Schwerpunkt: Prostatakrebs   
 Rehabilitation und Harninkontinenz nach radikaler Prostataentfernung

Das Prostatakarzinom ist mit über 40.000 Neuerkrankungen im Jahr die häufigste Krebserkrankung des Mannes in Deutschland. Seit Ende der achtziger Jahre ist es zu einem kontinuierlichen Anstieg der Neuerkrankungen gekommen.
Mit zunehmender Alterung der Bevölkerung ist mit einer weiteren Zunahme von Erkrankungen zu rechnen, da die Häufigkeit von Prostatakarzinomen im Alter stärker zunimmt als bei anderen Krebsarten. Da das mittlere Erkrankungsalter für Prostatakarzinome mit 71 Jahren deutlich höher liegt als bei anderen Krebserkrankungen, sind Begleiterkrankungen häufiger.
Nach Abschluss der Behandlung im Akutkrankenhaus ist eine Anschlussheilbehandlung oder Rehabilitation die beste Möglichkeit, die Therapiefolgen zu überwinden,
das Allgemeinbefinden möglichst rasch wieder herzustellen und körperlich und seelisch ein neues Gleichgewicht zu finden.
Die Rehabilitation kann ambulant oder stationär in qualifizierten onkologischen Rehabilitationskliniken durchgeführt werden. Vorteil der stationären Rehabilitation ist die Entlastung von Alltagsproblemen, hohe Therapiedichte und die soziale Unterstützung durch Mitpatienten.

Harninkontinenz

Nach radikaler Prostatektomie ist die nachoperative Harninkontinenz das Symptom, das Patienten am meisten belastet, oder die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt. Die Inkontinenzrate 1 bis 2 Jahre nachoperativ wird mit 5 bis 10% angegeben und ist abhängig vom Alter, der Radikalität der Operation, der Definition der Kontinenz und bereits voroperativ bestehender Funktionsstörungen. Nach nerverhaltender Operation ist die Kontinenzrate höher, wobei diese Operation bevorzugt bei jüngeren Patienten mit kleinen Tumoren durchgeführt wird. Im Mittel wird die Kontinenz nach etwa 3 Monaten wieder erreicht. Allerdings kann eine nachoperative Radiotherapie die Blasenkontrolle verzögern. Bei anhaltender Inkontinenz ist eine differenzierte urologische Funktionsdiagnostik erforderlich. Wenn nach primär strahlentherapeutisch behandeltem Prostatakarzinom sekundär eine Prostataentfernung wegen einem lokalen Rückfall notwendig ist, ist die Inkontinenzrate deutlich erhöht.

Kontinenztraining

Die nachoperative Harninkontinenz ist für Patienten wegen des Verlustes der Körperkontrolle und der Einschränkungen im sozialen Leben sehr belastend und schränkt die Lebensqualität deutlich ein. Jüngere Patienten und Patienten nach nerverhaltenden Operationen und ohne relevante Begleiterkrankungen werden meist schneller wieder kontinent. Ein frühzeitig eingeleitetes ganzheitliches Kontinenztraining durch speziell ausgebildete Physiotherapeuten führt meist zu einer raschen Besserung der Blasenkontrolle. Hier ist die Anleitung der Patienten zum Eigentraining wichtig, da die Belastungsinkontinenz sich im ersten nachoperativen Jahr sich noch kontinuierlich bessern kann. Operative Maßnahmen zur Behandlung der Belastungsinkontinenz sollten nicht vor Ablauf von 1 bis 2 Jahren nach Prostataentfernung durchgeführt werden. Das Kontinenztraining beinhaltet Informationen über Anatomie und Physiologie von Blase und Becken, Wahrnehmungsübungen der Muskeln des kleinen Beckens, konzentrative Entspannungsübungen, Atemübungen, Mobilisierung von Gelenkblockaden, gezieltes Training des externen Schließmuskels, Beckenbodentraining und Blasentraining. Das Training erfolgt in einer männerspezifischen Gruppe mit zusätzlichen Einzeltherapien, falls der Patient keine Besserung feststellt.

Um das Erlernen des Muskeltrainings zu verbessern, kann im so genannten Biofeedbacktraining über eine in den After eingeführte Sonde die Muskelaktivierung optisch und akustisch angezeigt werden. Bei stärkerer Inkontinenz kann durch tägliche Elektrostimulation der Beckenbodenmuskulatur und des Schließmuskels über eine in den After eingeführte Sonde oder durch auf der Haut platzierte Elektroden die Urinhaltefunktion verbessert werden. Der Effekt eines frühzeitigen Beckenbodentrainings auf die Kontinenzrate konnte durch Untersuchungen an vielen Patienten nachgewiesen werden. Bleibt der Erfolg des Kontinenztrainings aus, sind andere Ursachen der gestörten Blasenfunktion, wie Harnwegsinfektion, Blasenfunktionsstörung oder Harnröhrenverengung durch Uroflow, Zystoskopie oder urodynamische Untersuchung abzuklären. Bei Blasenreizung kann die Blasenfunktion durch Medikamente normalisiert werden. Den Behandlungserfolg kann der Patient in einem Tagebuch, in das er die willkürlichen und unwillkürlichen Blasenentleerungen einträgt, dokumentieren.

Beim standardisierten PAD-Test wird das Gewicht der Vorlage und die Menge des unwillkürlich abgegangenen Harns über eine Stunde gemessen und damit der Kontinenzgrad kontrolliert. Bei anhaltender Inkontinenz erhalten die Patienten Empfehlungen und pflegerische Informationen über geeignete Hilfsmittel.

Hausaufgabenprogramm für das Kontinenztraining für Männer

Schaubild des Beckenbodens beim Mann
Der Beckenboden stellt den muskulär elastischen Abschluss des Beckenausgangs dar. Er muss sämtliche Organe, die sich in der Bauchhöhle befinden, durch fortwährende Spannung tragen. Nach radikaler Prostataentfernung wegen eines Prostatakarzinoms kommt es häufig nachoperativ zu Harninkontinenz, die durch ein Kontinenztraining in der Rehabilitationsklinik gebessert werden kann. Wir möchten Ihnen hier Anregungen geben, wie Sie auch zu Hause nach Entlassung aus der Klinik das Kontinenztraining weiter alleine durchführen können. Dieses Training sollte über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten durchgeführt werden, um weitgehende Kontinenz zu erreichen.

In den Griff bekommt man den Beckenboden, indem man sich das After-, Penis- und Blasengebiet bewusst macht und lernt, diese drei Gebiete anzuspannen und zu lockern. Empfehlenswert ist, dieses Funktionstraining in den Tagesablauf kontrolliert einzuordnen, d. h. : Man kann den Beckenboden unauffällig anspannen und lockern, beim Warten im Geschäft, bei roter Ampel, bei jeglicher Hausarbeit, schließlich auch beim Fernsehen. Bei unvermeidlichen Anstrengungen (Heben) , sollten Sie sich angewöhnen, während des Hebens stets den Beckenboden anzuspannen und auszuatmen. Im folgenden Übungsprogramm geht es um die Wahrnehmung des Beckenbodens, die Steigerung der Durchblutung, die Verbesserung der Koordination und Sensibilität und schließlich der Entwicklung von Muskelkraft. Wenn das Anspannen und Lockern des Beckenbodens verlangt wird, so ist stets das After-, Penis-, Blasengebiet gemeint, dabei sollte man darauf achten, dass die Gesäß- und Oberschenkelmuskulatur nicht mit angespannt werden soll. Alle Übungen sollten immer vier- bis sechsmal hintereinander ausgeführt werden.

  1. Wahrnehmungsübung: Konzentration auf die verschiedenen Bereiche des Beckenbodens, wie Harnröhrenschließmuskel, Dammbereich, After. Welche Region müssen Sie anspannen, um den Urinstrahl zu unterbrechen? Versuchen Sie auf der Toilette den Muskel anzuspannen, der den Urinstrahl unterbricht.
    Spüren Sie eine Anspannung?
  2. Rückenlage mit angestellten Beinen. Ziehen Sie den Dammbereich fest hoch und atmen Sie ruhig weiter.
  3. Gruppe bei Gymnastik mit dem Pezzi Ball Gymnastische Übungen mit dem Pezzi Ball
    Rückenlage mit angestellten Beinen, spannen Sie Dammbereich, Beckenboden und Harnröhrenschließmuskel leicht an und fahren dann im Fahrstuhlrhythmus in den ersten Stock, dann in den 2. Stock, dann in den 3. und 4. Stock. Ziehen Sie den Bereich zwischen Hodensack und After so hoch wie möglich, halten Sie einen Augenblick an und fahren Sie dann langsam wieder herunter.
    Sie können zusätzlich Haltephasen einbauen, z. B. in den 3. Stock, in den 2. Stock und wieder hoch in den 4. Stock und immer der Reihe nach herunterfahren, kein Stockwerk überspringen.
  4. Spannen Sie die Beckenbodenmuskulatur und den Harnröhrenschließmuskel abgestuft zunächst ganz leicht, dann mit halber Kraft und dann maximal für 6 bis 10 sec. an, dann langsam wieder lösen. Diese Übungen einige Male, bis etwa 5 Minuten wiederholen.
  5. Steigerung der Kraftübungen: Üben Sie mehrmals täglich, langsam und mit geringer Kraft und schnell mit maximaler Kraft Ihren Schließmuskel anzuspannen, ohne dabei die Luft anzuhalten. Achten Sie darauf, dass Sie immer ruhig weiter atmen. Bei den Übungen sollten Sie nicht über die Schmerzgrenze hinausgehen und nicht zu lange am Stück üben. Zwischen den Übungen 20 bis 30 sec. Pause machen. Maximalkraftübungen sollten Sie erst etwa 8 Wochen nach der Operation durchführen, vorher können Sie den Schließmuskel und den Beckenboden mit reduzierten Spannungsübungen belasten.
  6. Umsetzen in Alltagssituationen: Versuchen Sie bei erhöhtem Druck durch Husten, Niesen und Aufstehen vom Stuhl den Schließmuskel intensiv anzuspannen, atmen Sie in der Belastung aus und halten Sie nicht die Luft an, richten Sie die Wirbelsäule möglichst gerade auf. Während des Gehens können Sie den Schließmuskel wiederholt bewußt anspannen. Üben Sie mit unterschiedlichen Blasenfüllungen und trainieren Sie die Übungen, die die Beschwerden am besten verbessern.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem häuslichen Übungsprogramm.