Krebsmagazin vor Ort   
 Interview mit Prof. Dr. med. Bamberg
Präsident des Krebskongresses 2004

Herr Professor Bamberg, das Motto des Krebskongresses 2004 lautet "Verantwortung übernehmen”. Welche Ziele und Schwerpunkte haben Sie sich für den Krebskongress 2004 gesetzt?

Jährlich erkranken in Deutschland etwa 330.000 Menschen neu an Krebs und über 210.000 sterben daran. Jeder dritte Krebstote könnte jedoch vermieden werden - es ist an der Zeit zu handeln. Wir stehen alle in der Verantwortung: Gesunde, Kranke, Ärzte, Politik und nicht zuletzt die Kostenträger.

Mit dem Motto "Verantwortung übernehmen” hat die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. als Veranstalter deutliche Signale von Berlin aus gesendet. Verantwortung übernehmen - dies kann bereits jeder Einzelne im Alltag. Jeder kann durch gesundheitsbewusste Lebensweise das Risiko, an Krebs zu erkranken, deutlich senken. Etwa dreißig Prozent aller Neuerkrankungen könnten mit Hilfe von Primärprävention vermieden werden. Durch Sekundärprävention, das heißt Früherkennung, kann die Krebssterblichkeit um weitere zehn Prozent gesenkt werden. Bislang nehmen aber noch zu wenige Frauen und vor allem Männer die angebotenen Vorsorgemöglichkeiten in Anspruch. Der Aufruf zu mehr Verantwortung ist aber auch an die behandelnden Ärzte und Pflegeteams, an die Gesundheitspolitik, Krankenkassen und andere Kostenträger gerichtet. Mit der aktuellen Gesundheitsreform werden zwar Schritte zur Stärkung der Vorsorge unternommen, aber dennoch, Ziel muss es sein, wichtige Anreize zu schaffen, um Menschen zu mehr Verantwortung zu bewegen und die Versorgungsstrukturen im Gesundheitsbereich zu modernisieren. Der Krebskongress soll helfen, klare Forderungen an die Politik zu formulieren, um eine optimale Krebsversorgung in Deutschland auf lange Sicht zu garantieren. Bei dem wichtigsten onkologischen Forum im deutschsprachigen Raum haben unter 7000 Teilnehmern hochrangige Referenten aus dem In- und Ausland den aktuellen Wissensstand der Onkologie diskutiert.

Der letzte Krebskongress liegt nunmehr fast zwei Jahre zurück, was wurde in diesem Zeitraum in der Krebsmedizin Ihrer Meinung nach in Deutschland erreicht?

Zum einen gab es einen erfreulichen Fortschritt in der Brustkrebsmedizin. Seit Beginn der Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. und die Deutsche Gesellschaft für Senologie haben 17 Kliniken in Deutschland das Qualitätssiegel als Brustzentrum erhalten. Die zertifizierten Kliniken erfüllen die Bemessungskriterien und garantieren eine optimale Versorgung der Patientinnen. Im Vorfeld waren Experten aus allen relevanten Arbeitsgemeinschaften, Fachgesellschaften, Institutionen und Selbsthilfeorganisationen an der Ausarbeitung der Kriterien für Brustkrebszentren beteiligt. Damit wurde ein interdisziplinärer Schritt unternommen, der die gemeinsame Durchführung aller Interventionen in der Behandlung von Brustkrebs ermöglicht. Mit dem diesjährigen Motto "Verantwortung übernehmen" ist allerdings auch eine politische Forderung verbunden. Bundesregierung und Opposition haben vor wenigen Monaten einen Gesetzesentwurf für die Modernisierung des Gesundheitswesens in Deutschland erarbeitet. Für uns, die wir in der Onkologie tätig sind, ist die entscheidende Frage: Werden unsere Krebspatienten optimal versorgt? Das gesamte Abrechnungswesen in den Krankenhäusern wird zur Zeit auf ein neues System umgestellt. Insbesondere bei den neuen stationären Fallpauschalen müssen wir, bei allen bereits erreichten Verbesserungen, weitere wichtige Korrekturen vornehmen. Vieles, was für wir für unsere schwer kranken Krebspatienten brauchen, fehlt bisher noch in diesem System: teure Zytostatika, Antimykotika bei Auftreten von Komplikationen, neu entwickelte Antikörper. Wir dürfen nicht zulassen, dass durch langwierige bürokratische Abläufe eine Innovationslücke von bis zu mehreren Jahren entsteht, bis neue Diagnostikverfahren oder hoch wirksame Medikamente den Patienten zu Gute kommen. Die Finanzierung durch die Kostenträger muss so rasch wie möglich gesichert werden. Darüber hinaus ist es dringend notwendig und zeitlich überfällig, dass der ambulante und der stationäre Sektor durch Bündelung aller Ressourcen unter Einführung von flächendeckenden Qualitätsstandards miteinander verzahnt werden.

Gab es ein herausragendes Thema auf dem 26. Deutschen Krebskongress?

Auf dem 26. Deutschen Krebskongress wurden in Berlin neben den erhöhten Anforderungen an die Interdisziplinarität besonders neue Diagnoseverfahren und aktuelle Ergebnisse innovativer Therapieprinzipien diskutiert. Den besonders bedeutsamen Tumorerkrankungen wurde dabei jeweils ein Themenschwerpunkt gewidmet. Zu diesen Themenschwerpunkten zählten die urologischen und gynäkologischen Tumoren sowie die Krebserkrankungen der Atemwege und des Gastrointestinaltraktes. In hochrangig besetzten Symposien wurden aktuelle Strategien zur Früherkennung, ScreeningVerfahren und Diagnostik diskutiert. Darüber hinaus sollte in weiteren wissenschaftlichen Sitzungen eine Diskussion über den zulassungsüberschreitenden Einsatz von Medikamenten (Off-Label-Use), den Stellenwert von Krebsregistern, nationale und europäische Strategien zur Tumorprävention und den Nutzen der onkologischen Rehabilitation angestoßen werden. Weitere wichtige Themenbereiche wie die Erkennung und Behandlung von Nebenwirkungen in der onkologischen Therapie, Aufklärung, Information und Lebensqualität des Krebspatienten sowie palliativmedizinische Möglichkeiten wurden in gesonderten Fachsitzungen behandelt. Um die Botschaften des Deutschen Krebskongresses den Menschen nahe zu bringen, hat die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. am Sonntag, den 29. Februar 2004, zu einem großen "Patiententag" eingeladen. Die Idee fand großen Anklang: mehr als 4.000 Besucher kamen im Laufe des Tages zum Berliner ICC und informierten sich an Informationsständen und in Vorträgen zum Thema Krebs und Früherkennung. Die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. betrachtet den 1. Krebsaktionstag als großen Erfolg.

Herr Professor Bamberg, abschließend die Frage, in welchen Bereichen hat der Krebskongress 2004 große medizinische Fortschritte aufgezeigt?

Neue Perspektiven in der Tumordiagnostik eröffnet z.B. das Feld der molekularen Pathologie. Durch die Kombination konventioneller Verfahren mit der gleichzeitigen mikroskopischen Analyse spezifischer verschiedener Genprodukte kann die Aussagekraft feingeweblicher Untersuchungen erheblich verbessert werden. In Zukunft werden solche Untersuchungen zur individualisierten Therapieplanung angestrebt. Im Bereich der Therapieverfahren gibt es ebenfalls Neuigkeiten: Bei der antiangiogenetischen Therapie wird die Bildung neuer Tumorgefäße blockiert, was sich besonders in der Behandlung des weit fortgeschrittenen Dikkdarmkrebses als deutliche Verbesserung erwiesen hat. Es besteht hier die berechtigte Hoffnung, dass die antiangiogenetische Therapie auch bei anderen Krebserkrankungen erfolgreich sein wird. Darüber hinaus gibt es Fortschritte in der intensitätsmodulierten Radiotherapie zu verzeichnen. Bei diesem Therapieverfahren ist es mittlerweile möglich, höhere Dosen auf den Tumor zu applizieren und dadurch bessere Heilungsraten zu erzielen. Der große Vorteil dieses neuen Therapieverfahrens liegt in der erheblich besseren Schonung des den Tumor umgebenden gesunden Gewebes, so dass deutlich weniger Nebenwirkungen auftreten.

Auf dem Krebskongress wurden im Bereich der Grundlagenforschung neueste, z.T. unpublizierte Daten vorgestellt. Gleiches gilt für den Bereich der Klinischen Forschung. Experten präsentierten hier ebenfalls aktuellste Studien und Ergebnisse. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen, einen Beitrag zur Verbesserung und langfristigen Sicherung der Krebsversorgung zu leisten, sei es in der interdisziplinären Zusammenarbeit, in einer umfassenden Qualitätssicherung oder in der Angleichung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisstandards. Der 26. Deutsche Krebskongress hat auch in diesem Jahr eine optimale Basis geboten, um gemeinsam nach neuen Möglichkeiten und Wegen im Kampf gegen den Krebs zu suchen.

Herr Professor Bamberg, wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses Interview.