kornelia Roth stellte ihre außergewöhnlichen Fotos in einigen Städten Deutschlands aus, zuletzt auf dem diesjährigen Krebskongress in Berlin, wo die Ausstellung wie überall zuvor eine große Resonanz fand.

Die Redaktion des Krebsmagazins hatte die Gelegenheit, Kornelia Roth einige Fragen zu stellen:

Frau Roth, Sie haben eine Ausstellung mit Fotos von sich und von Frauen gemacht, die wie Sie durch die Chemotherapie ihre Haare verloren hatten. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Ausstellung?

Kahlköpfige Frauen - Foto: Kornelia Roth
Foto: Kornelia Roth
Im Speisesaal der Reha-Klinik begann ich andere Frauen wahrzunehmen, die kahlköpfig am Tisch saßen -im Gegensatz zu mir, die ich noch meinen "Mopp" trug, obwohl ich schon einen kleinen Lockenteppich darunter hatte. Langsam verstand ich auch, warum ich sie immer wieder anschaute: diese Frauen hatten so etwas Edles, Wunderschönes an sich. Das war der Moment, in dem sich ein durch Krankheit und Therapie lange verschlossener Kanal in mir wieder öffnete.

Sehen Sie, das Wissen, an Krebs erkrankt zu sein, und die lange Zeit der intensiven Therapien sind körperlich und geistig für die meisten so zermürbend, dass sie gerade noch genügend Kräfte haben, um diese in einen würdigen Tagesablauf einzusetzen. Die Welt, auch die unmittelbare, nimmt man anders wahr - distanzierter. Schließlich geht es um das eigene Leben und Überleben, wie bei jedem Menschen jeden Tag - nur ist der Blickwinkel ein ganz anderer.

Diese mutigen Frauen barhäuptig zu sehen, etwas dabei empfinden zu können, - das war mir lange Zeit vollkommen abhanden gewesen. In diesem Moment wurde dieser Blick auf andere und zu anderen hin für mich wieder frei.

Das heißt, sie haben die Frauen erst einmal sozusagen nur für sich fotografiert.

An eine Ausstellung hatte ich zu dem Zeitpunkt nie gedacht, vor allem an eine so aufwendige wie zuletzt in Berlin auf dem Krebskongress nicht. Eine der Frauen schlug vor, die Fotos in der Klinik aufzuhängen; damit auch andere sie sehen könnten, um ihnen Mut zu machen. Die Leitung der Rehaklinik war der Idee gegenüber aufgeschlossen und so kam die erste Ausstellung noch während des Reha-Aufenthaltes zustande, die ich mit technisch sehr einfachen Mitteln zusammengebastelt habe. Aber das war zweitrangig, und ich denke, dass keinem der Betrachter die Klarsichtfolie aus der Schreibwarenecke statt eines Rahmens das Interesse für die Fotos versperrt hat. Die Resonanz auf die Ausstellung war für mich überraschend groß.

Wie ging es dann mit dieser Idee der Ausstellung weiter?

Die Leiterin der Stadtbücherei Korbach, die in der gleichen Reha-Klinik war, kam eines Tages auf mich zu und schlug mir vor, die Ausstellung in ihre Bibliothek zu bringen. Sie hat mich auf unglaubliche Weise unterstützt, mich in diesem Vorhaben motiviert und ist mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden: eine wirklich großartige, außergewöhnliche Frau. Geholfen haben mir auch verschiedene Sponsoren, ohne deren finanzielle Unterstützung mir eine präsentable Ausstellung unmöglich gewesen wäre. Von Korbach aus ging die Ausstellung nach Kassel und auf den diesjährigen Deutschen Krebskongress in Berlin.

Mittlerweile haben viele Menschen Ihre Ausstellung gesehen. Welche Erfahrungen haben Sie mit den Besuchern gemacht und welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Ich war überrascht und innerlich berührt, dass kein einziger Besucher beim Anblick der Fotos sich bestürzt oder erschüttert zeigte. Vielleicht kommt es daher, dass ich die Frauen so abgebildet habe, wie ich es für mich gewünscht hätte. Das Wichtigste, so glaube ich, ist, dass die Fotos trotz aller Krankheit und allen Verlustes etwas Heiteres haben, und das ist gut so, denn kein Mensch kann zuviel Leid ertragen, auch nicht beim bloßen Betrachten. Wird Leiden oder innerliche Spannung zu groß, wendet man sich ab. Eine weitere schöne Erfahrung für mich war und ist auf allen Ausstellungen, dass die Betrachter miteinander und mit mir ins Gespräch kommen. Am meisten erstaunt hat mich dabei, wie unterschiedlich jeder Betrachter einen anderen Zugang zu den Fotos findet: der eine meint, die Fotos häthätten eine wunderbar feministische Komponente, der nächste sieht sie als Ausdruck humanen Mitgefühls, wieder ein anderer sieht in ihnen eine stark politische Botschaft usw. Jeder Betrachter spiegelt sich und seine Weltanschauung in dem wider, wie er etwas sieht und es versteht. Auf die gleiche Art und Weise sind meine Abbildungen auch nicht Träger einer Wahrheit oder Botschaft. Was mich besonders freut ist, dass niemand sich von den Fotos abgestoßen fühlt.

Frau Roth, was wünschen Sie sich für die Menschen, die ihre Ausstellung sehen?

Ich glaube, dass der größte Schrecken, den Krebs bei den Menschen hervorruft, nicht an erster Stelle dem möglichen nahen Tod gilt. Natürlich schmerzt es zu wissen, dass das eigene Ende sicherlich in unserer Lebensspanne vorgerückt ist. Aber der wahre Schrecken vor Krebs ist die Angst vor dem Leiden, vor Schmerzen, vor Kraft- und Mutlosigkeit, vor körperlicher wie seelischer Verletzbarkeit. Ich glaube und hoffe, dass durch diese Ausstellung vielen Betrachtern - Betroffenen wie nicht Betroffenen - der Schrecken davor genommen wird, dass sie über diese Krankheit sprechen, sich dafür interessieren, sie näher kennen lernen. So war es damals auch bei mir: ich empfand Krebs als einen schreckenerregenden Feind, dem ich nicht entfliehen konnte. Also sagte ich mir, dass es wohl am besten sei, ihm auf die Schliche zu kommen, indem ich ihn besser kennen lernte. Und siehe da, er verlor den Schrecken des Ungewissen. Aus dem riesigen fauchenden Monster in der Dunkelheit war ein heiseres Wesen von geringer Statur geworden, und nun war auch einzusehen, warum es in meinen Körper gepasst hatte.

Auf der Ausstellung hat mich berührt, wie viele Besucher sich ein Poster der Ausstellung mitgenommen haben, um es zu Hause oder auf ihrem Arbeitsplatz aufzuhängen. Ich sehe darin ein ermutigendes Zeichen, dass meine Fotos Begleiter der Hoffnung sein können.

Frau Roth, wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses Interview und wünschen Ihnen für Ihre weiteren Ausstellungen viel Erfolg.

Ich danke Ihnen, mit Ihrer Zeitschrift Menschen eine Plattform zu bieten, wo sie die Krankheit Krebs und den Umgang damit besser kennen lernen können.