Therapie & Forsch.   
 Strahlenbehandlung des Nasen-/ Rachentumors

Bösartige Tumoren des Nasopharynx sind ein herausragendes Beispiel für die Leistungsfähigkeit der modernen Strahlentherapie (Radionkologie).
Durch die unmittelbare Nähe des Nasenrachens zur Schädelbasis sind chirurgische Maßnahmen zur Tumorentfernung von vornherein ausgeschlossen, die Strahlentherapie (in bestimmten Situationen auch in Kombination mit Chemotherapie) trägt die Hauptlast der Tumorbehandlung.
Dieser Organtumor zeigt einige Besonderheiten: Einerseits zwei auffällige Häufigkeitsgipfel (zwischen 15 und 25 Jahren und bei 50-60Jährigen) , andererseits zeigen sich erhebliche lokale Unterschiede im Auftreten: In den westlichen Industrieländern eher selten, findet sich eine erhebliche Häufigkeitszunahme (etwa um das zwanzigfache! ) in Regionen wie Südchina, Island und bei Eskimos. Genetische Komponenten, aber auch bestimmte Essgewohnheiten (gesalzener Fisch ! ) werden verantwortlich gemacht.

Klinische Anfangssymptome können nasale Sprache, Borkenabgang über die Nase oder Nasenbluten sein, später können dann durch Beteiligung von Hirnnerven Doppelbilder oder Ausfälle von Augenmuskeln auftreten. Häufig sind erst vergrößerte derbe Lymphknoten am Hals erster Hinweis auf eine Tumorerkrankung. Im Gegensatz zu vielen anderen Tumoren besitzt die Größe und Ausdehnung des Primärtumors (T-Klassifikation) nur untergeordnete Bedeutung, eine enge Verknüpfung besteht dagegen zwischen vorhandener Lymphknotenmetastasierung und dem Nachweis von Fernmetastasen. Da sich im Nasenrachen ein ausgedehntes, sich unter der Schleimhaut liegendes Lymphgefäßgeflecht befindet, ist frühzeitig der Lymphabfluss vom Krankheitsgeschehen betroffen, aber auch sonst unübliche Lymphknotenstationen hinter dem Schlund in das Krankheitsgeschehen einbezogen. Führender Befund der bildgebenden Diagnostik (CT, MRT) ist ein vermehrte "Weichteilmasse" im Nasenrachen, aus der durch Gewebeentnahme (meist mit auffälliger Kontaktblutung) die Diagnose der Tumorerkrankung vom Pathologen durch feingewebliche Untersuchung der Probe gestellt wird. Bevor die Entscheidung zur Strahlentherapie mit dem Ziel der Heilung aber gefällt werden kann, müssen Fernmetastasen, vorrangig betroffen davon sind Knochen, Leber und Lunge, ausgeschlossen werden.

Grundlage des Denkens der modernen Strahlentherapie ist nicht mehr die Orientierung an knöchernen Strukturen ("Felder") bei der sogenannten Bestrahlungsplanung ("-vorbereitung) , sondern die genaue Markierung von Tumor und Lymphknotenmetastasen auf vielen Querschnittsbildern des Patienten (CT). Dazu erhält jeder Patient eine wenig belästigende Maske aus einem thermoplastischen Material, die sich an die jeweilige Kopfform anpasst und Bewegungen praktisch vollkommen einschränkt. Danach wird die gesamte Kopf-Halsregion in einem 50-60 Schnitte umfassenden Planungs-Computertomogramm unterzogen, nachdem Markierungen an der Maske angebracht worden sind, wonach der Patient jederzeit wieder in die identische Lage gebracht werden kann. Nun beginnt der aufwändigste Teil der Planung.

Der Arzt muss nun, mit der Computermaus Schicht für Schicht, Tumor, Lymphknotenmetastasen aber auch normale Lymphknoten umfahren, "konturieren" oder auch "segmentieren". Das entspricht in etwa dem, was der Chirurg entfernen würde. Wegen des außergewöhnlich komplizierten Lymphabflussgebietes des Nasopharyx ist dafür eine Zeit von etwa 120 Minuten zu veranschlagen. So liegen z. B. die retropharyngealen Lymphknoten unmittelbar vor der Wirbelsäule, in der sich das strahlenempfindliche Rückenmark befindet. Metastasen dieser Lymphknotenkette benötigen in wa die doppelte Dosis, die für das Rückenmark als noch verträglich angesehen wird. Es somit leicht verständlich, dass an das Können der in der Medizin tätigen Physiker höchste Anforderungen gestellt werden.
Seit einigen Jahren verfügen wir über eine Methode, die mit einem erheblichen Aufwand an Rechentechnik und einer speziellen Software in der Lage ist, ein Gesetz der Physik praktisch "auszuhebeln", dass Strahlung durch äußere Einflüsse nicht ablenkbar ist. Mit Einführung der Intensitätsmodulierten Strahlentherapie ("IMRT" - von einem deutschen und einem schwedischen Physiker vor immerhin 20 Jahren konzipiert) können wir jetzt problemlos jegliche Bogenstrukturen bestrahlen und so häufig auch die in unmittelbarer Nähe liegenden Ohrspeicheldrüsen (mit der gefürchteten Mundtrockenheit nach Strahlentherapie) viel besser schonen. Selbstverständlich gibt es auch keine kritischen Zonen mehr bei Feldanschlüssen, weil die Strahlung unterbrechungslos über das gesamte Volumen an den Tumor abgegeben werden kann. In Abbildung 1 ist das Gesagte exemplarisch dargestellt: Das "Zielvolumen" in den 3 typischen Etagen, im Nasenrachen tropfenförmig, in der mittleren Region hufeisenförmig vor der Wirbelsäule, in Höhe der Drosselgrube querliegend mit einer zentralen Lücke.

Die realisierte Strahlungsanpassung ("Dosisverteilung") für diesen Fall ist in Abbildung 2 dargestellt. Es ist leicht zu erkennen, dass trotz asymmetrischer Dosisabgabe ("konformale" Dosisverteilung) die markierten Speicheldrüsen (weiß) spürbar geschont werden können.

Individuelle Dosisanpassung mit IMRT bei Nasopharynxkarzinom Abbildung 2: Individuelle Dosisanpassung mit IMRT bei einem Patienten mit Nasopharynxkarzinom.
Welche Ergebnisse sind heute mit Strahlentherapie bei diesem Organtumor zu erreichen? Über mit die größten Erfahrungen weltweit verfügt die VA-Klinik in Taipeh/ Taiwan. Dort wurden innerhalb von 15 Jahren 1125 Patienten bestrahlt. Selbst bei sehr weit fortgeschrittenen Tumoren (Stadium IV) konnte immerhin eine 5-Jahresüberlebensrate von 46 % erreicht werden. Eine große amerikanische Verbundstudie (INT 0099) konnte Mitte der 90iger Jahre die Chemosensibilität des Tumors nachweisen: Erfolgte während der Bestrahlungsserie die gleichzeitige Anwendung von Cis-Platin, konnte das 3Jahres-Überleben von 47 % (alleinige Strahlentherapie) auf 78 % (simultane Radiochemotherapie) gesteigert werden. Diese Behandlungsform wird derzeit als therapeutischer Standard angesehen, da die Rate an Nebenwirkungen nur moderat erhöht war. In den folgenden Jahren war die zeitliche Abstimmung von Radio- und Chemotherapie Gegenstand der klinischen Forschung. Neoadjuvante (der Strahlentherapie vorausgehende) Chemotherapie hat trotz ihrer theoretischen Vorteile ("Tumorverkleinerung") bisher, wie bei anderen Organtumoren, keinen Überlebensvorteil bestätigen können.

Die Frage des letztendlichen Nutzens einer adjuvanten Chemotherapie nach einer Radiochemotherapie des Primärtumors ist heute offen. Aktuelle Ergebnisse aus führenden amerikanischen Kliniken bestätigen die Leistungsfähigkeit der Strahlentherapie mit modernen Methoden. Für die 74 Patienten, die am Memorial Sloan Kattering Cancer Center in New York seit 1998 mit IMRT behandelt wurden, konnte eine lokale Tumorfreiheit von 91 % im Januar 2006 berichtet werden, sie betrug auch bei lokal fortgeschrittenen Tumoren 83% (T3/4). Trotz des kurzen Zeitraums der Nachbeobachtung war schon ein Trend zur Steigerung der lokalen Erfolgsquote in Vergleich zur Periode der klassischen 3D-Bestrahlung zu registrieren.