Bestrahlung bei primären Hirntumoren   
 

Bestrahlung bei primären Hirntumoren

1. Allgemein
Jährlich erkranken in der Bundesrepublik Deutschland ein bis zwei Personen pro 10.000 Einwohner an einem primären Hirntumor. Ca. 60 % der Hirntumoren werden von den sog. Gliomen gebildet, 20 % von den Tumoren der Hirnhäute (Meningeomen), 10 % von den Tumoren der Hirnanhangsdrüse (Hypophysenadenome), weitere 10 % entfallen auf Neurinome und andere seltene Tumoren. Die Behandlung von Hirntumoren ist vom feingeweblichen Typ (Histologie) und dem Bösartigkeitsgrad (Grading) abhängig. Die Therapie der Wahl ist bei den meisten hirneigenen Tumoren die Operation. Hierbei wird der Tumor operativ entfernt und so die Histologie gewonnen. In Abhängigkeit von der Lokalisation, dem feingeweblichen Typ und dem Grading besteht dann ggf. die Indikation zur primären oder auch postoperativen Strahlentherapie. Die Chemotherapie als dritte Säule der Tumortherapie ist bei Hirntumoren nur von nachgeordneter Bedeutung. Einige zeigen aber durchaus positive Tendenzen durch ein neueres Chemotherapeutikum oder eine Kombinationstherapie.

2. Diagnostik
Vor der Therapieplanung ist neben der Erhebung der Krankengeschichte und der klinischen Untersuchung eine differenzierte neuroradiologische Diagnostik die Grundlage für ein adäquates therapeutisches Vorgehen. Zur Verfügung stehen die Computertomographie, die Kernspintomographie, konventionelle Röntgen-Aufnahmen, die Gefäßdarstellung (Angiographie) sowie die Kontrastmitteldarstellung der das Rückenmark umgebenden Hohlräume (Myelographie). Da in den meisten Fällen ein Hirntumor operiert wird, sind neben den präoperativen auch postoperative Untersuchungen notwendig. Besteht aufgrund der Biologie des Tumors auch der Verdacht auf eine Aussaat in den Spinalkanal des Rückenmarks über das Hirnnervenwasser (Liquor), muss die präoperative Diagnostik auch eine Kernspintomographie des Rückenmarks umfassen. Zusätzliche Untersuchungen stellen das EEG sowie augenärztliche, neurologische und endokrinologische Untersuchungen dar.

3. Operation
Die Operation hat das Ziel, den Tumor zu entfernen oder die Tumormasse zu verkleinern, den möglicherweise erhöhten Druck im knöchernen Schädel zu senken und Material zur histologischen Sicherung der Diagnose zu gewinnen. Eine vollständige Tumorentfernung ist anzustreben bei gutartigen Tumoren. Bei bösartigen, in die Tiefe infiltrierenden Hirntumoren ist aufgrund der Lage und der notwendigen Ausdehnung der Operation eine komplette Entfernung oft nicht möglich, ohne einen erheblichen funktionellen Ausfall herbeizuführen. Oft beschränkt sich der operative Eingriff daher auf eine Probeentnahme.

4. Klassifikation und histologische Einteilung.
Die feingewebliche Einteilung der Hirntumoren erfolgt nach der sog. WHO-Klassifikation. Die Histologie ist für die Entscheidung zur Durchführung einer Strahlentherapie sehr wesentlich. Zur Einschätzung der Prognose, Planung der gesamten Behandlung spielt das sog. Grading (Grad I bis IV) eine entscheidende Rolle.

5. Indikation zur Bestrahlung
Die Bestrahlung von primären Hirntumoren stellt nach den chirurgischen Verfahren die wirksamste Behandlungsmodalität dar. Die Indikation ist abhängig von der Lokalisation, dem operativen Ergebnis, der histologischen Einteilung und dem Grading. Im Einzelnen besteht eine mögliche Indikation zu einer Bestrahlung bei
  • niedriggradig malignen Gliomen (Astrozytome, Oligodendrogliome, WHO Grad I und II)

  • malignen Gliomen (Astrozytomen und Oligodendrogliomen, WHO Grad III und IV)

  • Meningeomen

  • Opticusscheidenmeningeomen (Sehnervenscheidentumoren)

  • Akustikusneurinomen (Hörnervenscheidentumoren)

  • cerebralen Chordomen

  • primären Lymphomen des zentralen Nervensystems

  • Hypophysenadenomen

6. Techniken und Durchführung der Strahlentherapie
Die moderne Therapieplanung in der Strahlentherapie stützt sich auf eine möglichst genaue und differenzierte Bildgebung (Kernspintomographie/CT) zur Festlegung des zu bestrahlenden Volumens (Zielvolumen). Hierbei wird sowohl die voroperative wie auch die nachoperative Bildgebung herangezogen.

Die Grundlage der Strahlentherapie besteht auch im Gehirn darin, das Zielvolumen (Tumorbett und evtl. Tumorausläufer) optimal zu erfassen und selbst in enger räumlicher Nachbarschaft gelegene Risikoorgane (Sehnerv, Sehnervenkreuzung oder Hirnstamm) möglichst weitgehend zu schonen (Abb. 1). Hierfür ist sowohl bei der Planung zur Festlegung des Zielvolumens wie auch bei der späteren Therapieanwendung eine weitestgehende Immobilisation des Patienten erforderlich. Hierfür bedient man sich spezieller Immobilisationshilfen (Gesichtsmaske aus thermoplastischem Material) mit der der Patient bei der Bestrahlungsplanung (im CT oder MRT) sowie später am Linearbeschleuniger so fixiert wird, dass willkürliche und unwillkürliche Bewegungen auf ein Minimum reduziert werden. Hierdurch lassen sich täglich reproduzierbare Lagerungen mit einer hohen Genauigkeit (bis zu 1 mm tägliche Lagerungsunterschiede) gewährleisten.

Bestrahlungs-Planungs-CT Abb. 2) Bestrahlungs-Planungs-CT mit der Arbeitskonsole zur Festlegung der Tumorregion, der Risikoorgane und der Strahlenfelder
Nach Durchführung des PlanungsCT's (Abb. 2) erfolgt dann die Definition des Zielvolumens auf allen CT-Schnitten (3-dimensional). Darüber hinaus werden auch die Risikoorgane (3-dimensional) konturiert (Abb. 3). Die Planungssoftware berechnet dann den Dosisverlauf der Bestrahlung im Zielvolumen sowie den Bezug zu den Risikoorganen. Hierdurch ist eine voroperative Abschätzung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der Strahlentherapie möglich.

Darstellung von Zielvolumen und Risikoorganen beim Bestrahlungs-Planungs-CT Abb.3) Darstellung von Zielvolumen und Risikoorganen beim Bestrahlungs-Planungs-CT

Nach Optimierung des Plans und Festlegung der unterschiedlichen Bestrahlungsfelder wird dann die Bestrahlung im Therapiesimulator simuliert. Hierbei werden die Feldmarkierungen sowie die Markierung zur Lagerung (über Raumlaser) auf die Patientenmaske übertragen (Abb. 4). Erst dann erfolgt die erste Bestrahlung.

Die Grundlage der Strahlentherapie besteht auch im Gehirn darin, das Zielvolumen (Tumorbett und evtl. Tumorausläufer) optimal zu erfassen und selbst in enger Als Bestrahlungsgeräte stehen heute hochmoderne Linearbeschleuniger zur Verfügung, die mit hoher Energie eine gute Tiefendosisverteilung der produzierten Röntgenstrahlung erlauben. Die Bestrahlung erfolgt täglich über mehrere Eintrittspforten entsprechend der Therapieplanung (z. B. zwei oder drei Felder). Die Bestrahlungszeiten sind kurz und liegen im Bereich von wenigen Minuten. Die Bestrahlung selbst ist für den Patienten in der Regel ohne Nebenwirkungen. Das Gehirn kann jedoch im Einzelfall auf den Reiz der Bestrahlung mit einer Wassereinlagerung (Ödem) reagieren. Mögliche Nebenwirkungen sind dann Kopfschmerzen oder auch Übelkeit mit Erbrechen als Ausdruck einer relativen Hirndrucksymptomatik. In solchen Fällen bringt eine niedrig bis mittelhoch dosierte Therapie mit Cortison in der Regel eine rasche Besserung. Als vielversprechende Variante der perkutanen Bestrahlung hat sich inzwischen die sog. Stereotaktische Konvergenz-Bestrahlung an Linearbeschleunigern etabliert. Bei dieser Technik werden unter genauer Fixierung des Kopfes mit hoher Präzision kleine Zielvolumina bestrahlt, wobei ein maximaler Dosisabfall zum umliegenden Gewebe angestrebt wird. Eine weitere Möglichkeit der Strahlentherapie von Hirntumoren besteht in der instertitiellen Gabe von radioaktiven Implantaten, z. B. in Form von Jod 125 oder Iridium 192 Seeds.

Zusammenfassung

Die Prognose und auch die Behandlung der primären hirneigenen Tumoren wird durch mehrere Faktoren bestimmt. Entscheidend für das Behandlungsergebnis und auch die zu wählende Therapie ist neben dem histologischen Typ der sog. Bösartigkeitsgrad (Grading). Die Therapie der Hirntumoren erfolgt in der Regel multimodal, d. h. unter Einbeziehung der Operation, der Strahlentherapie und ggf. auch der Chemotherapie.

Art und Ausmaß der Operation werden vom histologischen Typ sowie von der Nähe zu Risikostrukturen bestimmt. Der großzügigen weiten operativen Entfernung mit ausreichendem Sicherheitsabstand sind im Bereich des Gehirns oft Grenzen gesetzt durch möglicherweise auftretende neurologische Ausfälle.

Daher kommt der Strahlentherapie als nachoperative oder auch primäre Maßnahme (nach histologischer Diagnosesicherung) neben der Operation die entscheidende Bedeutung zu. Im Einzelfall kommt auch eine Chemotherapie als dritte Therapiemaßnahme in Betracht, ist aber für die Mehrzahl der Gehirntumoren nur von nachrangiger Bedeutung.

Durch die optimale Kombination aller Modalitäten lässt sich bei einem Großteil der Patienten eine lokale Kontrolle des Tumorwachstums oder auch eine Heilung erzielen. Hierfür ist die Behandlung auf die Therapie von Hirntumoren spezialisierten Zentren erforderlich.