Schwerpunkt Schmerztherapie   
 Wenn die Tablette nicht mehr hilft -
Eingreifende Schmerztherapie bei Tumorschmerzen



Einleitung

Krebskranke Menschen leiden im Verlauf der Erkrankung in Abhängigkeit von der Tumor- und Metastasenstelle im Körper sowie dem Tumorstadium zu 50-80% der Fälle unter krankheitsbedingten, meist starken Schmerzen. Schmerzen bei Krebs können durch das Leiden selbst hervorgerufen werden oder sind Folgen der Therapie. Außerdem können sie auch unabhängig von der Krebserkrankung vorkommen. Bei den meisten Patienten ist eine gute Schmerzverringerung mit einer medikamentösen Therapie nach dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation möglich. Immerhin werden ca. 10% der Patienten allerdings so nur unzureichend behandelt. Diesen Patienten können in entsprechend spezialisierten schmerztherapeutischen Abteilungen eingreifende Verfahren der Schmerztherapie angeboten werden.

Voraussetzungen

Bevor man sich zu einem eingreifenden Therapieverfahren entschließt, sollte eine Abklärung der Schmerzursache sowie der Versuch deren Beseitigung unternommen und eine optimale medikamentöse Behandlung durchgeführt worden sein. Wenn diese Behandlung nicht zu einer ausreichenden Verringerung der Schmerzen führt oder Nebenwirkungen auftreten, die nicht auf die Therapie ansprechen (z. B. starke Übelkeit, ausgeprägte Müdigkeit), ist die Voraussetzung für eine eingreifende Schmerztherapie gegeben.

Voraussetzungen eingreifender Schmerztherapie
  • Nach allen Regeln der medizinischen Kunst durchgeführte medikamentöse Schmerztherapie mit Tabletten ohne ausreichende Schmerzverringerung
  • zufriedenstellender Wirkung, jedoch belastende Nebenwirkungen
  • Stärkste Durchbruchschmerzen, die nur unter Verlust an Lebensqualität (starke Müdigkeit, Schläfrigkeit) durch massive Erhöhung der Schmerzmitteldosis behandelt werden können
Formen

Es gibt in der Tumorschmerztherapie prinzipiell zwei Formen der invasiven Schmerztherapie:
  • Die Anwendung von Schmerzmitteln in die Nähe des Rückenmarkes (rückenmarknahe Opioidtherapie).
  • Die Zerstörung von Nervengewebe (chemische Neurolyse)
Rückenmarknahe Medikamentenanwendung

Es kommt überwiegend Morphin zur Anwendung. Durch die rückenmarknahe Gabe von Morphin kann ein stärkerer und länger anhaltender schmerzreduzierender Effekt als durch die Einnahme der gleichen Morphindosis als Tablette oder Spritze erzielt werden. Gleichzeitig aber treten weniger Nebenwirkungen auf, da die Substanz im gesamten Körper in niedrigerer Konzentration vorhanden ist. Man bringt sozusagen das Medikament näher an den Wirkort (Opiat-Bindungsstellen in Rückenmark und Gehirn) und kann so höhere Dosierungen realisieren und muss gleichzeitig weniger Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Um die Medikamente verabreichen zu können, muss ein Katheter in den Wirbelkanal eingelegt werden. Die Katheterspitze wird entweder in dem Fettgewebe vor der harten Rückenmarkshaut (epidural) oder in den Duralsack (intrathekal) positioniert. Bei den intrathekalen Kathetern erfolgt die Injektion direkt in das Nervenwasser (Liquor). Durch Injektion in den Katheter, zwei bis dreimal am Tag oder beständig mittels einer Spritzenpumpe, wird die Wirksamkeit des Systems getestet und eine Dosisfindung durchgeführt. Nach Ende der Testphase, die bei steigendem Infektionsrisiko auf wenige Tage begrenzt ist, kann ein dauerhaftes System gelegt werden. Die Einpflanzung erfolgt im Operationssaal unter sterilen Bedingungen.

Dieser Eingriff wird mit einer örtlichen Betäubung durchgeführt. Intrathekale Katheter werden mit einer Pumpe verbunden, die unter der Haut an einer nicht störenden Stelle eingepflanzt wird. Die Pumpe verabreicht dann eine festgelegte Dosis in den Katheter. Es gibt Pumpen, die eine feste Infusionsrate haben. Bei diesen Pumpen kann die Dosis nur durch eine Veränderung der Medikamentenkonzentration angepasst werden. Bei programmierbaren Pumpen kann die Infusionsrate telemetrisch geändert werden. Patienten, die ein solches System tragen, müssen in regelmäßigen Abständen ihren Arzt aufsuchen, um die Pumpe erneut füllen zu lassen. Vor der Einpflanzung einer intrathekalen Pumpe muss diese Weiterbetreuung sichergestellt sein. Epidurale Katheter können ebenfalls mit einer Pumpe verbunden werden. Viel häufiger und auch praktikabler ist die Kombination mit einem Portsystem, ein unter die Haut gesetztes Schleusensystem. Das Portsystem wird meist im Bereich des Brustkorbes implantiert, wo der Patient ihn bequem selbst erreichen kann. Der Katheter wird von dem Punktionsort bis zur Einpflanzungsstelle des Ports unter der Haut hindurchgezogen. Dies ist nicht schmerzhaft.
Der Port wird mit dem Katheter verbunden. Es ist sehr wichtig, dass der Patient möglichst bald nach der Implantation lernt, die Injektionen in das Portsystem selbst vorzunehmen. Oft ist es sinnvoll auch die Angehörigen zu schulen, damit die Weiterversorgung sichergestellt ist, auch wenn der Patient einmal nicht in der Lage, ist sich die Medikation zu injizieren. Es kann auch auf einen Pflegedienst ausgewichen werden.

Da nicht jeder Pflegedienst diese Leistung anbietet, muss man sich vor der Porteinpflanzung informieren, ob ein solcher Dienst im Einzelfall zur Verfügung steht. Eine Port- (oder Pumpenimplantation) ist also nur sinnvoll, wenn die häusliche Weiterbetreuung gewährleistet ist. Komplikationen im Zusammenhang mit rückenmarknahen Kathetern sind selten und können durch sorgfältige Technik bei der Anlage sowie strenge Keimfreiheit bei den Injektionen verringert werden.

Vorteile und Nachteile von epiduraler und intrathekaler Applikation

Art d.AnwendungVorteileNachteile
Epidural/PortPat. relativ unabhängig
Einfache Technik
Bei Infektionen geringes Risiko
Kosten ca. 500 Euro
Wegen Bindegewebs-
bildung Wirksamkeit
oft nur Monate
Intrathekal/PumpeLange Liegedauer (Jahre)
Geringe sytemische
Opioidnebenwirkungen
Gleichmäßige Wirkung
durch kontinuierliche
Gabe
Bei Infektionen
hohes Risiko
Aufwändige
Implantation
Größere Abhängigkeit
vom Arzt
Kosten ca. 5000 Euro


Zerstörung von Nervengewebe (chemische Neurolyse)

Das Spritzen einer nervenzerstörenden Substanz (hochkonzentrierter Alkohol, Phenol) in die Nähe eines Nerven oder einer Nervenumschaltstelle zur Unterbrechung der Impulsweiterleitung wird chemische Neurolyse genannt. Chemische Neurolysen sind in den letzten Jahren zunehmend seltener notwendig geworden. Bei einigen Schmerzzuständen, insbesondere solchen, die mit einer Opioidtherapie schwer behandelbar sind, bilden sie dennoch auch heute noch eine sinnvolle therapeutische Möglichkeit. An eine chemische Neurolyse wäre bei Schmerzen in folgenden Körperregionen zu denken:
  • Gürtelförmige Oberbauchschmerzen (z. B. Bauchspeicheldrüsenkrebs)
  • Schmerzen im Bereich des Afters
  • Schmerzen im Bereich des Brustkorbes Bevor man die Neurolyse durchführt, sollte mittels einer Testblockade (Injektion eines örtlichen Betäubungsmittels) die Wirksamkeit der Maßnahme überprüft werden.
Neurolyse des Plexus coeliacus

Der Plexus coeliacus (Sonnengeflecht, den Boxern auch als solar plexus bekannt) ist das größte Geflecht des autonomen Nervensystems beim Menschen. Neben Fasern für die Motorik der Darmmuskulatur werden alle Reize aus dem gesamten Bauchraum verschaltet und dann zum Gehirn weitergeleitet. Der Plexus coeliacus liegt in Höhe des 1. Lendenwirbelkörpers vor der Wirbelsäule in der Nähe der Hauptschlagader. Die Punktion erfolgt in Seitenlage (bevorzugt von rechts) unter Röntgendurchleuchtung oder im Computertomogramm.

Intrathekale Neurolyse

Bei diesem Verfahren wird das Medikament direkt in den Liquorraum eingebracht und zerstört dort die für die Schmerzen relevanten Nervenwurzeln.
Die Patienten verspüren nach der Injektion bei richtiger Kanülenlage ein warmes Gefühl in der schmerzhaften Region. Wegen nicht unerheblicher Nebenwirkungen werden intrathekale Neurolysen nur noch recht selten angewendet. Sie sind angezeigt bei Bereichsschmerzen in der Brustregion sowie bei Afterschmerzen z. B. bei Karzinomen des Enddarmes. An Nebenwirkungen können Blasen und Mastdarmschwächen oder Schwächen/Lähmungen der Beine auftreten. Die Wirkdauer dieser Verfahren beträgt im Mittel 4 Monate bei einer Streuung von Wochen bis Jahren.

Zusammenfassung

Bei einem Großteil der Tumorschmerzpatienten lässt sich durch die medikamentöse Therapie nach dem WHO Stufenschema eine befriedigende Schmerzverringerung erzielen. Eingreifende Verfahren der Schmerztherapie haben ihre Berechtigung bei den übrigen Patienten, die entweder keine ausreichende Schmerzlinderung erfahren oder aber unter den Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie leiden, die mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität einhergehen. Die rückenmarknahe Opioidgabe mittels eines Port/Kathetersystems gibt dem Patienten neben der Linderung der Schmerzen auch eine recht gute Selbstständigkeit. Die Plexus coeliacus Neurolyse ist ein elegantes Verfahren, das insbesondere bei Schmerzen, hervorgerufen durch bösartige Erkrankungen des Oberbauches, eingesetzt werden kann. Intrathekale Neurolysen haben nur einen sehr engen Anwendungsbereich, insbesondere bei Tumorerkrankungen des Enddarmes.

Eine angemessene Schmerzbehandlung ist für den Erhalt einer gewissen Lebensqualität unerlässlich. In der Schmerzforschung gibt es große Fortschritte: Man versteht die Vorgänge bei der Schmerzwahrnehmung, aber auch die Wechselwirkungen zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden heute so gut, dass auch starke Krebsschmerzen sehr effektiv behandelt werden können.


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