Patientenforum   
 Neue Ansätze in der Krebstherapie
Bewegung und Sport bei Fatigue

Sport bei Krebs? Was wie ein Widerspruch klingt, ist heute ein neuer Therapieansatz bei der Behandlung der chronischen Müdigkeit (Fatigue) von Krebspatienten. Die Fatigue ist eine der häufigsten Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung oder -therapie. Patienten, die an Fatigue leiden, fühlen sich kraftlos und müde. Auch ausreichender Schlaf lindert den Erschöpfungszustand der Betroffenen nicht. Weitere Symptome sind Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen oder Lustlosigkeit. Die Ursachen der Fatigue sind vielfältig und noch nicht vollständig geklärt. Ausgelöst wird der Zustand teilweise durch die Krebserkrankung selbst, besonders häufig tritt er jedoch bei Chemotherapie, Bestrahlung oder Immuntherapie auf. Die Erschöpfung dauert noch Wochen bis Monate über den Behandlungszeitraum hinaus an: Bis zu 96 Prozent aller Krebspatienten leiden während der Tumortherapie an chronischer Erschöpfung – nach Abschluss der Therapie sind es immer noch bis zu 40 Prozent. Die Fatigue wirkt sich einschneidend auf die Lebensqualität der Patienten aus: Einfache Tätigkeiten wie der alltägliche Einkauf oder Unternehmungen mit der Familie werden zur Qual. Fatigue-Patienten ziehen sich oft aufgrund der Müdigkeit und der geringeren Belastbarkeit aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Die zunehmende Isolation löst bei vielen Betroffenen Depressionen aus. In einer amerikanischen Studie sagten 61% der Krebspatienten aus, dass sie in ihrem täglichen Leben durch die Fatigue stärker beeinträchtigt werden als durch die Tumorschmerzen. Viele Patienten glauben, dass der Erschöpfungszustand zwangsläufig zur Krankheit und Therapie gehört. Sie wissen nicht, dass ihr Leiden einen Namen hat und effektiv und dauerhaft behoben werden kann. Nach neuesten Erkenntnissen hilft auch Bewegung, die Symptome zu lindern. Betroffene können durch Sport aktiv zu ihrem Wohlbefinden beitragen.

Sport statt Schonung

Mehrere Studien, z. B. die von Dr. Fernando Dimeo von der Berliner Charité, belegen, dass Fatigue-Patienten von moderatem Sport profitieren. Auch Sportwissenschaftler der Freien Universität Berlin konnten nachweisen, dass Schmerzen und Erschöpfungszustände bei Krebspatienten durch ein regelmäßiges Training auf einem Fahrradergometer deutlich gesenkt werden. Der Zustand der Patienten, die am Sportprogramm teilgenommen haben, hat sich sogar so weit gebessert, dass sie die Klinik früher verlassen konnten, als Patienten, die nicht am Sportprogramm teilnahmen. Die körperliche Bewegung stärkt das Immunsystem und die Widerstandskraft gegen Stress. Der Patient gewinnt neue Energie und hat mehr Elan für den Alltag. Tägliche Aufgaben können wieder besser bewältigt werden. Sport hilft jedoch nicht nur, die Leistungsfähigkeit zu steigern, Sport integriert die Patienten auch wieder in ein gesellschaftliches Leben: Durch sportliche Aktivitäten in Krebssportgruppen, mit Freunden oder der Familie können die Patienten ihre sozialen Kontakte pflegen und aus der Isolation wieder heraustreten.

Früh mit dem Sport beginnen

Mit dem Sport sollte so früh wie möglich begonnen werden und nicht erst nachdem die Therapie abgeschlossen ist. Allerdings ist nicht jede Sportart für Krebspatienten geeignet. Daher ist es wichtig, unter medizinischer Anleitung zu trainieren, um so eine mögliche Überanstrengung und letztlich Schwächung des Körpers zu vermeiden. Ärzte informieren dabei nicht nur über die individuellen Belastungsgrenzen beim Sport, sondern helfen auch bei der Erstellung eines maßgeschneiderten Trainingsplanes. Zusätzlich können mit Hilfe eines Trainingstagebuchs die Erfolge festgehalten und dokumentiert werden. Spezielle KrebsnachsorgeSportgruppen bieten ein geeignetes Programm für Tumorpatienten an. Fachlich geschulte Trainer können hier wertvolle Hilfestellung geben. Die Kosten für einen entsprechenden Sportkurs werden nach einer Krebserkrankung von den Krankenkassen übernommen.

Kraft und Ausdauer aufbauen

Sportübungen für Krebspatienten konzentrieren sich vor allem auf den Wiederaufbau der Ausdauer und die Rückgewinnung von Kraft und Dehnbarkeit. Von einer guten Kondition profitiert sowohl das Immunsystem als auch der Stoffwechsel der Patienten. Besonders geeignet ist zügiges Gehen wie Walking oder Nordic Walking. Bei den Ausdauerübungen ist zu beachten, wie insgesamt bei allen Sportübungen, dass die Anstrengung noch als angenehm empfunden wird. Neben einem regelmäßigen Ausdauertraining sollte auch die Kraft gesteigert werden, vor allem bei Krebspatienten, die stationär behandelt werden. Durch das lange Liegen und den Mangel an Bewegung verliert der Patient an Kraft, denn Muskeln, die nicht beansprucht werden, bilden sich nach einiger Zeit zurück. Nach der stationären Behandlung kann aber durch ein regelmäßiges Training relativ schnell wieder Muskelmasse aufgebaut werden. Welche Übungen empfehlenswert sind, können Patienten in der Patientenbroschüre "Fitness trotz Fatigue" nachlesen. Diese wurde von der Deutschen Fatigue Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule Köln herausgebracht. Patienten finden darin neben Übungsanleitungen auch Tipps für das Fitnessprogramm und einen Trainingsplan. Die Broschüre kann kostenlos bei der Deutschen Fatigue Gesellschaft angefordert werden.

Positives Körpergefühl erleben

Um wieder ein positives Körpergefühl zu entwickeln, eignen sich neben sportlicher Betätigung auch Entspannungsübungen und Massagen. Die Selbstmassage mit einem Igelball zum Beispiel kann die eigene Körperwahrnehmung steigern und entspannend wirken. Zudem aktiviert der Igelball durch Akupressur die Muskeln. Eine weitere Möglichkeit bietet die Progressive Muskelrelaxation nach Jakobson (PMR) , bei der einzelne Muskeln im Wechsel angespannt und entspannt werden.

Anämie – Hauptursache der Fatigue

Das Sportprogramm alleine ersetzt aber nicht die Therapie. Wichtig ist die Behandlung der Ursache: Eine der Hauptursachen der Fatigue ist die Anämie (Blutarmut). Dabei herrscht ein Mangel an roten Blutkörperchen (Erythrozyten) im Körper. Diese sind für den Sauerstofftransport verantwortlich. Die Reifung der roten Blutkörperchen im Knochenmark wird durch das körpereigene Hormon Erythropoietin angeregt. Der Tumor oder auch die Strahlen- oder Chemotherapie können dazu führen, dass nicht ausreichend Erythropoietin im Körper gebildet wird oder die roten Blutkörperchen auf die Wirkung des Hormons nicht mehr adäquat ansprechen. Dadurch verringert sich die Anzahl der roten Blutkörperchen, im Körper kommt es zur Unterversorgung mit Sauerstoff. Die Folge ist, dass sich der Patient müde und schlapp fühlt. Um zu prüfen, ob eine Anämie vorliegt, wird der Hämoglobinwert (kurz: Hb-Wert) des Blutes bestimmt. Der Hb-Wert einer gesunden Frau liegt zwischen 12 und 16 g/dl (Gramm pro Deziliter) , der eines Mannes zwischen 14 und 18 g/dl. Liegt der Wert unter 11 g/dl, sollte laut der Leitlinie der EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) mit einer Therapie begonnen werden. Um die Anämie zu beheben, gibt es verschiedene Möglichkeiten: In akuten Fällen erhalten die Patienten meist eine Bluttransfusion. Der Effekt hält allerdings nur kurz an, da die roten Blutkörpcherchen eine begrenzte Lebensdauer haben und ständig nachgeliefert werden müssen. Ziel einer Therapie ist aber die dauerhafte Behebung der Anämie. Hierfür wird den Patienten biotechnologisch hergestelltes Erythropoietin, z. B. der Wirkstoff Epoetin, verabreicht, welches die Funktion des körpereigenen Hormons ersetzt. Dadurch werden wieder ausreichend – und vor allem dauerhaft – rote Blutkörperchen produziert, die die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff sicherstellen. Der Wirkstoff steht den Patienten in einer Fertigspritze zur Verfügung. Nach einer Epoetin-Therapie fühlen sich Fatigue-Patienten schnell wieder fit, können aktiv am Leben teilnehmen und gewinnen dadurch deutlich an Lebensqualität.