Schwerpunkt Schmerztherapie   
 Psyche und Schmerz - Behandlungsmöglichkeiten in der Krebsschmerztherapie


Die Diagnose einer Tumorerkrankung stellt für den Betroffenen, aber auch für alle anderen an der Erkrankung Beteiligten, eine meist schockierende und einschneidende Ausnahmesituation dar. Mit der Krebsdiagnose wird zumeist keine oder eine nur geringe Heilungsaussicht verbunden. Die Erwartung fortschreitenden körperlichen Verfalls, Angst vor unerträglichen Schmerzen, aber auch vor unausweichlichen Behandlungen, die Erwartung von Leid und Tod belasten alle Betroffenen. Das Ausmaß auftretender Schmerzen ist dabei meist der Gradmesser für Gesundheit und Krankheit des Patienten, aber auch für den Behandlungsfortschritt. Zudem erinnern die Schmerzen den aufgeklärten Patienten andauernd an das Fortbestehen oder Fortschreiten seiner bösartigen Erkrankung.

Der Signalcharakter der Schmerzen beansprucht oft die gesamte Aufmerksamkeit des Patienten. Unzureichend behandelte Schmerzen engen zunehmend das Denken und Erleben auf den Schmerz, die Erkrankung selbst und die krankheitsbedingten Einschränkungen ein. Der Schmerz kann sich verselbständigen und letztlich zur Krankheit selbst werden. Körperliche und seelische Schmerzen dominieren gleichermaßen das Lebensgefühl des Patienten und setzen einen wechselseitig sich aufschaukelnden Teufelskreis schmerzverstärkender Bedingungen in Gang.
Bei unzureichender Schmerzverringerung verstärkt sich die Hilflosigkeit gegenüber dem Auftreten der Schmerzen und auch die Angst vor wiederkehrenden Schmerzattacken. Dies raubt manchem Patienten jede Hoffnung auf Besserung. Niedergeschlagenheit, Depression, Resignation und hilflose Apathie können die Folge sein und münden dann in einem gedanklichen Sich-im-Kreise Drehen und Grübeln über das "Warum" der Erkrankung. Dominiert in den ersten Phasen der Erkrankung oft noch das Sich-zur-Wehr-Setzen gegen das Unabänderliche mit Gefühlen des Ärgers, der Wut und Verzweiflung ("Warum gerade ich ?") oder aber die teilweise Ausblendung der Realität, weicht dieser Widerstand oft zunehmender Resignation. Der auch vom Patienten bemerkte fortschreitende körperliche Verfall zerstört Selbstbild und Selbstwertgefühl des Kranken. Quälende Gedanken, z.B. anderen Menschen nur noch zur Last zu fallen, rauben dem Patienten den notwendigen Schlaf, die Erholung und schwächen zusätzlich seine Abwehrkraft. Der Patient zieht sich zurück, selbst Schmerzen – als einzige Sprache des Leidens – werden nicht mehr mitgeteilt.

Der Patient erlebt oft zusätzlich belastend seine Vereinsamung in der Krankheit, das Einfordern von Hilfen wird vermieden. Körperlicher und seelischer Schmerz verstärken sich in einer Art Krebsschmerz-Spirale wechselseitig. Ängste sind in vielen Fällen auch Ausdruck einer gestörten Kommunikation. Klagende Patienten mit Schmerzen werden oft als schwierig, übermäßig fordernd, zeitraubend und anstrengend empfunden. Sie verlangen oft einen Mehraufwand an Zuwendung, konfrontieren die Behandler andererseits mit ihrer eigenen Hilflosigkeit. Schmerzen sind dabei stets eine individuelle Erfahrung, sie sind nicht objektiv messbar. So können starke Schmerzen sogar ohne akute Gewebsschädigung bestehen, andererseits sind Gewebsschäden nicht immer mit Schmerzen verbunden. Die seelische Komponente des Schmerzerlebens hat deshalb besondere Bedeutung bei der Behandlung von Tumorschmerzpatienten, deren körperliche, seelische und soziale Unversehrtheit durch ihre Erkrankung existenziell bedroht ist. Erste und unmittelbarste Hilfe besteht im Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, die auf dem Bewusstsein gründet, jederzeit auch selbst Betroffener sein zu können. Alle therapeutischen Bemühungen müssen darauf zielen, den Patienten in seiner Erkrankung zu begleiten, seine Gefühle der Isolation und Vereinsamung, seine Ängste zu verringern, dem Kranken Hoffnung und Mut zu geben und dabei zu helfen, auch negative Gefühle und Erfahrungen anzunehmen. Wichtigstes therapeutisches Mittel ist dabei das persönliche Gespräch und die Einbeziehung des Patienten in die Therapie. Der Patient lernt dabei die Überlegungen der Behandler kennen, umgekehrt werden dem Helfer das Erleben und die Gefühlsreaktionen des Patienten verständlich. Gleichzeitig kann das therapeutische Gespräch dazu dienen, den Patienten aus einem negativ-zentrierten Denken herauszuführen.

Grundlage des helfenden Gespräches ist die persönliche Einfühlung. Sie ist nicht nur wichtig bei der Vermittlung von Informationen über die Erkrankung, sondern auch Grundlage für das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Diese Einfühlung stellt besondere Ansprüche an die Menschen, die in der Betreuung krebskranker Personen stehen. Zurecht wurde hier der Begriff "Gefühlsarbeit" verwendet. Gefühlsarbeit beginnt mit dem Sprechen über die Diagnose und das Wesen der Krebserkrankung. Ängste und Unsicherheiten auf Seiten der Betreuer oder wenig mitfühlendes Auftreten können Gefühle der Vereinsamung und Ohnmacht beim Patienten verstärken. Voraussetzung einer helfenden Therapiebeziehung sind deshalb Echtheit und Stimmigkeit in jedem Gespräch, wie auch die persönliche Wertschätzung und Akzeptanz des Patienten. Die ständige Verfügbarkeit eines Betreuenden für den Patienten ist das wohl wirksamste Mittel zur Verhinderung eines depressiven Rückzuges und sollte ihm auch ausdrücklich bestätigt werden.

Das therapeutische Gespräch kann Basis eines weiten Angebots an psychologischen Hilfen zur Bewältigung von Tumorschmerzen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich vielfach bestätigt ist.

Umorientierung durch Information: Patienten wollen viel darüber erfahren, wodurch ihre Erkrankung verursacht ist, wie sie ihre Behandlung oder Heilung mitunterstützen bzw. selbst miterarbeiten können. Im aufklärendem Gespräch kann dem Patienten ein Erklärungs- und Veränderungsmodell seiner Beschwerden angeboten werden. Eine Einflussnahme auf Schmerzen beginnt bereits mit der Formulierung realistischer Therapieziele (beispielsweise Schmerzverringerung statt Schmerzfreiheit). Aber auch Informationen über Wirkweisen und mögliche Nebenwirkungen angewandter oder bevorstehender Therapien können Ängste und Schmerzen vermindern.

Äußere Schmerzablenkungen sind vielen Patienten aus ihrer eigenen Erfahrung bekannt, z.B. aus Situationen, in denen sie ihre Schmerzen einmal buchstäblich "vergessen" konnten. Formen "natürlicher Ablenkung" vom Schmerz sind beispielsweise: einen spannenden Krimi lesen, Musik hören, fernsehen, sich sportlich oder gymnastisch betätigen, baden, Freunde besuchen, ein Museumsbesuch, Kreuzworträtsel lösen, Gegenstände der Umwelt ganz bewusst sehen, hören, riechen, tasten, schmecken u.ä. Wichtig ist, dass der Patient die Ablenkungsmöglichkeit nicht als Pflichtaufgabe ansieht, sondern dass diese ihm Freude macht und die Aufmerksamkeit fesselt.

Innere mentale Schmerzablenkungen sind beispielsweise das Aufsagen eines Gedichts, das Planen eines Urlaubs oder einer angenehmen Aktivität, die Konzentration auf angenehme, reale Erinnerungen (Bilder, Stimmen, Ereignisse) oder konzentriertes Kopfrechnen, Zählen, Reimen oder Dichten oder einen Zeitungsartikel erinnern. Entspannungsverfahren sind ein Basisbestandteil fast aller psychologischen Schmerzbehandlungsprogramme. Wegen der schnellen Erlernbarkeit und des konkreten körperlichen Bezuges wird heute überwiegend die progressive Muskelentspannung nach Jacobson eingesetzt, bei der durch bewusste An- und Entspannung von 21 Muskelgruppen eine tiefe muskuläre und geistige Entspannung hergestellt wird. Nach einiger Übungszeit kann das Verfahren in ein 10-minütiges Kurzprogramm (sog. Viermuskelgruppentraining) übergeleitet werden, später in eine fünfminütige Schnellentspannung, die schließlich in nahezu jeder Alltagssituation auch in verschiedenen Körperpositionen anwendbar ist.

Phantasiereisen und Vorstellungstechniken intensivieren Entspannungsübungen und sind wichtige Methoden der inneren Ablenkung. Sie können als entspannende Vorgabe eine bestimmte Szene vorstellen(z.B. die Vorstellung am Strand zu liegen, Ausruhen auf einer Sommerwiese, Vorstellung einer Wanderung in den Bergen oder im Wald), sie können indirekt geistige Harmonisierungsprozesse anstoßen (z.B. als Vorstellung eines Baumes im Wechsel der Jahreszeiten), sie können Inhalte der Kognitiven Therapie transportieren (z.B. als Vorstellung, belastende Gedanken symbolisch in eine Kiste zu packen, die man abschließt) und auch vom Patienten selbst individuell ausgestaltet werden.

Als Schmerzfokussierung bezeichnet man eine weitere Schmerzbewältigungstechnik, bei der die bewusste Aufmerksamkeit auf schmerzhafte Körperzonen gelenkt wird, um sich gleichzeitig von dieser Wahrnehmung zu distanzieren, z.B. durch detaillierte Beschreibung der Körperreaktionen verbunden mit einer Vorstellung von Unempfindlichkeit, Taubheit oder beispielsweise Vereisung der Körperzone. Eine ähnliche Übung zur Aufmerksamkeitslenkung (Pendelübung) kann eingesetzt werden, um die Aufmerksamkeit wechselnd einmal auf die Hauptschmerzzone oder auf eine schmerzfreie Körperregion zu lenken, um damit zur Relativierung des Schmerzerlebens beizutragen.

Heilende Vorstellungen zu vermitteln, erfordert spezielles therapeutisches Geschick, da das Erleben der Erkrankung mehr direkt unter Zuhilfenahme der Vorstellungskraft verändert werden soll. Von Simonton stammt beispielsweise der Ansatz, sich die zugrundeliegende Erkrankung, aber auch deren Behandlung und körpereigene Abwehrmechanismen bildhaft vorzustellen, um die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren. Auch die Gegenvorstellung eines gesunden, geheilten Zustandes kann dieses Ziel unterstützen.

Bei hypnotischen Verfahren handelt es sich um einen zeitbegrenzten Zustand der Einengung der Aufmerksamkeit, die meist mit Veränderungen des Bewusstseins, Gedächtnisses, der Selbstkontrolle und der Schmerzempfindung einhergeht. Diese Techniken sollten jedoch nur von erfahrenen Schmerzpsychotherapeuten eingesetzt werden.

Bei der Biofeedbacktherapie werden in Abhängigkeit von den krankheitsbedingten Beeinträchtigungen unterschiedliche Werte (z.B. Spannungspotential ausgewählter Muskelpartien) ständig gemessen und optisch/ akustisch an den Patienten rückgemeldet. Ziel dieses Trainings ist, dem Patienten eine bewusste Kontrollmöglichkeit der jeweiligen Körperfunktion zu ermöglichen (z.B. Entspannung der spezifischer Muskeln durch Atemübungen). Im weiteren Sinne können auch die für die Schmerzbehandlung vorgeschlagenen Gruppen- oder Partnerübungen, z.B. durch gegenseitige Massagen oder entspannende Berührungen, als Biofeedback eingesetzt werden.

Operante Therapieverfahren haben zum Ziel, die Reaktionen auf den Schmerz zu verändern. Das Führen eines täglichen Schmerztagebuches z.B. kann dem Patienten ermöglichen, seine Schmerzen durch situationsbezogene Beobachtung, Bewertung und Veränderung seines Bewältigungsverhaltens gezielter zu beeinflussen. Dies erhöht in aller Regel das persönliche Erleben von Kontrolle über den Schmerz. Gleichzeitig lassen sich situationsbezogen kleine Schritte einer geplanten Steigerung der täglichen Aktivitäten zum Aufbau eines aktiven Schmerzbewältigungsverhaltens planen, die konsequent durch das gesamte Behandlerteam unterstützt und verstärkt werden sollten.

Gespräche mit dem Schmerz sind eine Technik, bei der es darum geht, den Schmerz weniger als Feind und Peiniger anzusehen, sondern seine Botschaften wie bei einem Dialogpartner verstehen zu lernen. Gesprächsthemen, wie "Was will der Schmerz mir mitteilen?" oder "Was brauche ich nach Ansicht des Schmerzes?" können dem Patienten helfen, andere Aspekte der Erkrankung zu erkennen.

Gruppengespräche über das Schmerzerleben und über den Umgang mit Schmerzen (den Schmerz akzeptieren, mit dem Schmerz leben), über schmerz- und behinderungsbedingte Gedanken und Gefühle (Zukunftsängste, Angst, anderen zur Last zu fallen, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Resignation, Depression bis hin zu Suizidgedanken), Umgang mit Behinderungen (Entstellung, körperlicher Verfall), über soziale Folgen der Schmerzen (Rückzug, Isolation, Unverständnis der Umwelt, Alleinlassen der Angehörigen), aktuelle Stressbelastungen (bevorstehende Eingriffe) gehören selbstverständlich zum ergänzenden Repertoire jeder ganzheitlich ausgerichteten Schmerzbehandlung; in diesem Rahmen ist natürlich auch die Angehörigen-Einbeziehung und -Betreuung eine wichtige Säule ganzheitlicher Tumorschmerztherapie.

Eine angemessene Tumorschmerztherapie hat vielfältige Aspekte und Möglichkeiten. Die Behandlung der emotionalen Befindlichkeit des Patienten ist dabei das Entscheidende, wenn wir ihn aus der Krebs-Schmerz Spirale befreien wollen.


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